Neuer Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften:Mathematiker und Multitalent

Neuer Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften: Musizieren und Theater spielen, Skifahren bis zur Geschwindigkeitsgrenze: Martin Leitner ist ein vielseitiger Professor.

Musizieren und Theater spielen, Skifahren bis zur Geschwindigkeitsgrenze: Martin Leitner ist ein vielseitiger Professor.

(Foto: Stephan Rumpf)

Martin Leitner liebt klare Strukturen. Zumindest in seinem Beruf. Privat neigt er dagegen durchaus mal zum Risiko - etwa im Steilhang beim Skifahren

Von Jakob Wetzel

Eigentlich habe er nie einen Grund gehabt, sich einen neuen Job zu suchen, sagt Martin Leitner. Aber da war dieses Gefühl tief in ihm, dieser Drang, etwas Neues zu sehen, und so hat er es trotzdem getan, einmal, zweimal, immer wieder. Einmal ging er etwa von Siemens in München zur Hochschule Ulm und wurde dort Professor für Mathematik. "Da war diese Anzeige", erinnert er sich. Bei Siemens habe er eine tolle Stelle gehabt. Nie habe er überlegt, sich anderswo zu bewerben. Aber jetzt dachte er sich: Warum eigentlich nicht? Leitner war damals 32 Jahre alt. Und als tatsächlich der Ruf aus Ulm kam, da gab es kein Zurück.

Wenig Jahre später war Leitner wieder fort. Er wechselte an die Hochschule München und machte Karriere. Drei Jahre lang war er Prodekan der Fakultät für Informatik und Mathematik, anschließend wurde er Dekan. "Es gab keinen Grund für mich, die Hochschule wieder zu verlassen", sagt er. Doch dann wurde er erneut auf eine Stellenanzeige aufmerksam: Die Hochschul-Informations-System GmbH in Hannover, das Softwarehaus der deutschen Hochschulen, das damals auch in der Hochschulforschung aktiv war, suchte einen neuen Geschäftsführer. "Das war doch irgendwie auch interessant", sagt Leitner. Er ging, für immerhin sieben Jahre, dann kehrte er zurück, wurde wieder Mathematik-Professor. Und jetzt ist er erneut auf dem Sprung - auch wenn es diesmal nur einer auf der Karriereleiter nach oben ist.

Seit vier Jahren ist Martin Leitner wieder in München; und seit Juli ist der Oberbayer, der aus der Nähe von Traunstein stammt, designierter Präsident der Münchner Hochschule für angewandte Wissenschaften, der mit etwa 18 000 Studenten größten ihrer Art in Bayern. An diesem Dienstag tritt der 57-Jährige sein Amt an.

Leitner lädt ins Präsidentenbüro, das eigentlich noch das seines Vorgängers Michael Kortstock ist. Zumindest für die nächsten vier Jahre wird er von diesem Zimmer aus die Geschicke der Hochschule leiten. Er kommt pünktlich, setzt sich, lehnt sich zurück. Seine Hände suchen die Armlehnen des Stuhls. Was er vorhat? Darüber verrät er nicht viel. Er wolle seinem künftigen Präsidium nicht vorgreifen und keine einsamen Entscheidungen treffen, sagt er. Bis Ende Oktober werde sich die neue Hochschulleitung hoffentlich gebildet haben. Doch dann fallen ein paar Sätze, die zumindest erahnen lassen, was ihm vorschwebt.

"Ich mag die Hochschulen so, wie sie sind", ist so ein Satz, der weniger banal ist, als er klingt. Verglichen mit Firmen schätze er das Menschlichere an den Hochschulen, das wegen der vielen jungen Leute Ungeordnetere, erläutert Leitner. Doch in jenem Satz steckt auch: Für Experimente ist dieser Präsident eher nicht zu haben. "Wir brauchen klare Strukturen", sagt Leitner dann auch kurz darauf, es ist wieder so ein Satz. Als Mathematiker denke er gerne in Strukturen, erklärt er. Im Kern gehörten zur Hochschule die akademische Ausbildung, die angewandte Forschung und die wirtschaftliche Orientierung. Allzu viele Initiativen, die sich da nicht einordnen lassen, wolle er nicht aufgreifen. Bei der Kinderbetreuung zum Beispiel sei die Hochschule bereits gut genug aufgestellt.

