Neuhausen/Nymphenburg:Dringlicher Hilferuf

Die Bürgerversammlung zeigt, wie sehr die Menschen inzwischen mit den Folgen des ungebremsten Wachstums der Stadt zu kämpfen haben - Angst vor Kündigung der Wohnung, schlechte Luft, zu viel Verkehr

Von Sonja Niesmann, Neuhausen/Nymphenburg

Neuhausen/Nymphenburg: Der Arnulfsteg muss gebaut werden, das fordern etwa 200 Neuhauser jetzt nochmals.

Der Arnulfsteg muss gebaut werden, das fordern etwa 200 Neuhauser jetzt nochmals.

(Foto: SSF Ingenieure/Baureferat)

Manchmal sind es Großprojekte im Viertel, die nicht allen gefallen und die Stimmung aufheizen, ein anderes Mal dominieren viele kleine Privatanliegen den Abend. Dieses Mal spiegelten viele Anträge in der Neuhauser Bürgerversammlung am Dienstag in der neuen Turnhalle des Adolf-Weber-Gymnasiums, was die Menschen in dieser Stadt mit ihrem ungebremsten Wachstum generell immer stärker umtreibt: immer weniger Wohnungen für Normalverdiener, der dichte Autoverkehr, die zunehmende Luftverschmutzung.

So berichtete zum Beispiel Wolfram Schrag im Namen der sehr besorgten Mieter der Ruffinistraße 6, es sind 19, teils schon sehr lange dort wohnende Parteien, dass ihr Haus einen neuen Eigentümer habe, der nun Abgeschlossenheitsbescheinigungen beantragt habe - eine Voraussetzung für die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Schrag beantragte deshalb eine Erhaltungssatzung für das Gebiet nordöstlich des Rotkreuzplatzes, im groben Umriss: Ruffini-, Frundsberg-, Volkart- und Bothmerstraße. "Denn", so Schrag, "wir sind bestimmt kein Einzelfall."

In Gebieten mit Erhaltungssatzungen gilt: keine Luxussanierung ohne Genehmigung, keine Aufteilung in Eigentumswohnungen, nur wer Mieterschutz zusichert, kann Häuser kaufen. 20 solcher Gebiete gibt es in München, die Satzungen gelten jeweils für fünf Jahre. In diesem Jahr erst hat die Stadt in einem aufwendigen Prozess einige von ihnen unter die Lupe genommen und teils neue Grenzen gezogen. In Neuhausen sind 5100 Wohnungen aus dem Schutz herausgefallen, weil die Kriterien nicht mehr erfüllt waren. Denn dort, wo schon eine "Aufwertung" des Wohnungsbestandes stattgefunden hat, wo es keine schützenswerte Mieter-Mischung mehr gibt, weil die geringer Verdienenden schon verdrängt worden sind, dort ist diesem - ohnehin nicht sehr starken - Instrument der Wohnungspolitik die juristische Grundlage entzogen. Man müsse deshalb sehr genau prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt seien, merkte ein Vertreter des Planungsreferats zu dem Antrag aus der Ruffinistraße an - im Handstreich geht das nicht. "Selbst wenn das für uns zu spät kommt", findet Schrag, könnte es anderen Mietern in dieser Gegend helfen und unliebsame Entwicklungen "wenigstens verlangsamen". Die Zustimmung war überwältigend: Nur ein Finger hob sich dagegen.

Mit großer Mehrheit sprach sich die Versammlung zum wiederholten Mal für die Tram-Westtangente aus - und folgerichtig gegen einen Antrag, stattdessen Elektrobusse auf dieser Route einzusetzen. Auch auf dem Arnulfsteg, einer Fuß- und Radwegverbindung zwischen dem Neubaugebiet Arnulfpark und der Schwanthalerhöhe über die Gleise, bestehen die Neuhauser in zwei Anträgen. Die CSU-Stadtratsfraktion sieht den rund 240 Meter langen Steg neuerdings kritisch, weil die geschätzten Kosten um acht Millionen auf 26 Millionen Euro gestiegen sind.

Eine Mehrheit, wenn auch eine recht knappe, fand sogar der Antrag von Ludwig Kuchinke, die Zahl der Parkplätze jedes Jahr um zwei Prozent, also zwei von 100, zu reduzieren. Der Gedanke dahinter: weniger Parkraum, weniger Neigung, sich ein Auto anzuschaffen "Und das schafft mehr Platz für Fußgänger und Radler, mehr Freifläche zum Beispiel für Urban Gardening." Den ein oder anderen Parkplatz opfern würden die Neuhauser auch für eine Baumreihe an der Hirschbergstraße, die zehn Anwohner, unter anderem zur Verbesserung des Klimas, beantragten. Um bessere Luft, vor allem um die Senkung des Feinstaubs, ging es auch Friedrich Stadler. Er beantragte, "roulierende Fahrverbote" in der Stadt einzuführen und "kein Auto nach München reinfahren zu lassen, in dem nicht mindestens zwei Personen sitzen". So viel Autofahrer-Vergrämung ging der Mehrheit denn doch zu weit.

Mit einem großen Dank an das Team der Neuhauser Stadtbibliothek - "ein Highlight im Viertel" - leitete Manfred Zeller sein Anliegen ein, die Bücherei an sechs Tagen zu öffnen. Denn seit dort samstags geöffnet ist, bleibt am Montag geschlossen, "damit das kostenneutral ist". Wie er, bedauern das offensichtlich viele Bürger: Nur eine Handvoll zeigte dem Antrag die rote Karte. Ebenso eindeutige Zustimmung erfuhr Barbara Marc mit der Forderung, das wenig zum Verweilen einladende Hirschgarten-Forum freundlicher zu gestalten: angenehmere Sitzgelegenheiten mit Rückenlehne, mehr Radlstellplätze, einen Brunnen zum Spielen für die Kinder. "Dann könnte dies ein Ort werden, der die vielen neuen Bewohner des Quartiers zusammenführt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: