NS-Massengrab in Allach:Vergessenes Verbrechen

Ehemalige Lagerbaracke des Dachauer KZ-Außenlagers Allach I, Granatstraße 10

Die alte KZ-Baracke an der Granatstraße in Allach steht noch, um das von Klaus Mai entdeckte Massengrab kümmert sich bisher niemand.

(Foto: Robert Haas)
  • Ein Münchner Stadtteilhistoriker entdeckt in Allach Belege für ein Massengrab von Holocaust-Opfern.
  • Bisher erweckte sein Fund kaum Interesse.
  • Für die Stadt München ist es aus verschiedenen Gründen nicht so einfach, weiter zu forschen.

Von Helmut Zeller

70 Jahre nach Kriegsende entdeckt ein Stadtteilhistoriker in München ein Massengrab von Holocaust-Opfern. Aber anders als Klaus Mai, 63, zunächst dachte, erweckt sein Fund kaum Interesse. Kommunalpolitik und Behörden reagieren nicht. Im Juli 2014 hatte Mai seine Forschungsergebnisse veröffentlicht, geschehen ist seitdem nichts. Dabei ist er anerkannter Experte für die Geschichte des Dachauer KZ-Außenlagers Allach.

Auf dem Gelände des einzigen Konzentrationslagers der Landeshauptstadt entstand 1952 die Siedlung Ludwigsfeld. Eine Gedenktafel erinnert an die Naziopfer, das Massengrab wurde vergessen. Mai vermutet die sterblichen Überreste von etwa 300 KZ-Häftlingen auf dem früheren Liebel-Areal an der Granatstraße. Seine Belege aus vier Jahren Recherche sind umfassend. Gewissheit aber könnte nur eine Grabung bringen.

Eine Art Schrottplatz auf dem Gelände

Die Zeit drängt. Mai, SPD-Mitglied im Bezirksausschuss Feldmoching-Hasenbergl, weiß, was an der Granatstraße los ist. Der Eigentümer nutze das Grundstück als eine Art Schrottplatz. "Ein undurchschaubares Sammelsurium unterschiedlicher Aktivitäten rund ums Auto", sagt Mai. In vier Containern lebten Männer, die an Wochenenden Autorennen abhielten. Genehmigt war ursprünglich nur eine Baumschule. Im Mai schritt die Lokalbaukommission ein und untersagte die ungenehmigte Nutzung.

Der Eigentümer, den in Ludwigsfeld niemand kennt, klagte dagegen. Als Mai sah, wie ein Bagger das Erdreich aufriss, reichte es ihm. Er gab der Lokalbaukommission seine Unterlagen. Deren Pressesprecher Thorsten Vogel vertröstet aber: In einem Jahr rechnet er mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Klage des Eigentümers. Dann wird gegraben? Nein. Dann reicht die Lokalbaukommission die Unterlagen an das zuständige Referat weiter. "Die Gefahr der Zerstörung des Massengrabes rechtfertigt aber einen sofortigen Eingriff", sagt Mai.

Unantastbarkeit der Grabstätten von NS-Opfern

Nicht nur das. Die Stadt München würde bilaterale Vereinbarungen verletzen. So hat sich Deutschland in Zusatzabkommen zu den 1954 geschlossenen Pariser Verträgen zur Unantastbarkeit der Grabstätten von Opfern des Naziregimes verpflichtet. Die Stadt wäre verpflichtet, das mutmaßliche Massengrab zu untersuchen. Aufklärung verlangt auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinden in München und Oberbayern. "Sollte sich der Verdacht von Stadtteilhistoriker Klaus Mai bestätigen, muss alles getan werden, um die sterblichen Überreste dieser Menschen würdig zu behandeln", sagt Knobloch. Sie ist der Ansicht: "Dieser Ort spiegelt symptomatisch das Verdrängungsbewusstsein und die Geschichtsvergessenheit einer bestimmten, zu langen Phase der deutschen Nachkriegsgeschichte wider."

Als Mai begann, sich mit Allach zu beschäftigen, stellte er verblüfft fest: Es gab keine einzige wissenschaftliche Gesamtdarstellung des drittgrößten von 140 Außenlagern des KZ Dachau. "Dieses KZ war von der Stadt und der Wissenschaft vergessen worden", sagt er. Im Allacher Lagerkomplex schufteten Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge für die Firma BMW. Zum Kriegsende waren es ungefähr 17 000 Häftlinge. Im Lager der Organisation Todt (OT), die Hallen für BMW errichtete, litten etwa 4500 jüdische Häftlinge - die Zahl ihrer Toten schätzt Mai auf 2300. Er hat 1800 Namen der Toten und ihre Herkunft herausgefunden.

