Null Acht Neun:Aus der Bahn, Elternschmarrn!

München, das ist ein Wimmelbild: als Kind, wie als Erwachsener

Von Vera Schroeder

Die Corporate Identity des Münchner Winters sind seit Generationen schon die Winterwimmelbilder von Ali Mitgutsch. Schon klar, Corporate Identity ist ein grässliches Wort, aber leider gibt es keine gute bairische Übersetzung. Was gemeint ist: Wenn man ein Kind bittet, ein Bild von München im Winter zu malen, dann malt es ein Bild, das aussieht wie ein Wimmelbild von Mitgutsch. Ein Schlittenberg, oben drauf ein Denkmal oder ein Monopteros. Unzählige bunte, wilde, lachende Kinder, die mit ihren Schlitten hinuntersausen. Eine fiese Schneeballschlacht mit weinenden kleinen Geschwistern. Ein Sturz. Eine einsame Pudelmütze an einem Ast, darunter pinkelt ein Junge an den Baum.

Ali Mitgutsch, der in München geboren ist und mit mehr als 80 Jahren noch heute in der Maxvorstadt lebt, malte viele seiner Stadtbilder so, dass sie zwar überall spielen können, aber ein bisschen erkennt man München dann doch. Bis heute verkaufen sich seine Wimmelbücher prächtig, mehr als acht Millionen Bücher sollen es mittlerweile weltweit sein.

Was erstaunlich ist. Denn wenn man dann tatsächlich an so einem großstädtischen Rodelberg steht, im Luitpoldpark, am Landtag, an der Theresienwiese oder eben im Englischen Garten, dann sieht das heute schon ein bisschen anders aus. Es wimmelt immer noch, es wimmelt so unglaublich, dass man gar nicht weiß, wo man sich hinstellen soll, ohne gleich von einem aufgeblasenen Riesenbrezen-Rutschgerät niedergemäht zu werden. Der auffälligste Unterschied liegt allerdings darin, dass man sich als Erwachsener überhaupt irgendwo hinstellen will. Weil: Auf den meisten Bildern bei Mitgutsch gibt es fast keine Erwachsenen am Schlittenberg. Außer den einen Papa in Bundhosen vielleicht, der etwas abseits unterm Baum ein Bier trinkt. Heute bringt jedes Kind ein bis zwei in dunkle Funktionskleidung eingehüllte Elternteile mit, die Rotznasen putzen, Vorfahrtsregeln erklären, ins Handy brüllen, ein Instagram-Bild schießen oder den Helmgurt kontrollieren. Wenn es nicht gleich selbst mitschlittelt, das Elternteil, schließlich ist so ein Innenstadtbuckel für einen Menschen, der noch nicht Autofahren kann, ganz ohne Führerscheinbesitzerhand potenziell sturzgefährlich.

Was schön ist: Dass die meisten Kinder ihre Eltern in ein Schlittenbild immer noch nicht hineinmalen. Kinder sind einfach konservativer, als man denkt. Ali Mitgutsch hat, nach dem Erfolg seiner Bücher gefragt, einmal geantwortet, dass er immer daran glaube, dass sich die Dinge zum Guten wenden. Er male keine heile, aber eine heilbare Welt. Und dass die Kinder das seinen Bildern anmerkten. Ob er heute mehr Erwachsene mit hineinmalen würde? Wahrscheinlich eher nicht.

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