Neuperlach:Die Welt im Kopf

Ingrid Müller, eine Künstlerin, im Kunsttreff Quiddestraße 45 in Neuperlach

Selbststudium und Übung, so hat sich Ingrid Müller unterschiedliche Kunst-Techniken angeeignet.

(Foto: Peljak)

Für Ingrid Müller ist Kunst ein Abenteuer

Von Renate Winkler-Schlang, Neuperlach

Ingrid Müller hat an keiner Akademie studiert, aber als ernsthafte Künstlerin versteht sie sich sehr wohl. Selbststudium und Übung sind ihre Zauberworte, denn eines war ihr klar, als sie sich im Alter von 30 Jahren ganz der Kunst verschrieb: "Ich will es erst mal grundsätzlich können. So hab' ich viele Techniken jahrelang probiert." In ihrem temporären, heizungslosen Sommer-Atelier im Neuperlacher Quiddezentrum lehnen ihre Werke an der Wand, Acrylbilder und Collagen, Tuschedrucke und Kohlezeichnungen. Landschaft, abstrakt, Akt, Porträt.

Das war nicht vorgezeichnet für die heute 46-Jährige, die zwar schon als Jugendliche jeden Sonntag im Museum zu finden war, dann aber doch in ihrer Heimatstadt München Philosophie studierte, "bei den Jesuiten". Nach einem Volontariat arbeitete sie als Redakteurin bei einem kleinen Verlag, die Umstände dort sagten ihr nicht zu. Ein halbes Jahr hat sie es durchgestanden, dann "spontan gekündigt". Sie lächelt befreit, als sie davon spricht. Das feste Einkommen war weg - dafür der Weg frei in die Kunst. Eine Bewerbung an der Akademie schien ihr für sich nicht die richtige Lösung. Aus Büchern lernte sie, was sie interessierte, etwa die Grundlagen der Anatomie, nebenbei jobbte sie in Callcentern und auf Weihnachtsmärkten, bot ihre Bilder einen Sommer lang auf der Leopoldstraße an, dank ihres Mannes aber stets auf sicherem Fundament.

Doch sie wollte nicht, "dass die Kinder leiden, weil ich mich verwirkliche", und schränkte ihre Ausgaben ein. Das machte sie auch im Alltag kreativ: also Klamotten vom Flohmarkt. Wer brauche teuren Urlaub, wenn er sich seine Tage selbst strukturieren dürfe und so spannende Kontakte habe wie sie? Dann kam sie auch noch auf die Idee mit der von der Bank vorfinanzierten, legal vermieteten Ferienwohnung. Sie ist die Alterssicherung der Künstlerin.

Noch bunter wurde ihr Leben, als sie die überregionale Gruppe "Kunstrefugium" mitbegründete. Immer häufiger wurden die Ausstellungen, in denen ihre Bilder zu sehen waren, seit sie gelernt hatte, dass die Vermarktung mit dazu gehört zu diesem Metier. Mancher riet ihr, nur in Blau oder nur in Öl zu malen, ein Künstler müsse einen wiedererkennbaren Stil ausbilden. Doch Ingrid Müller will sich nicht einschränken, ist "offen für alles", will es erleben, das Abenteuer, immer wieder neue Techniken zu perfektionieren. Erst waren es die Zeichnungen, die baumelnden Füße, das Titelbild ihres schönen Werkkatalogs, in dem auch ein paar ihrer Gedichte stehen. Als ihre Mutter starb, interessierten sie die Wurzeln, nach Vorlage alter Fotografien von Hochzeit, Kommunion, Soldatengruppen, entwickelte sich ein Bilderzyklus. Später wollte sie auf Leinwand bannen, was man fühlt, wenn man ein Buch liest: "Es entsteht eine Welt im Kopf." Es folgte die Faszination für die Wesen der Tiefsee, dann für die skurrilen Seiten des Bayerntums. Derzeit schlachtet sie eine alte Enzyklopädie aus, experimentiert mit Helden der Kunstgeschichte und der Fantasie. Mit der Schere schneidet sie Figuren, versenkt sie in der Farbe. "Es ist einfach wichtig, dass ich meine Ideen verfolge, dass es für mich Bedeutung hat."

Ihr Mann Frank, Krankenpfleger und ambitionierter Hobby-Fotograf, steht hinter ihr. Dennoch hat sie lange kein Atelier gehabt, im Wohnzimmer gearbeitet zwischen Hund und Katz, Fernseher und Esstisch. Dann kam der Anruf von Manfred Ostenbrunner vom Nachbarschaftstreff im Quiddezentrum, der sie kannte von einer Ausstellung im Kulturhaus Neuperlach: Fürs Quiddezentrum, das einem Neubau weichen soll, suche man eine Zwischennutzung. Mit dem Eigentümer WSB war sie rasch einig, die Kooperation mit dem Kulturreferat gelang, der Bezirksausschuss half. Das war im Mai 2014. Seitdem hat sie nicht nur ein großes, helles Atelier in dieser früheren Ladenzeile neben kreativen Nachbarn wie Jan Deichmann und Manuela Clarin, sie ist auch verantwortlich für die Bespielung des Kunsttreffs direkt gegenüber. "Ideale Bedingungen", freut Ingrid Müller sich. Wann die Abrissbirne kommt, weiß noch keiner. Und dann? "Dann zieh ich halt wieder ins Wohnzimmer."

Gemeinsam mit dem Kunstrefugium stellt Ingrid Müller bis Dienstag, 7. Juni, im Geranienhaus von Schloss Nymphenburg aus. Ihr Atelier findet sich an der Quiddestraße 45. Im Kunsttreff gibt es von Juli an mittwochabends offene Malabende. Infos unter www.kunsttreff-quiddezentrum.de.

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