Nobel-Lokale:Kleine Sternkunde

Die Auszeichnungen von Michelin & Co. garantieren zwar Umsatz, doch sie schaffen auch neue Zwänge.

Christiane Kögel

In der Zeitung klingt es immer so märchenhaft. So euphorisch. Da kommt diese "freudige Nachricht" in das Restaurant. Die "begehrte Aufzeichnung" wird verliehen, und es gibt diesen "Grund zum Feiern". Der Koch strahlt also in die Kamera, steigt auf in den kulinarischen Himmel, zur "kochenden Elite"". Ein "Stern geht ihm auf".

Nobel-Lokale: Ess Neun

Ess Neun

(Foto: Rumpf)

"Wir wollen keinen", sagt Alexander Plischek, Küchenchef des jungen, modernen Restaurants Ess Neun im Gärtnerplatzviertel. Die Rede ist von den berühmten Michelin-Sternen, die der französische Gourmetführer in seinem "Guide Rouge" jedes Jahr vergibt.

Natürlich könnte es auch um eine der anderen Auszeichnungen gehen, die alljährlich euphorisch verliehen werden: Kochmützen, Löffel, Punkte - vom Aral-Schlemmer-Atlas bis hin zum Gault Millau. Der Michelin-Stern allerdings strahlt - um im Jargon zu bleiben - am hellsten.

Und hat wohl die weitreichendsten Folgen für ein Restaurant. Zwei Sterne und eine Menge anderer Spitzenwerte bekommt in München seit Jahren Hans Haas' Tantris; ähnlich gut bewertet wird neuerdings das Restaurant Am Marstall.

Fünf weitere Münchner Gastwirte führen einen Stern, ein "neuer Stern am Küchenhimmel" zog zuletzt jedoch nicht auf. Als es für den Haidhauser Italiener Vinaiolo vor zwei Jahren soweit war, seufzte der Küchenchef: "Ich weiß gar nicht, ob ich mich freuen soll oder nicht - mit der Ruhe ist es vorbei."

Skalven der Auszeichnungen

Und Bernhard Diers vom Marstall kommentierte seine zwei Sterne 2002: "Ich habe mir vorgenommen: Wir lassen uns von den Sternen nicht versklaven."

Genau das befürchten sie, die Küchenchefs, Geschäftsführer oder Besitzer jener Lokale, die sich den guten Ruf erkocht haben. Zwar ist es nicht so, dass ihnen Sterne, Löffel oder Mützen nichts bedeuten würden.

Harald Wohlfahrt, Heinz Winkler, Hans Haas, Eckart Witzigmann - diese großen Sterne-Köche seien durchaus Vorbilder für ihn, sagt Alexander Plischek, der Küchenchef des Ess Neun. Der schlanke Mann mit den igeligen Haaren, der an der Bar des Design-Lokals in der Hans-Sachs-Straße steht, erzählt, dass er aus Spaß koche und weg wolle von "abgedroschenen Regeln".

Als "Free Style Fusion Food" bezeichnet er seine Küche, und die liest sich dann auf der Speisekarte zum Beispiel so: "Käsebrötchen mit Kaninchen". Dahinter verbirgt sich ein mit Rosinen und Pinienkernen in Sherry und Sojasauce eingelegtes Kaninchenfilet, serviert auf einem selbst gebackenen zartrosa Tomatenbrötchen mit Bärlauch-Frischkäse, Auberginen-Chips und Bacon-Streifen - ein, um ein wenig pathetisch zu werden, Festspiel der Aromen.

Kein Stern fürs Ego

Oder Johann Landersdorfer, 34 Jahre alt. Er hat ganz klassisch gelernt in Bayern, dann Stationen eingelegt in Italien, der Schweiz, Frankreich und Österreich. Er war mal Pizzabäcker und Foodstylist, jetzt kocht er seit anderthalb Jahren im eigenen Lokal, das er mit seinem Freund Robert Innerhofer aufgemacht hat.

"Ich brauch keinen Stern für mein Ego", sagt Landersdorfer. Wenn er morgens einkaufen geht, weiß er noch nicht, was mittags oder abends auf seiner Karte stehen wird. Dann geht er in die Küche und legt los.

Raffiniert müsse es sein, sagt der große, braungebrannte Mann in Jeans und weißem Shirt, aber nie ein "ausgeflippter Schmarrn". Er koche sehr gut, sagen viele seiner Gäste. Sie sagen nicht: "Schmeckt wie bei meiner Mutter", aber das würde Landersdorfer vielleicht am liebsten hören.