Ein dritter vielsagender Satz ist dieser: "Da muss ich etwas ausholen, haben Sie Zeit?" Der neue Präsident erklärt die Dinge gerne gründlich und grundsätzlich. Er spricht von einer "neuen Unübersichtlichkeit" in der Hochschullandschaft. Bologna-Reform und Exzellenz-Initiativen hätten das System verändert, hin zu mehr Wettbewerb. Tausende Studiengänge sind entstanden, die Hochschulen buhlen um Fördergeld. Die Trennlinien zwischen Universitäten und Fachhochschulen lösten sich auf. Auch das Promotionsrecht für Fachhochschulen, für das sein Vorgänger Kortstock so hartnäckig kämpfte, werde früher oder später kommen, trotz des Widerstands der Universitäten, sagt Leitner. Auch die Technischen Hochschulen hätten sich einst erst das Recht erkämpfen mussten, Doktortitel zu verleihen. Und die deutschen Fachhochschulen könnten mit einigen Universitäten im Ausland ohne Weiteres mithalten. "Deutschland kann es sich nicht leisten, seine Hochschulen für angewandte Wissenschaften international als zweitrangig zu verkaufen", sagt Leitner. Das Promotionsrecht müsse kommen. "Der systemische Druck wird zu groß."

Es ist der Politikberater, der aus diesen Sätzen spricht. Leitner hat als Geschäftsführer der HIS den Bundestag in Strukturfragen beraten, etwa bei der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge oder auch in der Debatte um Studiengebühren; die HIS hatte erforscht, wie abschreckend diese Gebühren auf Studienanfänger wirken. Er sei damals viel unterwegs gewesen, sagt Leitner, und diese berufliche Unruhe habe er genossen, zumindest eine Zeit lang. Jetzt sei er gerne nach München zurückgekommen, und mittlerweile hat er auch Familie, eine kleine Tochter.

Er wolle mehr sein als ein Analyst, ein Technokrat, ein Präsident der Mathematiker, sagt Leitner dann. Die Hochschule bestehe schließlich aus 65 Prozent Technik und Naturwissenschaften, 20 Prozent Wirtschaftswissenschaften, zehn Prozent Sozialwissenschaften und fünf Prozent Design. "Ich will auch Präsident der Sozialwissenschaftler sein. Und ich kann das sein, weil ich diese Bereiche in meinem Leben nie ausgeblendet habe."

Tatsächlich liest sich die Vita von Martin Leitner vielseitig, nicht nur beruflich - da forschte er anfangs etwa nicht nur bei Siemens, sondern auch in der Psychiatrie am Klinikum Rechts der Isar oder in der Aids-Forschung am Helmholtz-Zentrum in Neuherberg. Doch nebenher beschäftigte er sich mit Film, mit Musik und Theater. Mit anderen gründete er das Münchner Liebfrauentheater und entwickelte von den Neunzigerjahren an ein "Theater der assoziativen Logik" mit, das sich nicht um Geschichten spinnt, sondern um Begriffe, die erspielt, ersungen, ertanzt werden; die Textbücher wirken wie Partituren. Leitner selbst spielt unter anderem Violine; er habe früher sogar überlegt, Musik zu studieren, erzählt er. "Ich bin froh, dass ich das nicht gemacht habe, ich wäre nicht gut genug gewesen. Aber als 18-Jähriger weiß man das natürlich noch nicht." Und übrigens habe er jeden einzelnen Western gesehen, den es gibt, erklärt Leitner - bis hin zu "Cowboys & Aliens" aus dem Jahr 2011. Die Fusion von Western und Science Fiction sei vielversprechend gewesen, das Ergebnis aber eine Katastrophe.

Wovon er heute manchmal träume, sei Drachenfliegen, erzählt Leitner noch. "Da habe ich allerdings nichts vorzuweisen, das habe ich noch nie gemacht, das wäre etwas Neues."Er selbst sei eher ein alter Skifahrer, sei auf Skiern aufgewachsen und habe die Alpen unsicher gemacht, auch abseits der Pisten. "Mein Kriterium war immer: Wenn du stürzt, wirst du dann schneller oder langsamer?", sagt Leitner. Wenn es so steil sei, dass man nach einem Sturz schneller werde, dann sei das vielleicht reizvoll, aber lebensgefährlich.

Letztens habe er in seiner Mathematik-Vorlesung mit zwei Studenten über Bungee Jumping gesprochen, sagt Leitner. Die beiden würden von Brücken springen, von denen noch nie einer gesprungen ist. Deshalb müssten sie die Länge des Seils immer neu ausrechnen. Dabei würden sie versuchen, dem Boden möglichst nahe zu kommen. "Ich bin da in der Situation gewesen, dass ich sagen muss: Leute, lasst das sein, das ist gefährlich. Aber tief in mir drin steckt etwas, das findet das eigentlich ganz gut."

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