Neuperlach:Die Chefin kämpft für Chancengleichheit

Neuperlach: Nicht nur kopflastige Angebote: Ulrike Wilms ist die neue Schulleiterin der Neuperlacher "Ori".

Nicht nur kopflastige Angebote: Ulrike Wilms ist die neue Schulleiterin der Neuperlacher "Ori".

(Foto: Robert Haas)

Ulrike Wilms hat die Leitung der "Ori" übernommen. An der schulartunabhängigen Orientierungsstufe in Neuperlach, nach wie vor einzigartig in Bayern, gibt die 55-Jährige mit ihrem Pädagogenteam den Kindern zwei Jahre länger Zeit vor dem Wechsel auf eine weiterführende Schule

Von Renate Winkler-Schlang, Neuperlach

Deutsch und Englisch für Realschule: Ulrike Wilms hat schon als Schülerin gewusst, dass sie einmal Lehrerin werden wollte. Dass dabei eine so ungewöhnliche Laufbahn wie die ihre herauskommen würde, hat sie sich aber nicht vorstellen können. Wilms leitet seit diesem Schuljahr die "Ori", die schulartunabhängige Orientierungsstufe an der Neuperlacher Quiddestraße, in der Kindern zwei Jahre länger Zeit bekommen, ehe sie dann einsortiert werden in Mittelschule, Realschule oder Gymnasium. Die einzige in ganz Bayern. Sie ist damit zurückgekehrt an die Schule, an der sie früher schon zweite Konrektorin gewesen ist. Begonnen hatte die 55-Jährige ihre Karriere an der Gesamtschule im Hasenbergl, auch so eine "Schule der besonderen Art", wie sie im Bürokraten-Deutsch heißt - eine, in der die Schüler länger gemeinsam unterrichtet werden. Wilms weiß also, wovon sie spricht, wenn sie für Chancengleichheit im Bildungswesen plädiert.

Geboren ist die lebhafte Pädagogin in Mönchengladbach, doch als sie 17 war, zog ihre Familie nach Ingolstadt: "Ich habe ein bayrisches Abitur." Sie lacht ihr fröhliches Lachen. Als sie das Abi in der Tasche hatte, waren die Aussichten für angehende Lehrer sehr schlecht. Sie überlegte, ob sie nicht doch lieber ihr Hobby, das Geigenspiel, zum Beruf machen und Orchestermusikerin werden sollte. Doch sie selbst sei immer gerne zur Schule gegangen. Ulrike Wilms ging das Risiko ein, studierte Lehramt, hatte super Noten und großes Glück, kam an die Willy-Brandt-Gesamtschule und war "total happy". 14 Jahre blieb sie da. 2004 begann sie ihr Konrektorat an der Ori, in einer Zeit, als man dieser Schule "schon fast den Tod prophezeite", wie sie sagt.

All die Jahre zuvor hatte die Ori ellenlange Wartelisten gehabt, doch dann kam mit der Einführung der sechsstufigen Realschule und des G 8 die Frage, ob die Konstruktion der Ori mit den durchlässigen A-, B- und C-Kursen in den Hauptfächern denn noch nötig sei. Sie hat mitgekämpft für diese spezielle Schule, denn sie war immer überzeugt von der positiven Förderung, die sie bietet. Nach einigen Jahren als Rektorin an der Erich-Kästner-Realschule im Hasenbergl ist sie nun voller Überzeugung zurückgekehrt.

Heute, so findet sie, sei die Ori vor allem richtig für Kinder, die in der vierten Klasse die Gymnasial-Eignung nur mit Ach und Krach erreichen. Manche Mutter sage dann, "wir probieren es auf dem Gymnasium", so als sei ein Kind ein Versuchskaninchen. Scheitere es, sei der Weg "zurück" oft ein quälend harter. Wähle man für ein solches Kind aber "vorsichtshalber" die Realschule, vertue man womöglich auch eine Chance. Eine, die eben in der Ori noch zwei oftmals entscheidende Jahre lang besteht.

Ulrike Wilms kann ausgiebig und leidenschaftlich alle Facetten der Ori erläutern, den flexiblen Umgang mit der zweiten Fremdsprache, die tollen Fachlehrer-Teams des jungen Kollegiums, die für alle Klassen dieselben Projekte und Tests vorbereiten, die besondere Förderung. Derzeit haben es ihr die Ganztagsklassen besonders angetan. Deren Programm zu verfeinern hin zu einer guten Mischung aus Unterricht und Üben, Ausruhen und "nicht zu kopflastigen" Wahlfächern wie Chor oder Tennis, Orchester oder Schwimmen, das hat sie sich als nächstes vorgenommen: "Das ist auch ein wichtiger Aspekt von Chancengleichheit."

Dabei muss sie in dem Schulzentrum unter einem Dach mit Werner-von-Siemens-Realschule und -Gymnasium auch immer um Räume und Hallenkapazitäten kämpfen. Dennoch sagt sie: "Das hier ist mein Traumjob." Die Mischung aus Unterrichten und Führen, Organisieren und Gestalten liege ihr: "Ich bin wieder angekommen an der Ori." Wenn sie selbst Schule machen könnte? Sie denkt nach: "Dann sähe sie noch ganz anders aus." Sie würde die Lehrer aller Schularten gleich bezahlen: "Sie arbeiten nicht das Gleiche, aber gleichwertig." Sie würde Vorschulkinder, Erst- und Zweitklässler zusammenspannen, um den Einstieg ins Schülerleben abzufedern, dann die Kinder von der dritten bis zur sechsten Klasse und auch die von der siebten bis zur zehnten zusammen in einer Schulart unterrichten, ehe die weiterführende, differenzierte Oberstufe folgt: "Dann würden Eltern nicht so kämpfen."

Als Mutter habe auch sie ein wenig zu kämpfen gehabt in der Pubertätszeit ihrer Tochter, deshalb verstehe sie Eltern-Sorgen. Heute ist ihre Tochter Erzieherin und habe selbst zwei Kinder. "Und ich", sagt Ulrike Wilms, "bin eine begeisterte Oma".

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