Neujahr:Wenn Silvesterböller an Bombenangriffe erinnern

Silvester-Feuerwerk über München

München im Licht der Feuerwerksraketen - eine neue Erfahrung für unseren Kolumnisten.

(Foto: dpa)

Die Feiern zum Jahreswechsel sind in Deutschland und in Afghanistan doch sehr unterschiedlich - das musste unser Kolumnist schmerzlich feststellen.

Neue-Heimat-Kolumne von Nasrullah Noori

Ich erinnere mich gut an mein erstes Silvester in Deutschland vor zwei Jahren, vom Einatmen der Giftstoffe der Feuerwerke hatte ich noch zwei Tage danach Kopfschmerzen. Ich und meine Familie, wir hatten keine Ahnung, wie die Deutschen den Übertritt ins neue Jahr vollziehen, auch nicht, dass sie dabei am Münchner Marienplatz besonders eifrig zu Werke gehen.

Es rumste und krachte, Böller und Raketen. Am Himmel explodierte es, doch statt in den Keller zu laufen oder sich flach auf den Boden zu werfen, lagen sich die Menschen in den Armen und lachten. Mir und meiner Familie fiel das Lachen noch schwer, die Bombenangriffe in Afghanistan waren noch zu nahe an uns dran.

An mein letztjähriges Silvester erinnert mich eine Narbe am Finger. Im Olympiapark habe ich mich vom Zuschauer zum Zünder entwickelt - was keine gute Idee war. Weil ich mit Feuerwerken keine Erfahrung hatte, wusste ich nicht, dass man einen Kracher nach dem Anzünden loslassen muss. Seine Sprengkraft verbrannte mir die Haut, meine Hand und meine Jacke waren schwarz vor Rauch.

Um mich rum fanden sie mein Missgeschick sehr komisch, der Kracher war der Lacher, und wieder tat ich mich schwer, das Amusement zu verstehen. Am gleichen Abend zündete ein Junge in unserer Nähe eine Rakete und traf damit ein Mädchen am Bein. Das Mädchen schrie und weinte, ihre Hose war verbrannt. Es herrschten fast schon afghanische Verhältnisse, nur dass dort nicht innerhalb weniger Minuten ein Krankenwagen gekommen wäre und das Mädchen versorgt hätte.

Mal schauen, wo ich dieses Jahr hingehe, mit den Erfahrungen der letzten beiden Jahre fühle ich mich recht gut vorbereitet. Ich werde eine Maske tragen, damit ich nicht die giftige Luft einatmen muss. Und beim Anzünden der Raketen werde ich gut aufpassen, damit ich sie rechtzeitig loslasse und in Richtung Himmel schieße, nicht auf andere Menschen. Ich werde darauf achten, dass die Mädchen und Frauen in meiner Familie irgendwo stehen, wo sie gut geschützt sind und kein Feuerwerkskörper sie treffen kann. Wenigstens werden hier in Deutschland keine echten Raketen abgeschossen - anders als in Masar-i-Scharif im Norden Afghanistans.

In Masar-i-Scharif findet das größte Neujahrsfest Afghanistans statt - aber nicht am 1. Januar, sondern zum Frühlingsanfang um den 20. März. Hier wird es "Fest der roten Blumen" genannt, weil dann die Pflanzen zu neuem Leben erwachen. Anders als in Deutschland gibt es in den Geschäften keine Kracher und Böller zu kaufen, die Leute bereiten für das Fest besondere Speisen zu und machen Familienbesuche. Und um Mitternacht wird eine echte Rakete in den Himmel geschossen, damit alle wissen: Jetzt beginnt ein neues Jahr. Die Leute wünschen einander alles Gute und nehmen sich vor, im eigenen Leben alles besser zu machen als im Jahr davor.

Wie in Afghanistan gehört es auch zum deutschen Silvester, Neujahrsvorsätze zu machen. Auch ich habe viele große und kleine Wünsche für 2017. Für mich und meine Familie wünsche ich mir Gesundheit und dass wir alle zusammen sein können. Ich hoffe, dass ich im neuen Jahr meine Anerkennung als Asylberechtigter bekomme, damit ich in Deutschland bleiben kann. Ich möchte weiter als Journalist arbeiten. Dazu muss ich die Deutschprüfung zum B2-Zertifikat schaffen.

Danach wäre es schön, den Führerschein zu machen - meine afghanische Lizenz wird hier leider nicht anerkannt. Viel wichtiger als diese vielen kleinen privaten Wünsche ist aber mein ganz großer Wunsch: Dass die Raketen in Afghanistan nicht mehr auf Menschen schießen - sondern nur noch in die Silvesternacht hinausfeuern.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München

Der Autor: Nasrullah Noori, 27, stammt aus Kundus in Nordafghanistan. Er arbeitete dort als Journalist fürs Fernsehen, unter anderem für den staatlichen Sender RTA. Wegen seiner Berichte über Mädchenschulen erhielt er von der Taliban-Miliz Morddrohungen und musste fliehen. Seit 2014 lebt er mit seiner Familie in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Noori für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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