Neuperlach:Wissen, was zu tun ist

Neuperlach: Konzentriert bei der Sache: Firouz Bohnhoff (links) erklärt den jungen Migrantinnen den richtigen Umgang mit einer Rettungsdecke.

Konzentriert bei der Sache: Firouz Bohnhoff (links) erklärt den jungen Migrantinnen den richtigen Umgang mit einer Rettungsdecke.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das integrative Haus am Brittingweg in Neuperlach ist einer von zehn Standorten des Projektes "Mit Migranten für Migranten - Interkulturelle Gesundheit in Bayern". In den Veranstaltungen lernen die Frauen, im Ernstfall schnell und richtig zu reagieren

Von Hubert Grundner, Neuperlach

Kurz vor zehn Uhr geht's plötzlich zu wie im Taubenschlag: Immer wieder öffnet sich die Tür in dem hinteren Nebenraum des integrativen Hauses für Kinder am Brittingweg, und eine weitere Frau tritt ein. Schließlich müssen sogar noch zusätzliche Stühle geholt werden, damit alle der rund 40 Zuhörerinnen einen Sitzplatz haben. Sie wollen hören, was in den nächsten zwei Stunden Firouz Bohnhoff über "Erste Hilfe und Unfallprävention beim Kind" erzählen wird. Das Besondere daran: Fast alle Frauen sind Migrantinnen, sprechen also eine andere Muttersprache als Deutsch. Zwar referiert Firouz Bohnhoff auf Deutsch, doch die ausgebildete Krankenschwester spricht auch Arabisch, und zur Not stünde sogar noch eine Dolmetscherin bereit, um ihre Ratschläge und Tipps ins Kurdische zu übersetzen.

Die Verständigung auf Deutsch klappt aber offenbar ganz gut. Bohnhoff beginnt ihren Vortrag damit, dass sie Schautafeln im Publikum verteilt, die typische Alltagsszenen zeigen - beispielsweise in der Küche, im Bad, im Kinderzimmer oder auf dem Spielplatz. Die Frauen sollen erkennen und sagen, wo jeweils für Kinder besondere Gefahren lauern. Schnell lockert das Bildersuchspiel die Atmosphäre auf, die Situation erinnert an ein Klassenzimmer, in dem eine beliebte Lehrerin das Wissen ihrer fleißigen Schülerinnen abfragt und sie zugleich ermutigt, nachzufragen und sich Unverstandenes noch einmal erklären zu lassen.

Und so kommt die Rede von der Steckdose auf den Strom, den Fön und das Handy, die neben der Badewanne nichts verloren haben. Oder dass man ein Kind, das eine Chemikalie geschluckt hat, wie sie in Reinigungsmitteln oder Kosmetika verborgen sein können, besser nicht zum Brechen bringt, da es sich möglicherweise in Speiseröhre und Mund erneut verätzt. Auch erklärt die Krankenschwester, dass vermeintlich wirksame Hausmittelchen wie Mehl oder Zahnpasta bei Verbrennungen nichts helfen, im Gegenteil. Erste Wahl sei hier kaltes Wasser für die Wunde, je nach Größe der Verletzungen sei auch die Verwendung einer sterilen Alufolie aus dem Erste-Hilfe-Kasten zu empfehlen. So geht es munter weiter. Am Ende aber hat Firouz Bohnhoff wohl mit der Feststellung recht: "Die beste Medizin ist das Vorbeugen."

Ihr Vortrag ist die mittlerweile vierte, quartiersübergreifende Veranstaltung zum Thema Gesundheit, die heuer in Neuperlach angeboten wurde und sich gezielt an Zuwanderer richtet. Dabei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt, an dem viele Köpfe und Hände beziehungsweise Einrichtungen beteiligt sind: Das Bildungslokal Neuperlach, die Kontaktstelle Frühe Förderung Neuperlach, MiMi (Mit Migranten für Migranten), die Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Sozialquartier, das Referat für Gesundheit und Umwelt sowie die Kindertageseinrichtungen und Grundschulen in Neuperlach zählen dazu.

Mit dem bisherigen Verlauf der Veranstaltungen, bei denen es zuvor unter anderem um das deutschen Gesundheitssystem, gesunde Ernährung und Schutzimpfungen ging, ist Petra Heinen vom Bildungslokal sehr zufrieden: "Es scheint ein Konzept zu sein, das aufgeht." Dafür sprechen aus ihrer Sicht sowohl die Zahl der Teilnehmer als auch deren positive Rückmeldungen bezüglich der Veranstaltungen. Ähnlich urteilt Slobodanka Sljoka, Awo-Projektleiterin von "Integration macht Schule im Quartier". Das Netzwerk, das durch solche gemeinsamen Veranstaltungen entstehe, sei wichtig. Vor allem die Elterncafés hätten sich als Türöffner zu den Schulen erwiesen: Eltern mit Migrationshintergrund lernten durch solche zusätzlichen Hilfs- und Orientierungsangebote die Schulen als Ort der Bildung neu kennen und schätzen. Vielfach habe sich auf diese Weise das Miteinander in der Schulfamilie deutlich zum Besseren verändert, so Sljoka. Auch Alexandra Bürg, die Leiterin des integrativen Kinderhauses, lobt die gemeinsamen Veranstaltungen zum Thema Gesundheit. Solche Projekte schweißten die Kooperationspartner zusammen. Zugleich erreiche man dadurch die gewünschte Zielgruppe besser, da man sie bei verschiedenen Gelegenheiten und an verschiedenen Orten gezielt ansprechen könne. Alle Beteiligten hoffen nun, dass auch die abschließende fünfte Veranstaltung wieder gut besucht ist. Unter dem Titel "Seelische Gesundheit in der Familie" findet sie am 19. November in der Grundschule an der Max-Kolmsperger-Straße statt.

Dabei fußt die Veranstaltungsreihe auf dem Gesundheitsprojekt "Mit Migranten für Migranten - Interkulturelle Gesundheit in Bayern" (MiMi-Bayern). Umgesetzt wird es seit 2008 im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und der Betriebskrankenkassen in Bayern. Projektträger in München ist das Bayerische Zentrum für Transkulturelle Medizin. Nach Auskunft von Britta Lenk-Neumann vom Vorstand des Vereins gibt es im Freistaat mittlerweile zehn Standorte, an denen das Gesundheitsprojekt angeboten wird. Insgesamt 17 Themen - oder Module - umfasst derzeit das Spektrum von MiMi. Neben den bereits genannten Veranstaltungen zählen dazu beispielsweise auch "Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen", "Diabetes", "Familienplanung und Schwangerschaft", "Umgang mit Medikamenten" oder "Impfen". Eine zentrale Rolle spielen in dem Projekt die "Gesundheitsmediatoren". Sie werden beständig weitergebildet, es werden neue hinzugewonnen und qualifiziert, um die Kampagne bayernweit fortzuführen und thematisch auszubauen. Aus diesem "Baukasten" wollen sich die Neuperlacher Kooperationspartner auch im nächsten Jahr wieder bedienen.

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