Notfallzentrum:Das Klinikum Bogenhausen stößt an seine Grenzen

Notfallzentrum: Oberarzt Mathias Schmid kümmert sich um Hautausschläge, Rückenschmerzen - oder um Patienten, die der Rettungshubschrauber bringt.

Oberarzt Mathias Schmid kümmert sich um Hautausschläge, Rückenschmerzen - oder um Patienten, die der Rettungshubschrauber bringt.

(Foto: Robert Haas)

Immer mehr Patienten kommen in die Notfallambulanz, obwohl sie auch anders versorgt werden könnten. Doch die Ärzte sind dagegen machtlos.

Von Anne Kostrzewa

Mit schlurfenden Schritten humpelt ein Mann in blauem Wintermantel zum Empfang. Er habe Rückenschmerzen, sagt er. "Seit drei Tagen schon." Irmgard Schreiber nickt verständnisvoll, macht eine Notiz auf ihrem Klemmbrett, schickt den Mann in den Wartebereich. Die Krankenschwester, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist seit Stunden im Notfallzentrum des Klinikums Bogenhausen auf den Beinen. Als Springer verstärkt sie die diensthabenden Schwestern dort, wo es gerade brennt. Gerade ist das der Empfangstresen.

Wie lange dauert es denn noch?

Im Wartebereich wimmelt es von Menschen. Bis in den Flur hinaus stehen weitere an - um sich untersuchen zu lassen, um nach eingelieferten Angehörigen zu fragen, ein Taxi zu bestellen, oder um noch mal nachzuhaken: Wie lange dauert es denn noch? An der Schlange vorbei schieben Sanitäter Tragen mit Verwundeten. Das Telefon klingelt in einem fort. Irmgard Schreiber lächelt. "Der Nächste!"

Eine Schicht am Empfang des Notfallzentrums dauert acht Stunden, für die Ärzte werden es, wenn viel los ist, schnell zehn bis zwölf Stunden. Pausen? "Schwierig", sagt Mathias Schmid, der diensthabende Oberarzt im Notfallzentrum. "Wir wissen ja nie, was in einer Stunde ist." Auch wenn nur wenige Patienten im Wartebereich säßen, also eigentlich Zeit für eine kurze Pause wäre, versuche er mit seinem Team immer zügig weiter zu arbeiten, sagt Schmid. "Damit wir Luft haben, wenn der nächste Ansturm kommt." Kaum hat er das gesagt, schrillt sein Piepser in der Brusttasche neben dem Stethoskop. Der Rettungshubschrauber ist im Anflug, Schmid muss los.

Freundlich sein, nicken, lächeln - kurz vor dem Kollaps

Bei Schreiber am Empfang steht ein junger Mann, auf Krücken gestützt. Unter seinem Gips habe sich etwas entzündet, sagt er. Hinter ihm wartet eine Frau mit Schlafstörungen. Dann eine alte Dame, die einen Hautausschlag am Arm vorzeigt. Schreiber bleibt freundlich, nickt, lächelt. Dann beugt sie sich über den Tresen zu ihrer Kollegin: "Wir brauchen einen Time-Out. Eine Stunde. Wir werden hier überrollt."

Time-Outs sind die Notbremse der Unfallambulanzen. Kommen zu viele Patienten auf einmal, machen die Kliniken eine Meldung an die Leitstelle, in der die Krankenwagen und Helikopter koordiniert werden. Im Organisationssystem "Ivena" (Interdisziplinärer Versorgungsnachweis) wird die Klinik, die in einem Bereich ein Time-Out gemeldet hat, rot markiert. Die Leitstelle schickt Notfälle dann in andere Häuser. So soll gewährleistet werden, dass neue Patienten personell und medizinisch angemessen versorgt werden können.

Abgewiesen wird niemand - aber viele Menschen wären beim Facharzt besser aufgehoben

"Im Notfallzentrum Bogenhausen steigen die Patientenzahlen jedes Jahr um 2,5 Prozent", sagt Christoph Dodt, Chefarzt des Notfallzentrums. Er hat für diesen Zuwachs zwei Erklärungen. Zum einen sei da der demografische Wandel. "Wir schieben die Babyboomer vor uns her", sagt Dodt. "Die Menschen werden immer älter. Entsprechend mehr alte Menschen kommen zu uns."

Hinzu kämen viele Geflüchtete, Migranten, Touristen - all jene, die das komplexe deutsche Gesundheitssystem aus Kliniken, Haus-, Fach- und Bereitschaftsarztpraxen nicht verstünden und bei Beschwerden eben ins Krankenhaus gingen.

Notfälle abweisen dürfen die Kliniken nicht. Auch all jene, die beim Facharzt besser aufgehoben wären, werden in der Ambulanz untersucht. "Wir hören oft, dass es beim Arzt erst in sechs Wochen einen Termin gibt", sagt Irmgard Schreiber. "Die Leute kommen dann her, weil sie gleich behandelt werden wollen."

Vom Internet in die Notaufnahme

Ein weiteres Problem bereite das Internet: Immer mehr Patienten würden ihre - oft harmlosen - Symptome selbst analysieren, dann das Schlimmste befürchten und sofort in die Notaufnahme gehen statt zum Arzt.

Das Personal in Bogenhausen arbeite deshalb immer häufiger am Limit, sagt Schreiber: "Nicht jeder erträgt diesen Druck." Die Personalfluktuation sei hoch. In der Erkältungszeit sei die Personaldecke besonders dünn. Lächeln kann Schreiber trotzdem noch, für jeden Patienten aufs Neue. "Für das System können unsere Patienten ja nichts", sagt sie, nimmt das Klemmbrett und eilt weiter. Dahin, wo es diesmal brennt.

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