Neuperlach:Neuperlach? "Mir war der Gedanke eigentlich unheimlich"

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Staatsminister Alois Hundhammer, Bundesbauminister Lauritz Lauritzen und Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (von links) bei der Grundsteinlegung für die "Entlastungsstadt" Neuperlach im Mai 1967. (Foto: Fritz Neuwirth/SZ-Photo)
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in München zahlreiche neue Quartiere, darunter das Hasenbergl, die Blumenau oder Neuaubing.
  • Das größte Projekt gab es in Neuperlach: Der Grundstein für die damals größte deutsche Satellitenstadt wurde vor 50 Jahren gelegt.
  • Nun soll die damalige "Entlastungsstadt" mit dem Bürgerzentrum und zusätzlichen Wohnungen einen modernen Mittelpunkt bekommen.

Von Alfred Dürr, München

Heute wie damals fehlen in München bezahlbare Wohnungen. Aber in den Jahren nach Kriegsende war die Not ungleich bedrückender als sie es aktuell ist. Die Stadt war durch Bomben zu fast 40 Prozent zerstört worden. Die Zahl der Einwohner wuchs nach 1945 rapide.

Es entstanden eine ganze Reihe neuer Quartiere, wie zum Beispiel das Hasenbergl, die Blumenau oder Neuaubing. Aber vor allem mit sogenannten Entlastungsstädten wollte das Rathaus auf die Wohnungsmisere reagieren. Im Fokus standen Oberschleißheim, Perlach und Freiham.

50 Jahre Neuperlach
:Neuperlach: Wohngebirge mit Alpenblick

Zu wenig Wohnungen für eine schnell wachsende Stadt - das Problem gab es schon in den Sechzigerjahren. Die Lösung lag damals im Münchner Südosten - in Neuperlach entstand das größte Wohnungsbauprojekt der Republik.

Von Anna Hoben

Aus verschiedenen Gründen wurden die Pläne, auf dem Militärflugplatz Oberschleißheim eine Siedlung zu errichten, rasch fallen gelassen. Der Stadtrat konzentrierte sich auf Perlach. Mit der Bauleitplanung begann man Anfang der Sechzigerjahre. Die Neue Heimat Bayern sorgte als "Maßnahmeträger" für den Grunderwerb und koordinierte die Bauarbeiten. Bund und Freistaat halfen bei der Finanzierung.

Als die damals größte deutsche Satellitenstadt war Neuperlach auf eine gewaltige Zahl von 80 000 Einwohnern ausgelegt. Das übertraf die Dimensionen aller bis dahin in München geplanten Quartiere bei weitem. Und die Planer wollten dabei ganz neue Wege gehen. Keine reine Schlafstadt, sondern auch Arbeitsplätze und Freizeitmöglichkeiten, Entlastung der Altstadt und Aufwertung des Münchner Ostens - so lauteten die wichtigsten Stichpunkte.

Für das Zentrum des neuen Viertels wurde ein Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben, den der Berliner Architekt Bernt Lauter gewann. Sein dichter und bis zu 18 Stockwerke hoher "Wohnring", der vom Durchmesser her dem Nymphenburger Schlossrondell entsprach, galt als ungewöhnlich kühn und prägt bis heute das Erscheinungsbild Neuperlachs.

60 000 Menschen wohnen in Neuperlach

Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) schreibt in seinem Erinnerungsbuch "Die Amtskette" über den sonnigen Tag der Grundsteinlegung am 11. Mai 1967. Wo allerdings genau dieses glanzvolle Ereignis stattfand, lässt sich heute gar nicht mehr sagen. Vogel: "Ringsum war freies Feld, es gab keine Straße - nur eine Art Feldweg." In einiger Entfernung konnte der Oberbürgermeister das Michaelibad sehen, nach Süden und Osten ging der Blick über die Landschaft.

Es habe schon einige Fantasie dazu gehört, sich vorzustellen, dass hier in wenigen Jahren eine Stadt von der Größe Erlangens stehen würde, ging es Vogel durch den Kopf: "Mir war der Gedanke eigentlich unheimlich." Die Entwicklung ging rasch voran. Fünf Jahre später wohnten bereits 22 000 Menschen in Neuperlach. Aktuell hat das Viertel an die 60 000 Einwohner.

Trotz des Beton-Gebirges und architektonischer Monotonie an einigen Stellen im Erscheinungsbild entfaltet die Neuperlacher Siedlungsstruktur für Stadtbaurätin Elisabeth Merk nach wie vor eine gewisse Kraft. Dichte Bauweise sei so organisiert, dass auch großzügige Freiräume entstehen und der Blick ins Grüne oder in die Berge möglich wird, sagt sie. Moderne Quartiersplanung sieht oft eine kleinteilige Mischung von Häusern und Freiflächen vor sowie das Vermeiden von großen Bauformen. Merk: "Aber wenn es dann zu eng wird, kommen sofort Klagen, dass der Nachbar einem auf den Balkon schaut."

Das Viertel soll einen neuen Mittelpunkt bekommen

Neuperlach ist im Lauf seiner Geschichte nicht zur unwirtlichen Plattenbausiedlung verkommen, die von Jugend- und Drogenkriminalität dominiert wird. Im Stadtteil haben sich Unternehmen, vor allem aus dem Versicherungsbereich und der High-Tech-Branche, angesiedelt. Es gibt eine gute Infrastruktur und neben funktionsgerechter Wohnbebauung auch überdurchschnittliche Architektur.

Stadtbaurätin Merk bescheinigt Neuperlach eine "beachtliche Grundstruktur, die auch tragfähig für Veränderungen ist". Das zeigt sich aktuell am Hanns-Seidel-Platz. Auf dem fast vier Hektar umfassenden Areal gab es lange nur die Post und das Provisorium eines Bürgerhauses. Ansonsten war die Fläche ein öder Parkplatz.

50 Jahre nach der Grundsteinlegung für Neuperlach findet hier ein erneuter Aufbruch statt. Neuperlach soll mit dem Bürgerzentrum und zusätzlichen Wohnungen einen attraktiven modernen Mittelpunkt bekommen. Dafür wird am Donnerstag ein erster Grundstein gelegt. Für Stadtbaurätin Elisabeth Merk ist das ein Zeichen dafür, "dass Neuperlach die Kraft hat, sich weiter zu entwickeln".

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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