NSU-Prozess:"Das kann noch kein Schlussstrich sein"

100 Prozesstage lang hat Andreas Bohl verfolgt, was sich im Gerichtssaal A101 abspielte. (Foto: Robert Haas)

Ein Theaterstück über den NSU brachte Andreas Bohl dazu, sich den Prozess 100 Tage als Zuschauer anzuschauen - und an den deutschen Behörden zu zweifeln.

Von Christina Hertel

Eigentlich war es ein Zufall, der Andreas Bohl dazu brachte, mehr als 100 Tage im Saal A 101 zu verbringen - dort, wo seit fünf Jahren der NSU-Prozess verhandelt wird. Bohl, 66 Jahre alt, Sachbearbeiter in Ruhestand, sagt, er sei ein politisch interessierter Mensch. Aber über Beate Zschäpe, die rechtsextreme Terrorgruppe, die vielen Morde, las er nur ab und zu in der Zeitung. Bis er im Herbst 2016 in einem kleinen Theater im Münchner Stadtteil Au das Stück "Off the Record" der Regisseurin Christiane Mudra sah.

Dieses Stück drehte sich darum, wie sich Verfassungsschutz, BND und Polizei in dem NSU-Komplex verhielten. Die Geschichte faszinierte Bohl so sehr, dass er sich kurz darauf entschloss, den Prozess zu besuchen. Er war gerade in Rente gegangen und hatte Zeit. In den nächsten eineinhalb Jahren verpasste er kaum einen Verhandlungstag.

Eigentlich, sagt er, hätte er sich gewünscht, dass dort mehr das thematisiert wird, was ihn auch an dem Theaterstück so interessierte: die Verstrickungen von V-Männern, Polizei und Behörden. "Aber ich habe lernen müssen, dass ein Strafprozess keine umfassende Aufklärung liefern kann."

Andreas Bohl sagt, er möchte in einem Land leben, das allen Menschen den gleichen Schutz und den gleichen Respekt zukommen lässt. Aber dass zuerst gegen die Familien der Opfer ermittelt wurde, dass die Behörden zunächst keinen Zusammenhang zu Rechtsradikalen sahen, lasse ihn daran zweifeln, ob Deutschland so ein Land ist. Wenn bald das Urteil fällt, bleibe bei ihm nur ein Gefühl: "Das kann noch kein Schlussstrich sein."

© SZ vom 28.06.2018 / chrh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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