Ein Stern, so glauben viele Küche und Besitzer der als hoffnungsvoll eingeschätzten Restaurants der Stadt, würde sie in ihrer Freiheit einschränken. Würde sie zwingen, sich steifen Regeln zu unterwerfen, angefangen beim Silberbesteck und dem Beistelltisch für die Weine.

Der Begriff "Spaß" fällt oft, wenn sie ihre Küche beschreiben, ebenso das Wort "Druck", wenn von den Folgen eines Michelin-Sterns die Rede ist.

Gerd von Paczensky, einer der erfahrensten Gastronomie-Kritiker Deutschlands, der seit Jahrzehnten für die Zeitschrift Essen & Trinken durch die Republik reist, kann zwar die Begeisterung vieler seiner Kollegen fürs "Fusion Food" und die "Cross-Over-Cuisine" nicht verstehen, die Angst vorm Stern aber schon.

In der langen Michelin-Geschichte habe es immer mal wieder Wirte gegeben, erzählt er, die ihren Stern gar nicht angenommen hätten.

Was wäre wenn?

Die Sorge, dem bisherigen Konzept nicht treu bleiben zu können, sich verändern zu müssen, ohne das wirklich zu wollen, konzentriert sich vor allem auf den Publikumswechsel, den ein neuer Stern fast immer nach sich zieht. Im Walter & Benjamin säßen dann nicht mehr nur die Weinliebhaber an den nicht sternkonformen hohen Tischen.

In der Königsquelle bestimmte nicht mehr das entspannt-intellektuelle Publikum die Atmosphäre. Und was passierte mit dem liebevoll-überdekorierten Charme des Huterer? "Es wäre sehr schwer, Persönlichkeit zu bewahren", sagt Manuel Reheis, Küchenchef des Broeding in Neuhausen, wo er jeden Abend ein bewusst klares, schlichtes Menü aus möglichst heimischen Produkten zusammenstellt.

Im Gault Millau bekommt Reheis seit Jahren gute Bewertungen; sein Publikum ist nicht nur schick, sondern kommt in erster Linie wegen des Essens. Auf die Ferrarifahrer, die sein Lokal nach dem ersten Stern stürmen würden, wartet er nicht.

"Mit den Mützen oder Sternen kommen Leute", sagt auch Walter-&-Benjamin-Inhaber Karsunke, "die zum Großteil nicht aufgeschlossen und neugierig sind. Sie besitzen wenig Zutrauen zu ihrem eigenen Geschmack - oder haben gar keinen."

Warum ist es so schwer, sich treu zu bleiben nach solchen Auszeichnungen? Das habe nicht nur mit den ganz anderen Erwartungen eines Sterne-Publikums zu tun, sondern auch mit den Preisen, sagt Karsunke.

20 bis 30 Prozent könne man aufschlagen, proportional wüchsen aber auch die Kosten, um das Niveau zu halten. "Wer noch besser werden will, muss bereit sein, zwei bis fünf Jahre zu investieren - oder jemand im Hintergrund haben, der zuschießt."

Fernziel Stern

Restaurantkritiker glauben hingegen, der Wert eines Sterns sei ein bis zu sechsstelliges Umsatzplus pro Jahr. Die Tester loben junge Talente deshalb früh - um sie nicht "wirtschaftlich verdorren zu lassen".

Das ist wohl nicht die Frage im kleinen Wirtshaus zum Huterer, im Ess Neun, im puristischen Broeding, in der kulinarisch beständigen Königsquelle, bei Walter & Benjamin, bei Landersdorfer & Innerhofer und im Orangha, wo allerdings die Küchenleistung noch schwankt.

Deren Konzepte sind Gefühlssache, entsprechen den Überzeugungen ihrer Besitzer und wohl auch denen ihres Publikums. "Vielleicht ein Fernziel, das mit dem Stern", räumt Orangha-Chef Bauer ein. Wäre ihm schon eine große Ehre, sagt Broeding-Koch Reheis.

Und Johann Landersdorfer, der seine Freiheit vielleicht am meisten liebt? Erzählt strahlend, dass Witzigmann schon zum zweiten Mal bei ihm war. Und dass der große Meister diese "Spannung im Essen" gelobt habe.

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