NS-Sondergerichte:Der Pater und sein Richter

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Warum man mit Robert Wölzl, dem Vorsitzende des NS-Sondergerichts gegen Rupert Mayer, fast Mitleid haben kann.

Von Otto Gritschneder

Die Richter der NS-Sondergerichte sind auch nach 1945 nie so recht bekannt geworden. Einer aus dieser grauen (besser: braunen) Richterschar ist durch Zufall ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Dieser Zufall heißt "Sondergerichtsprozess gegen den Münchner Männerapostel Pater Rupert Mayer SJ in München im Juli 1937".

Die Verurteilung dieses mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse dekorierten und schwer kriegsverletzten Priesters als "Hetzer gegen die Partei und den Staat" zu sechs Monaten Gefängnis hat im In- und Ausland Aufsehen erregt und wurde ein wichtiger Teil der bayerischen Kirchengeschichte.

Wer war nun der Vorsitzende dieses beschämenden Prozesses? Sein Name steht in keinem der zahlreichen Nazi-Lexika: Dr. Robert Wölzl, geboren und katholisch getauft 1882 in München. Nach seinem Vater, Gotthard Wölzl (geb. 1852), rechtskundiger Magistratsrat, wurde 1934 die Wölzlstraße im Nordosten Münchens benannt.

Robert Wölzls Berufslaufbahn ist einzigartig, allerdings im weithin negativen Sinn. Nachdem er in Erlangen (mit der Note rite, also genügend) promoviert hatte, bestand er in München die Große Juristische Staatsprüfung im Juni 1914 nicht nur nicht mit einer "Staatsnote", sondern gerade noch mit 96 Punkten (mit 100 wäre er durchgefallen).

Es dürfte keinen zweiten bayerischen Juristen mit einem so schlechten Examensergebnis geben, den die Justiz als Staatsanwalt oder Richter berufen hat.

Nicht dienstfähig

Wölzl wurde nach mehreren Jahren Sekretärstätigkeit beim Landgericht MünchenI 1928 Amtsrichter in München. 1934 stieg er zum Landgerichtsrat und 1936 sogar zum Landgerichtsdirektor beim Landgericht MünchenI auf. In dieser Eigenschaft war er einige Monate Vorsitzender Richter beim Sondergericht München und damit Leiter des Prozesses gegen Pater Rupert Mayer.

Diese Ernennungen und Beförderungen sind völlig unerklärlich. Wölzl hatte schon immer schlechte Zwischenzeugnisse bekommen, seine Arbeiten wurden zum Teil sogar als "unbrauchbar" beurteilt. Eine medizinische Untersuchung durch den Miesbacher Bezirksarzt Dr. Steudel kam im Juni 1926 zu dem Ergebnis, dass "Herr Dr. Wölzl körperlich gesund ist, aber an Verfolgungs- und Größenideen leidet, also geisteskrank ist. Ich halte ihn weder für dienstfähig noch verantwortlich für sein Verhalten."

Im Oktober 1945 wurde Wölzl (bis März 1947) von den Amerikanern in einem Lager bei Regensburg interniert. Im Dezember 1945 befahl die Militärregierung Wölzls Entlassung aus dem bayerischen Justizdienst. In den Spruchkammerverfahren gelang Wölzl mit Hilfe von Dutzenden "Persilscheinen" die Einstellung des Verfahrens wegen NS-Belastungen. 1951 bat Wölzl um Wiedereinstellung in den Justizdienst und gleichzeitige Versetzung in den Ruhestand.

Diese Bitte hatte Erfolg. 1953 erklärte das bayerische Justizministerium (Minister war damals Josef Müller, der "Ochsensepp"), dass Wölzl 1947 das Pensionsalter von 65 Jahren erreicht habe und genehmigte die Altersbezüge, allerdings nur die eines Landgerichtsrates; die aus politischen Gründen erfolgte Beförderung von 1936 zum Landgerichtsdirektor wurde nicht anerkannt; auch der Titel "Landgerichtsdirektor a.D." durfte Wölzl nicht führen. 1966, am 18. November, starb Wölzl, er wurde 84 Jahre alt. Seinem Sohn zahlte der Freistaat Bayern noch ein "Sterbegeld" in Höhe von 3345,50 Mark.