Viele Politiker tun sich schwer

NS-Massengrab in Allach: Klaus Mai erforscht die Geschichte des ehemaligen Dachauer KZ-Außenlagers in Allach. Der Stadtteilhistoriker kämpft für eine Ausgrabung auf dem Areal.

Klaus Mai erforscht die Geschichte des ehemaligen Dachauer KZ-Außenlagers in Allach. Der Stadtteilhistoriker kämpft für eine Ausgrabung auf dem Areal.

(Foto: Robert Haas)

Der frühere Lehrer, der in München die Stadtteilforschung mitbegründete, studierte Akten aus Kriegsverbrecherprozessen, wertete Unterlagen aus unzähligen Archiven aus, besorgte sich Luftbildaufnahmen der Alliierten, studierte Berichte der Überlebenden - und legte 2014 seinen 356 Seiten umfassenden Band über "Das vergessene KZ" vor. Die KZ-Gedenkstätte Dachau nimmt die Ergebnisse seiner akribischen Forschung sehr ernst. "Die Schlussfolgerungen, die Klaus Mai aus seiner gründlichen Recherche gezogen hat, sind stichhaltig", sagt Gedenkstättenarchivar Albert Knoll.

Eine Skizze des Lagers und einen aufschlussreichen Briefwechsel hat Mai in den Unterlagen der früher einmal zuständigen Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung gefunden. Das historische Material lag seit Langem vor - nur hatte ein Mann wie Mai gefehlt, der alles zusammentrug und analysierte. "Sehen Sie es", fragt er und fährt mit dem Finger über eine Luftbildaufnahme, "sehen Sie die Bodenwellen"? Das ist das Massengrab." Die Toten des Lagers wurden zuerst zur Verbrennung nach Dachau ins Stammlager gebracht. Max Mannheimer, Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees, überlebte das OT-Lager. Er erzählt in seinen Büchern von dem Leichentransport. Aber unmittelbar vor der Befreiung am 30. April 1945 waren die Öfen des Krematoriums überlastet. Die Toten wurden in Massengräbern verscharrt.

Es könnte etwas vorwärts gehen

Das Allacher Außenlager entstand Anfang 1943 - ausschließlich für die Firma BMW, die Flugmotoren herstellte. Diese Besonderheit, sagt Mai, erkläre auch, warum das Lager fast in Vergessenheit geraten sei, das Ausmaß der Verbrechen in den Nachkriegsjahren von Behörden und Politik verharmlost worden sei. Die Firmengeschichte von BMW sollte damals nicht mit dem Naziprogramm "Vernichtung der Juden durch Arbeit" in Verbindung gebracht werden. "BMW war und ist einer der größten Gewerbesteuerzahler der Stadt", sagt Mai. Doch inzwischen unterstütze der Konzern seine Forschung. Es gebe auch nicht mehr viele Zwangsarbeiter, die eine Entschädigung verlangen könnten.

Doch Münchner Kommunalpolitiker tun sich auch heute noch teilweise schwer mit der Vergangenheit. Selbst Mais eigene Fraktion bringt die Sache nicht in den Stadtrat. "Die Zahl der Unterstützer in der SPD-Fraktion ist gering", sagt er. "Ich halte diesen Umgang für pietätlos. Die ständige Verzögerung erweckt auch den Eindruck, dass man mit der unangenehmen Wahrheit der Judenvernichtung auf Münchner Boden nicht zurechtkommt." Allach werde ihn bis zu seinem Lebensende begleiten. Sein Vater und andere Familienmitglieder waren im Widerstand gegen das Naziregime und wurden in Konzentrationslager, darunter auch Dachau, verschleppt.

Aber jetzt könnte vielleicht etwas vorwärts gehen. Die Sache liegt inzwischen auf dem Tisch von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Er kann sich dann gleich auch noch um eine andere Allacher Affäre kümmern: Hundert Meter von dem Massengrab entfernt residiert der TSV Ludwigsfeld in der letzten erhalten gebliebenen KZ-Baracke. Auch dies ist ein bemerkenswertes Modell der Münchner Erinnerungskultur.

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