Neuer Bildband:München zur blauen Stunde

Geheimnisvoll und ungewohnt: Sigi Müller ist fasziniert von der "blauen Stunde". Der Fotograf macht seine Aufnahmen in der Dämmerung - und hat einen ganz besonderen Lieblingsort für seine Bilder.

Von Sabine Buchwald

Wenn die Nacht den Tag oder der Tag die Nacht ablöst, dann kann das tröstlich sein oder auch traurig. Manchmal ist es vor allem wunderschön anzusehen. Der Fotograf Sigi Müller liebt diese Zeit der Dämmerung, wenn sich die Umgebung in sattes Blau einhüllt. Voraussetzung für dieses Naturereignis ist ein möglichst klarer Himmel. Um es optimal zu fotografieren, braucht es Lichtquellen, die Kontraste setzen. Seit vielen Jahren schon beobachtet Müller das Phänomen der "blauen Stunde" und hält es fest mit seiner Kamera.

Müller wohnt in München und arbeitet überwiegend hier. Ein Grund, weshalb er diesen Übergang von Hell auf Dunkel (oder umgekehrt) oft in dieser Stadt erlebt, die er als eine der "schönsten der Welt" empfindet. Er ist zum Sammler von blauen Stunden geworden, von Szenen in "Sigis Licht". "So nennen meine Freunde diese Übergangsmomente", sagt Müller. Sie wüssten, wie sehr sie ihn begeistern. Eine Auswahl der vielen Aufnahmen, die in den vergangenen fünf Jahren entstanden, hat der Fotograf zu einem Bildband (Münchens Blaue Stunde. Ein Spaziergang mit Sigi Müller. München Verlag, 2014, 128 Seiten, 19,95 Euro) zusammengestellt, der soeben erschienen ist.

Faszination für die blaue Stunde

Ihn habe das Licht der blauen Stunde schon immer fasziniert, sagt der 58-Jährige, so wie er die Nachtbilder von Caspar David Friedrich und Vincent van Gogh bewundere. Ihre Gemälde haben ihn schlussendlich inspiriert, sich dem Kommen und Gehen von Nacht und Tag fotografisch zu nähern. Die meisten Bilder macht Müller spontan. Und doch ist der Fotograf, wenn er durch München geht oder fährt, nicht unvorbereitet. In der Regel hat er einen Rucksack mit Kamera, zwei Objektiven und einem kleinen Blitz dabei, meist auch ein Stativ, das ihm längere Belichtungszeiten ermöglicht.

Denn so einfach ist es nicht, dieses satte Blau zu erwischen. Man müsse die blaue Stunde spüren und verstehen, das heißt, den richtigen Zeitpunkt erkennen, sagt Müller. Er bahnt sich an, wenn die Konturen ihre Schärfe verlieren. Für ihn sei die beste Zeit zum Fotografieren am Abend, sagt Müller. Das hat damit zu tun, dass er nicht gern früh das Bett verlässt. Zum anderen sind die Gegebenheiten günstiger: Straßenlaternen schalten sich an, Lichter in Schaufenstern und Wohnungen dringen nach draußen. Kein Wunder also, dass die Fotografien in Müllers Buch allesamt nach Sonnenuntergang entstanden sind. Das Bild etwa am Isarstrand mit feiernden Menschen, wo ein singuläres Feuer Helligkeit und optische Wärme spendet. Und so auch weitere Isarbilder, die den Stadtfluss zum Spiegel werden lassen für Lichtquellen, die bizarre Muster auf der Wasseroberfläche bilden.

Die Stadt wirkt unaufgeregter

Einer von Müllers Lieblingsplätzen in der Stadt ist der Turm des Alten Peter. Er kenne den Ausblick bei jedem Wetter, und genieße ihn bei Regen und Kälte, weil er dann ungestört sei, wenn abends "die Stadt leiser wird", wie er sagt. Im 14. Stock des Kirchturms ist ihm eines der stimmungsvollsten Bilder des Buches gelungen: Die Zacken des Rathauses strahlen in hellem Braun mit den Türmen der Frauenkirche um die Wette, das eiserne Gitter rings um den Austritt des Alten Peter wirft ein ornamentales Zeichen an die Wand.

Neuer Bildband: Sigi Müller muss den richtigen Zeitpunkt für seine Dämmerungsfotos abwarten. Er bahnt sich an, wenn die Konturen ihre Schärfe verlieren.

Sigi Müller muss den richtigen Zeitpunkt für seine Dämmerungsfotos abwarten. Er bahnt sich an, wenn die Konturen ihre Schärfe verlieren.

(Foto: oh)

Zu sehen ist München in Müllers Buch sprichwörtlich in einem anderen Licht. Die Großstadt wirkt unaufgeregter, ihre bekannten Sehenswürdigkeiten geheimnisvoll und ungewohnt. Das Auge muss oft länger verweilen, um das Bekannte heraus zu schälen. So wird etwa die Hackerbrücke wieder zu dem, als was sie einmal galt: zu einer spannenden Konstruktion.

Müller lebt seit mehr als 30 Jahren in München. Anfang der Achtzigerjahre kam er von Hessen nach Bayern. Vielleicht brächte er als Einheimischer nicht die Neugier mit, die ihn als Fotografen auszeichnet. Festlegen lässt er sich nicht, sein Portfolio ist umfangreich: Als Fotograf ist er auf Rockkonzerten genauso wie auf dem Fußballplatz unterwegs. Auffällig aber ist, dass er das Blaue immer wieder findet, das auch Gottfried Benn und Ingeborg Bachmann beschäftigt und angeregt hat, über Liebe und Schweigen zu sinnieren.

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