In dieser absonderlichen Berufslaufbahn verbergen sich nun zeittypische Besonderheiten, von denen drei hier geschildert werden sollen. Zunächst die in den Akten immer wieder erwähnten "besonderen Verdienste" Wölzls, die 1936 zu seiner bevorzugten Beförderung zum Landgerichtsdirektor geführt haben: Diese "Verdienste" bestanden darin, dass er als Präsidialsekretär 1924 beim Hitlerprozess vor dem Volksgericht MünchenI für Ordnung im Gerichtssaal zu sorgen hatte und dem Angeklagten Hitler einen guten Platz anwies; Hitler hat sich dann am 1. Prozesstag beim Verlassen des Saales bei Wölzl durch Handschlag bedankt.

In seiner öffentlichen Spruchkammerverhandlung (August 1949) gab Wölzl dazu, durchaus glaubwürdig, zu Protokoll: "Ich habe lediglich Hitler in der Verhandlung gut platziert. Ich gebe mein Ehrenwort, ich habe sonst keine weiteren Verdienste im Hitlerprozess gehabt und der Händedruck, den ich von Hitler empfing, war meine einzige persönliche Berührung, die ich mit ihm gehabt habe." Irgendwelche Förderungen und Unterstützungen der Nazis aus der "Kampfzeit" oder später durch Wölzl, der nicht einmal einfaches Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war, gibt es nicht.

Dann die Rolle Wölzls als Vorsitzender im Prozess gegen Pater-Rupert-Mayer: Diese Rolle wurde ihm offenbar von der Justizverwaltung zugeschoben, weil die sonst als Vorsitzende Tätigen diesem heiklen Prozess offensichtlich aus dem Weg gehen wollten. Man wusste ja, dass der katholikenfeindliche Gauleiter Adolf Wagner die Verurteilung des Paters verlangte, das einfache Volk aber andererseits in Pater Mayer einen tapferen Weltkriegsteilnehmer und unermüdlichen Helfer der Armen verehrte. Dazu gab Wölzl im August 1949 in seiner öffentlichen Spruchkammerverhandlung zu Protokoll: "Am Abend vor der Verhandlung gegen Pater Rupert Mayer kam Gauleiter Wagner spät abends an meine Tür in meiner Wohnung...

Nach wiederholtem heftigen Läuten fragte meine Frau, wer da sei. Wagner erklärte ihr: ,Richten Sie Dr. Wölzl aus, dass ich, Gauleiter Wagner, ihm befehle, dass er Pater Rupert Mayer verurteile und ihn viele Jahre lang einzusperren habe.' Ich habe den Haftbefehl gegen Pater Mayer entgegen dem Wunsch Wagners aufgehoben. Ich wurde zu Wagner befohlen. Er hielt mir vor: ,Was sind Sie für ein nationalsozialistischer Richter? Wissen Sie auch, dass es ein KZ gibt? Wir wollen einen solchen Richter nicht haben!' Ich habe Wagner darauf geantwortet: ,Es gibt auch im Dritten Reich gerechte Richter.' Nach einigen Tagen habe ich Pater Mayer in seiner Klosterzelle aufgesucht.

Er hat die Bewährungsfrist, die ich ihm beschafft habe, abgelehnt und seine Gefängnisstrafe von sechs Monaten verbüßt." Wölzl behandelte den Pater außerordentlich höflich. Die ihm politisch offenbar unmöglich erscheinende Freisprechung ersetzte das Gericht durch Aufhebung des Haftbefehls und eine "nur" sechsmonatige Gefängnisstrafe. Das aber ändert nichts daran, dass auch dieses Urteil eine der vielen Rechtsbeugungen ist, mit denen die Nazis unerwünschte Volksgenossen ins Gefängnis warfen und in "schweren" Fällen dem Henker auslieferten. Man muss gegen Wölzl allerdings den Vorwurf erheben, dass er sich überhaupt als Sondergerichtsrichter zur Verfügung gestellt hat. Den tieferen und tragischen Grund dafür erfuhr ich erst nach dem Ende Hitler. Der Wunsch des Gauleiters

