Neuer Kiosk in Schwabing:Nachts im grünen Würfel

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In München immer noch eine Nachricht: An der Münchner Freiheit hat ein 23-Stunden-Kiosk eröffnet. (Foto: Alessandra Schellnegger)

In München ist das eben immer noch eine Attraktion: Der neue Kiosk an der Münchner Freiheit hat 23 Stunden geöffnet. Fast wie ein Späti in Berlin. Wären da nicht die Sauce von der Sternekoch-Tochter und der Bierpreis.

Von Cathrin Schmiegel, Schwabing

Samstagnacht. Es ist richtig kalt und dunkel. Die Supermärkte haben allerorten längst geschlossen. Am Rand der Münchner Freiheit steht ein Kiosk. Sein grellgrünes Licht zieht Nachtschwärmer an wie eine Glühbirne die Motten. Ein Mittfünfziger in offener Lederjacke und mit Piercing im rechten Ohrläppchen steuert zielsicher vom U-Bahn-Aufgang das Verkaufsfenster des kleinen Würfels an, aus dem leise Technomusik dringt und wo es nach Hot Dogs duftet. Der Mann, der erst seit einer Woche in München ist, bestellt sich ein Bier. "Ein Berliner hat eine Nase für solche Lokalitäten", sagt er. "Der lebt von Späti zu Späti."

"Späti" - also Spätkauf, wie es sie in vielen deutschen Großstädten zuhauf und in München fast gar nicht gibt - heißt das Lädchen in Schwabing zwar nicht. Zu später Stunde einkaufen, das können die Kunden dort trotzdem. 23 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Nur von drei bis vier Uhr morgens steht niemand hinter der Glasfront, um Snacks, Getränke und viele nützliche Kleinigkeiten zu verkaufen. Zu dieser Zeit fährt keine U-Bahn. Die digitale Uhr auf der Kioskkasse zeigt 23.49 Uhr an. Alexander Vesely reicht dem Berliner das Bier über den Tresen. "2,40 Euro", sagt er und zuckt mit den Schultern. Es klingt wie eine Entschuldigung. Der Kiosk solle nicht zur "Jodelhüttn" werden, erläutert er die Preisgestaltung später.

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Vesely ist einer der Betreiber des neu eröffneten Ladens. Der andere ist Matthias Kehr. Zusammen führen sie schon ein Delikatessengeschäft, nur 200 Meter weiter an der Haimhauserstraße. Das ist vor allem praktisch: Dort können die beiden die Snacks für ihren Kiosk vorbereiten. Viele Leckereien, die es im Geschäft gibt, verkaufen Vesely und Kehr auch im "Deubl Glass Cube". So heißt der Kiosk offiziell - nach der Glaserei, die die Hülle geliefert hat.

"Rote-Bete-Beeze, Rote-Brete-Breze"

Unter dem Tresen liegen selbst gemachte Empanadas, Brezen mit Rote-Bete-Frischkäse-Aufstrich, aber auch Ciabatta mit Käse. "Wir müssen auch normale Sachen anbieten, sonst kauft hier niemand etwas zu essen", sagt Kehr. Gerade wartet er geduldig auf die Bestellung von zwei Studenten, die sich wegen der großen Auswahl schwer entscheiden können. Vielleicht haben sie aber auch nur Mühe, genau zu formulieren, was sie wollen. "Rote-Bete-Beeze, Rote-Brete-Breze", sagt der eine und schwankt dabei leicht. Sie kommen aus einer nahe gelegenen Bar, wo sie offensichtlich nicht nur Alkoholfreies getrunken haben. Schließlich geben sie auf und widmen sich einem neuen Wort. "Eierschalensollbruchstellenverursacher." Den gibt es im Kiosk nicht. Dann ziehen sie ab, ohne etwas gekauft zu haben.

Kurz nach Mitternacht ist nur noch Vesely im Kiosk. Kehr ist nach Hause gegangen, um sich hinzulegen. Um sechs Uhr beginnen die Frühschicht und der Ansturm auf Kaffee und frisches Gebäck. Derzeit schlafen die beiden höchstens vier von 24 Stunden. Noch beschäftigen sie nur vier Mitarbeiter, bald soll die Zahl auf zehn anwachsen. Bis dahin sind Kehr und Vesely mit der Arbeit im Geschäft und der Organisation des Kiosks voll eingedeckt. Und dort gibt es noch einiges zu tun.

Ein Plastikschlauch an der Kaffeemaschine führt zu einem großen Kanister, der am Boden steht. Die Wasserbehälter müssen Vesely und Kehr einzeln in den Kiosk wuchten. Der Anschluss ans Trinkwassernetz fehlt noch. "20 Zentimeter unter uns ist ein Wasseranschluss, das wäre nicht das Problem", sagt Vesely, "aber der gehört der Münchner Verkehrsgesellschaft, und die will ihn uns nicht benutzen lassen". Er reibt sich die Augen. Kurz sind die dunklen Schatten darunter zu sehen, die sonst von einer Brille kaschiert werden. Der Moment ist schnell vorüber. Vesely ist mit der Anordnung im Kiosk unzufrieden. Toast neben Tampons, das passt nicht. Er schnappt sich das Brot und stellt es neben eine Packung Tee.

Bald soll es auch noch Souvenirs und Stadtpläne für Touristen geben. Einen "Seppl-Hut" will Vesely aber nicht ins Sortiment aufnehmen. "Lieber schicke Anstecknadeln oder hübsche Bierkrüge", sagt er. Tipps hat Vesely sich von den Verkäufern auf der Wiesn geholt. Der Kiosk soll Anlaufstelle für Münchner und Touristen sein. Später in dieser Nacht kommt noch eine Gruppe asiatischer Männer in Anzügen zum Würfel, um auf Englisch nach dem Weg zu einem nahe gelegenen Café zu fragen.

"Schön, dass es euch gibt"

Zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh herrscht durchgehend Betrieb. Die meisten kaufen sich Bier für eine Privatfeier oder Zigaretten. Ein Pärchen bleibt stehen, vom Würstchen-Duft angezogen. Die beiden bestellen sich zwei Hotdogs. Statt Senf oder Ketchup gibt es dazu Sauce von Sternekoch-Tochter Véronique Witzigmann. Und eine brünette Frau um die vierzig in edlem Wintermantel holt sich noch schnell die neueste Ausgabe einer Frauenzeitschrift für einen entspannten Sonntag auf der Couch.

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Ein alter Mann betrachtet einige Minuten stumm das Treiben vor und in dem grünen Würfel. "Ihr seid die Neuen, die die ganze Nacht auf haben", sagt er dann und fügt hinzu: "Schön, dass es euch gibt." Dann steigt er auf sein klappriges Herrenrad und fährt weiter. Nicht ohne zu versprechen, dass er bald einmal vorbei kommen werde, um auch etwas zu kaufen. Er ist nicht der einzige, der sich über die neue Einkaufsmöglichkeit an der Münchner Freiheit zu später Stunde freut. "Es kommen viele dieser ,Seher' vorbei", sagt Vesely, "sie haben im Radio oder in der Zeitung von uns erfahren". In München ist ein 23-Stunden-Kiosk eben immer noch eine Attraktion. Einen weiteren findet man an der Reichenbachbrücke. Die Betreiber sind seit Jahren mit Kehr und Vesely befreundet. Für den bekannten Reichenbach-Kiosk habe er schon das Marketing gemacht, sagt Vesely.

Inzwischen ist es Viertel nach zwei. Nur noch wenige Leute stehen am Busbahnhof - normaler Betrieb also zu dieser Uhrzeit. Vesely hat sich sein Tablet bereit gelegt. Die eine Stunde, in der das Verkaufsfenster geschlossen bleibt, will er nutzen, um sich damit einen Film anzusehen. "Eigentlich sollte ich die Kasse weiter programmieren", sagt er. Die enthalte längst noch nicht alle Artikel des Sortiments. Es ist Veselys erste Nachtschicht im Kiosk. "Ich habe jetzt schon nur noch drei Schachteln Gauloises im Regal", sagt er. Da müsse er sich für morgen etwas einfallen lassen. Doch erst einmal wird um drei Uhr nachts das grelle Grün des Würfels ein wenig herunter gedimmt. Eine Stunde lang wird keiner Zigaretten kaufen.

© SZ vom 15.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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