NS-Verbrechen:US-Gericht stoppt Auslieferung Demjanjuks

Lesezeit: 2 min

Der Anwalt des mutmaßlichen NS-Verbrechers John Demjanjuk hat vorerst verhindert, dass sein Mandant nach München ausgeliefert wird - er berief sich dabei auf Folter.

Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk wird vorläufig nicht nach Deutschland abgeschoben. Kurz vor der geplanten Ausweisung aus den USA ordnete ein Gericht an, die Auslieferung auszusetzen, bis über Demjanjuks Antrag auf Wiederaufnahme des Abschiebeverfahrens entschieden sei.

Schwerer Verdacht: John Demjanjuk soll im Vernichtungslager Sobibor Beihilfe zum Mord an Zehntausenden Menschen geleistet haben. (Foto: Foto: AP)

Der 89-Jährige, der in Cleveland im US-Staat Ohio lebt, sollte ursprünglich am Sonntag nach Deutschland geflogen werden. Demjanjuk machte geltend, der Langstreckenflug würde ihm unerträgliche Schmerzen bereiten.

Demjanjuks Sohn sagte, die Familie sei erleichtert. Viele Menschen seien von der Unschuld seines Vaters überzeugt und hielten ihn für ein Opfer des Krieges, sagte John Demjanjuk junior. Eine Abschiebung würde nach seinen Worten zu einem medizinischen Notfall führen: "Er würde in einem deutschen Krankenhaus landen. Ich glaube nicht, dass sie ihn jemals vor Gericht stellen würden", sagte er.

Das Amtsgericht München hatte im März Haftbefehl gegen Demjanjuk erlassen. Es bestehe der dringende Verdacht, dass er Beihilfe zum Mord an mindestens 29.000 Juden geleistet habe, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Demjanjuk war den Ermittlungen zufolge 1943 Aufseher im Vernichtungslager Sobibor.

Demjanjuks Anwalt John Broadley stellte am Donnerstag vor einem Gericht in Virginia einen Antrag auf Aussetzung der Auslieferung und Wiederaufnahme des Verfahrens. Eine Abschiebung "wird mich schweren körperlichen und geistigen Schmerzen aussetzen, die nach einer vernünftigen Definition dieses Ausdrucks eindeutig auf Folter hinauslaufen", hieß es in einer Erklärung Demjanjuks.

Der gebürtige Ukrainer hatte nach dem Krieg bei München gelebt und war 1952 in die USA ausgewandert, wo er später die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Er änderte seinen Vornamen Iwan in John.

Demjanjuk befindet sich bereits seit mehreren Jahrzehnten im Visier der Behörden. Er wanderte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unerkannt in die USA aus. Als Ende der 70er Jahre seine mutmaßliche Mitwirkung am Holocaust bekanntwurde, lieferten ihn die USA 1986 an Israel aus.

Dort wurde er wegen einer Tätigkeit als Wachmann im nordöstlich von Warschau gelegenen Vernichtungslager Treblinka angeklagt. Der Prozess endete 1988 mit einem Todesurteil, doch der Oberste Gerichtshof Israels sprach Demjanjuk 1993 wieder frei, weil nicht sicher geklärt werden konnte, ob er wirklich der berüchtigte "Iwan" war.

Anklage aus Frankreich

Nach seiner Rückkehr in die USA wurde ihm aber die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt. Dies ist nun auch die Rechtsgrundlage für Demjanjuks Abschiebung nach Deutschland. Er gilt offiziell als Staatenloser und die Bundesrepublik hat sich mit dem Haftbefehl vom 10. März dieses Jahres.bereit erklärt, ihn aufzunehmen.

Französische Angehörige deportierter Juden wollen in Deutschland gegen Demjanjuk klagen. Das berichtete die Zeitung Le Parisien unter Berufung auf den Anwalt Serge Klarsfeld. Aus Frankreich waren vier Konvois mit deportierten Juden nach Sobibor geschickt worden. Demjanjuk lebt als Staatenloser in Cleveland im US-Staat Ohio.

© AP/dpa/ddp-bay/gal/mmk/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Nazi-Verbrecher
:Die Liste des Grauens

Klaas Faber lebt unbehelligt in Ingolstadt, John Demjanjuk steht in München vor Gericht: 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg werden noch immer NS-Verbrecher aufgespürt. Ein Überblick über wichtige Prozesse und flüchtige Nazis in Bildern.

Jetzt entdecken

Gutscheine: