Neuer Tiger in Hellabrunn:Guter Tausch

Der Tierpark Hellabrunn hat endlich wieder einen Sibirischen Tiger - der knapp zweijährige Jegor ist ein Geschenk aus Köln. Das Beispiel zeigt, wie die europäischen Zoos im Rahmen des Erhaltungszuchtprogramms miteinander kooperieren. Denn langfristig ist Jegor wohl wegen der Fortpflanzung hier. Und dabei wird nichts dem Zufall überlassen.

Von Franziska Dürmeier

Neuer Tiger in Hellabrunn: Jegor in seinem neuen Gehege im Tierpark Hellabrunn: Es ist noch alles neu für ihn.

Jegor in seinem neuen Gehege im Tierpark Hellabrunn: Es ist noch alles neu für ihn.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein präparierter Pfeil trifft ihn in die Seite - er zuckt, faucht, doch bald schläft er tief, der Sibirische Tiger. In einer mit Metall ausgeschlagenen Kiste wird das Tier in einen Transporter geladen. Der Motor brummt, es geht Richtung Süden, mitten in der Nacht. Vor der Fahrt hat der Tiger ein Gegenmittel verabreicht bekommen, seine weißen langen Schnurrhaare zittern, die goldbraune Pranke bewegt sich, langsam kommt er zu sich. Er ist benommen und ruhig. Nach vielen Fahrtstunden trifft die Großkatze in München ein, die Kiste öffnet sich. Er blickt um sich, orientierungslos. Bald wird er sein neues Zuhause im Tierpark Hellabrunn erkundet haben - als Nachfolger des 17-jährigen "Nurejev", der vor fünf Monaten starb.

Der Sibirische Tiger kommt nicht aus seiner ursprünglichen Heimat, dem Fernen Osten Russlands, er ist ein Geschenk des Kölner Zoos. Aus der Wildnis werden Tiere schon seit den Siebzigerjahren nicht mehr entnommen, sagt Carsten Zehrer, Biologe und Kurator im Tierpark Hellabrunn. Der 40-Jährige weiß um die vielen Gerüchte, die unter den Tierparkbesuchern kursieren.

Seit dem Inkrafttreten des Washingtoner Artenschutzübereinkommens ist der Handel mit gefährdeten Wildtieren und Pflanzen stark eingeschränkt. Bis auf ein paar wenige, ältere Tiere wie den Gorilla "Roututu", stammten alle Tiere aus internationalen Tierparks oder aus Menschenhand, erläutert der Kurator. Und auch einen nennbaren Preis haben die Tiere nicht. "In den allerwenigsten Fällen fließt Geld", sagt er. "Meistens sind es Geschenke, Leihgaben oder Tauschgeschäfte." Eine Ausnahme sei der Pandabär in Wien. Hier hat China eine Monopolstellung: Die Leihgebühr, die der chinesische Staat einfordere, betrage in diesem Fall eine Million Euro.

Ruhiges Leben im Wohlstand

Irgendwie sieht der neue Tiger von München recht brav aus, wie er durch die Sonne schreitet, mit seinem glänzenden Fell und den langsamen, ruhigen Bewegungen. Doch so sanftpfotig wie die Großkatze am Steinrand des Wassergrabens im Zoo entlangschreitet, ist sie in der freien Natur keinesfalls. Der sibirische Tiger würde - wäre er in den Bergwäldern und der Taiga im Amur-Ussuri-Gebiet unterwegs - ganz gerne einen Sikahirsch verspeisen, nachdem er ihm die Kehle durchbissen hat. Im Tierpark Hellabrunn führt "Jegor" ein ruhiges Leben im Wohlstand. Keine Feinde, immer genügend Futter da und - aller Voraussicht nach - langfristig auch ein Weibchen. "Die Tiere werden hier meist deutlich älter als in der Wildnis", sagt der Kurator.

In seinem neuen Außengehege streift "Jegor" durch das Gras, streckt seine beiden Tatzen nach vorne, gähnt und präsentiert dabei seine massiven Fangzähne. Der größte Feind des Sibirischen Tigers ist der Mensch. Seit den Siebzigerjahren ist der Handel von Tigerteilen zwar verboten, doch Wilderer gibt es weiterhin. Die Tiere sind stark bedroht. Nur noch wenige hundert Sibirische Tiger gibt es laut Zehrer heutzutage. Tiere wie "Jegor" haben zwar noch nie einen lebendigen Hirsch gejagt oder die sibirischen Wälder gesehen, doch immerhin befinden sie sich in der sicheren Obhut der Tierparks.

Carsten Zehrer organisiert die Tauschgeschäfte und Tiertransporte, die oft mit großem Aufwand verbunden sind. Spezialfirmen bieten Fahrzeuge an, deren Dach in die Höhe ausfahrbar ist - für Giraffen beispielsweise. Haie werden in großen Kunststoffbehältern mit Wasser transportiert, und manche exotischen Tiere fliegen sogar im Laderaum von ganz gewöhnlichen Passagierflugzeugen mit. Schon lange vor dem Transport gewöhnt man Tiere wie Giraffen beim "Kistentraining" an die Box. Tierpfleger oder Tierärzte reisen immer mit.

Der Zoo als Zuchtstelle

Artenschutz hat für die Institution Zoo längst an Bedeutung gewonnen. Auch im Tierpark Hellabrunn wird darauf seit jeher Wert gelegt. So ist er seit langem Mitglied bei der European Association of Zoos and Aquaria (EAZA), die sich unter anderem um Erhaltungszuchtprogramme kümmert, wie beispielsweise das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP). "Dem Zoo kommt da eine große Bedeutung zu", sagt Zehrer. "Viele Tierarten gibt es nur noch dort."

In den Siebzigern starteten die ersten Zuchtprogramme, damals wurden die Tiere noch per Schreibmaschine aufgelistet. Heute ersetzen spezielle Computerprogramme die mühsame Dokumentationsarbeit. Die Programme können errechnen, welche Tiere genetisch zusammenpassen. Denn die meisten neuen Tiere kommen als Partnertiere zur Fortpflanzung in den Zoo, erklärt Zehrer. Und nur wenige, wie die unlängst eingetroffenen Erdmännchen, aufgrund ihrer Attraktivität für Besucher.

Die Grundlage für das Computerprogramm sind Zuchtbücher für bestimmte Tierarten, in denen Tiere aus vielen Zoos mit ihren genauen Daten aufgelistet sind. Einmal im Jahr erstellen die EEP-Koordinatoren Empfehlungslisten, die aufführen, welche Tiere angeboten oder gebraucht werden können. "Einen Besitzanspruch gibt es nicht mehr", sagt Zehrer, "man denkt inzwischen global."

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