Neues München-Heft:Raffinierter Dreh

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Ein Titelbild zu finden, ist ein heikles Problem. (Foto: N/A)

Ein Geo-Heft zeigt, warum man nur in München leben kann

Von Wolfgang Görl

Herrje, schon wieder ein München-Heft aus Hamburg, also von dort, wo die Leute glauben, alle Münchner wählen CSU, ernähren sich von Weißwürsten (wochentags), Schweinsbraten (sonntags) und Bier (immer) und lösen Konflikte mit Fingerhakeln oder gleich mit der Faust. Das, so glaubt der Münchner, glauben die Hamburger, und deshalb glaubt der Münchner auch, dass ein Geo Special München aus dem Hamburger Haus Gruner + Jahr nichts werden kann.

So, und jetzt muss es raus: Das stimmt nicht. Im Gegenteil: Das Heft ist gar nicht so übel. Ja, man muss zugeben, es ist ziemlich gut. Wer die Stadt nicht kennt, weiß nach der Lektüre in jedem Fall: München ist schön. Mehr muss man auch nicht wissen, alles Weitere ist Stoff für Spezialisten. Aber auch davon bietet das Heft einiges.

Also erst einmal Respekt, das haben die Hamburger prima hingekriegt - aber gewiss nur, weil die meisten Autoren aus München stammen und einige von ihnen SZ-Journalisten sind, die natürlich wissen, dass außerhalb Münchens kein richtiges Leben möglich ist. Warum das so ist, sieht man schon auf den wunderbaren Fotos, die unter dem Titel "Stadt im Rausch" eine vierzehnseitige Galerie füllen. Da scheint der gleißende Friedensengel im seidigen Sommerhimmel zu schweben, da leuchten die Propyläen im Abendlicht, da tanzen die Paare im Pavillon des Hofgartens. Okay, das sind Postkarten-Motive - aber sind sie deshalb falsch? Nein, das darf man, muss man zeigen, zumal es irreführend wäre, um der Originalität willen ein München-Heft mit Ansichten des Ratzingerplatzes und der Laimer Giftröhre zu illustrieren.

Ein heikles Problem bei solchen Heften ist stets das Titelbild. Was soll man im Falle Münchens ausstellen? Mit der Frauenkirche wäre man auf der sicheren Seite, aber die prangt schon auf tausend anderen Titelblättern, die BMW-Welt wäre Schleichwerbung, und die Wiesn würde nur das Vorurteil stärken, in München drehe sich alles ums Bier. Die Geo-Leute haben sich trotzdem fürs Oktoberfest entschieden, aber mit einem raffinierten Dreh: Vor einem Wiesn-Karussell stehen zwei Dirndl im Dirndl und - Traditionalisten müssen jetzt stark sein - küssen sich. Vielleicht ist es überinterpretiert, aber das bedeutet doch: Die Münchner sind konservativ (Tracht), aber nicht so blöd, sich in erotischen Dingen etwas vorschreiben zu lassen.

Dazu passt der lehrreiche Artikel über die hiesige Schwulenszene, der nicht zuletzt das wilde Treiben von Queen-Sänger Freddie Mercury im München der Achtzigerjahre würdigt - ein schönes Beispiel für die Tatsache, dass München neben Bussi-Gesellschaft und Biergartenhockern noch diverse Paradiesvögel und Schicksalsgestalten beherbergt, die beim Blick durch die Klischee-Brille gern übersehen werden. Ebenfalls aus dem üblichen Stadtporträt-Rahmen fällt die Reportage über die arabischen Gäste, die hier das Bankkonto der Chirurgen und der Ladeninhaber auf der Maximilianstraße füllen. Ansonsten bringen die Geo-Macher Bewährtes: das Museumsviertel, die Allianz-Arena, das barockprächtige Oberland und natürlich die Wiesn, die der Autor, wiewohl Münchner, mit hanseatischer Kühle schildert. Historisches erfährt man hingegen kaum, was Unkundigen womöglich den Eindruck vermittelt, die Stadt wäre irgendwann aus dem Himmel gefallen. Sie sieht ja auch so aus.

Die Medaille "München leuchtet" verdient Chefredakteur Lars Nielsen, der im Editorial schreibt: "Ich scheine einer der wenigen Hamburger zu sein, die sich ernsthaft vorstellen können, auch in München zu leben." Falls sie ihn dort ausbürgern: Er darf kommen.

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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