Als Robert Wölzl im Herbst 1945 in einem Regensburger Internierungslager einen Artikel über den Pater-Rupert-Mayer-Prozess von mir las, antwortete er mir mit ausführlichen persönlichen Briefen: "Mein fester Wille war es, dass Pater Rupert Mayer nicht aus dem Leben der Stadt verschwindet ... Den bestehenden Haftbefehl hat das Gericht aufgehoben, trotz des mir bei einem mitternächtlichen ,Besuch' in meiner Wohnung in der Nacht vor dem Verhandlungsbeginn überbrachten persönlichen gegenteiligen ,Wunsches" des Gauleiters Adolf Wagner (der außerdem eine mehrjährige Gefängnisstrafe forderte)."

Ich habe Wölzl in einem Antwortschreiben gefragt, warum er überhaupt Sondergerichtsrichter geworden und geblieben sei; niemand habe ihn dazu zwingen können. Die Antwort Wölzls brachte nun eine große Überraschung: "Objektiv gesehen wäre das richtig gewesen. Während der Verhandlung gab es mehrere Momente, wo ich mir sagte: ,Jetzt lege ich das Richteramt nieder.' Da hat mich aber der Gedanke an meine Familie zurückgehalten (eingehender möchte ich mich hier über die besonders begründete Besorgnis nicht auslassen)."

Der "Gedanke an die Familie" betraf, wie ich erst später feststellen konnte, seine Frau, die Jüdin Julianna Maria Mendelson (geboren 4. April 1894 in Czestochowa). Wölzl hatte die Polin am 8. Januar 1917 als damaliger Infanterie-Oberleutnant im polnischen Lodz geheiratet. Mit seinem pseudologischen Geschick hatte er es verstanden, durch gefälschte Urkunden seine Frau in den Akten "nur" als Halbjüdin eintragen zu lassen.

Als die Justizverwaltung 1938 hartnäckig nach der Rassenzugehörigkeit der Ehefrau Wölzls zu forschen begann, fand dieses Bemühen ein unerwartetes Ende: In Wölzls Personalakten findet sich dazu folgende Feststellung: "Da nach Mitteilung des Senatspräsidenten am Volksgerichtshof Engert, der zur Zeit der Ernennung Wölzls zum Landgerichtsdirektor Ministerialrat und Personalreferent im Reichsjustizministerium war, der Führer und Reichskanzler über die Abstammungsverhältnisse der Ehefrau Wölzls unterrichtet ist, scheint weiteres nicht veranlasst."

Wie es zu einer solchen Erklärung kommen konnte und was hier eventuell "im Hintergrund" vor sich gegangen war, war im Nachhinein nicht mehr feststellbar. Jedenfalls hat Oberlandesgerichtspräsident Dürr im April 1939 erneut aktenkundig festgestellt: "Ich darf ... bemerken, dass der Führer und Reichskanzler sich seinerzeit trotz Kenntnis der Abstammungsverhältnisse der Ehefrau Dr. Wölzls für dessen Beförderung zum Landgerichtsdirektor ausgesprochen hat."

Wölzls Frau lebte unbehelligt in München, sie starb 72 Jahre alt am 10. Februar 1965. Mit dem Menschen Wölzl, der meines Wissens nie ein politisches Todesurteil gefällt hat, könnte man angesichts der Ärgernisse, die ihm, dem Nicht-Parteigenossen, seine NS-Richterlaufbahn letzten Endes eingebracht hat, fast ein wenig Mitleid haben.

Der eigentliche Vorwurf aber trifft nicht ihn, sondern die Justizverwaltungen vor und nach 1933, die diesen zum Richteramt ungeeigneten und charakterlich stark formbaren Mann berufen und gefördert haben.

Otto Gritschneder ist Anwalt und Zeitgeschichtsautor in München.

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