Nokia Siemens Networks:Gewerkschafts-Privilegien gefährden Münchner NSN-Standort

Arbeitsrechtler sprechen von einer "Riesenschweinerei": Die IG Metall hat für ihre Mitarbeiter von Nokia Siemens Networks Priviliegien ausgehandelt, die Juristen für eine willkürliche Ungleichbehandlung halten. Daran könnte sogar die Rettung des Standorts München scheitern.

Nina Bovensiepen und Michael Tibudd

Juristen sind für abwägende Worte bekannt, doch in diesem Fall lässt Richard Giesen, Professor für Arbeits-, Sozialrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), die Zurückhaltung fahren. Der Arbeitsrechtler spricht von einer "Riesenschweinerei".

Nokia Siemens Networks

Scheitert die Rettung von NSN in München am Ende doch noch? Den Kompromiss, den die IG Metall für die NSN-Mitarbeiter ausgehandelt hat, halten Juristen für fragwürdig.

(Foto: dpa)

Die Riesenschweinerei: Das sind für Giesen die Privilegien, die die IG Metall für ihre Mitglieder bei Nokia Siemens Networks (NSN) ausgehandelt hat und die allen anderen Mitarbeitern des Unternehmens verwehrt bleiben. "Ich sehe darin eine willkürliche Ungleichbehandlung, die meines Erachtens vor Arbeitsgerichten keinen Bestand haben dürfte", sagt Giesen. Dieses Urteil teilen andere Arbeitsrechtler. Für NSN könnte es bedeuten, dass Teile der gefundenen Lösung sich als wertlos erweisen könnten - und am Ende gar die Rettung des Standorts München scheitert.

Konkret geht es um jene Beschäftigten, welche die Firma verlassen und in eine sogenannte Transfergesellschaft wechseln sollen. Durch diese Gesellschaft sollen die Mitarbeiter weitergebildet und in neue Jobs gebracht werden. Die IG Metall hat für ihre Mitglieder ausgehandelt, dass diese in der Transfergesellschaft 80 Prozent des bisherigen Gehalts bekommen sollen; die anderen Beschäftigten erhalten nur 70 Prozent. Außerdem bekommen Gewerkschaftsmitglieder eine höhere Abfindung. Für Nicht-Gewerkschaftler soll sie ein Jahresgehalt betragen, IG-Metaller bekommen 10.000 Euro mehr.

"Ich sehe ein erhebliches Rechtsrisiko", sagt Volker Rieble, Professor an der LMU und Gründungsdirektor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht. "Eine Gleichbehandlungsklage hat sicher Aussicht auf Erfolg." Insbesondere an der hohen Differenz bei den Abfindungen könnten sich die Arbeitsgerichte stören, sagt er.

Das Bundesarbeitsgericht hat erstmals 1967 über Extra-Zahlungen für Gewerkschaftsmitglieder geurteilt. Damals lehnten die Richter jede Sonderleistung ab. Sie argumentierten, mit den Boni solle nur Druck auf Arbeitnehmer ausgeübt werden, einer Gewerkschaft beizutreten.

2009 urteilte das Bundesarbeitsgericht allerdings anders. Eine Pflegerin hatte gegen eine jährliche Sonderzahlung von 535 Euro brutto geklagt, die nur für Verdi-Mitglieder galt. Die Richter erklärten den Bonus für zulässig, weil die Klausel keinen "unzulässigen Druck" ausübe, der Gewerkschaft beizutreten. Dafür sei der Betrag zu gering.

Auch bei der Regelung von NSN dürfte entscheidend sein, ob die Mitarbeiter dadurch unter Druck gesetzt werden, in die Gewerkschaft einzutreten. "Wenn unzumutbarer Beitrittsdruck ausgeübt würde, wäre das ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit, die im Grundgesetz steht, und das wäre damit verfassungswidrig", sagt Professor Martin Franzen, der ebenfalls an der LMU lehrt.

Die Gewerkschafter verteidigten am Montag die Privilegien. "Wir sind unseren Mitgliedern verpflichtet", sagte Münchens IG-Metall-Chef Horst Lischka. "Wenn sich durch unsere Arbeit auch die Bedingungen für andere verbessern, ist das schön. Aber das ist nicht das Ziel einer Gewerkschaft." Jeder NSN-Mitarbeiter habe beitreten können. "Wir haben monatelang gepredigt, dass dadurch ein besseres Ergebnis möglich ist", sagt Lischka. Er argumentiert: Es sei keineswegs nur in Ausnahmesituationen wie jetzt bei NSN üblich, dass von Gewerkschaften verhandelte Verträge nur für deren Mitglieder verbindlich sind.

Tatsächlich gilt dies für jeden gewöhnlichen Tarifvertrag. Die Arbeitgeber allerdings übernehmen die Tarifverträge üblicherweise für die ganze Belegschaft. Sie wollen so verhindern, dass zu viele Mitarbeiter in die Gewerkschaft gehen. Daher zahlt sich bei normalen Tarifverhandlungen ein Gewerkschaftsbeitritt für viele Beschäftigte nicht aus. Anders kann es in Krisensituationen sein, wenn an der Gewerkschaft Kompromisse scheitern können. Arbeitsrechtler Rieble hält es gleichwohl für "anrüchig", wie die IG Metall die Lage ausnutze.

Für die Gewerkschaft hat sich der Einsatz bei NSN indes gelohnt: 800 neue Mitglieder sind seit Beginn der Krise Mitglied geworden. "Gewerkschaften brauchen Konflikte, dann wachsen sie", sagt der Münchner IG-Metall-Chef Lischka. Gut die Hälfte der 3600 NSN-Beschäftigten ist nun organisiert. Auch dank dieser Entwicklung hat die IG Metall in München die Schwelle von 40.000 Mitgliedern geknackt, was lange ein Ziel von ihr war.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: