Neue Technik:Alarm per Airbag

Peugeot und ein Münchner Dienst bieten ein neuartiges automatisches Notrufsystem an: Platzt der Airbag sendet der Wagen eine SOS-sms an die Notrufzentrale. Innerhalb kürzester Zeit sind so die Rettungskräfte an der Unfallstelle.

Es war irgendwo im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet auf einer kleinen verschneiten Bergstraße. Die Fahrbahn war spiegelglatt und Pierre F. fuhr betont vorsichtig. Trotz geringer Geschwindigkeit kam sein Wagen in einer Kurve ins Schleudern und fuhr die Böschung hinab. Das Auto prallte gegen einen Felsen, ein Airbag zündete. Dann drehte sich der Wagen auf das Dach. Der 50-jährige Fahrer war angeschnallt und hing kopfüber im Gurt.

Unfall auf der A60

Bei Unfällen wie diesem auf der A60 können durch die neue Technik kostbare Minuten bis zur Rettung gewonnen werden.

(Foto: Foto: ddp)

Genau so erging es einem 13-jährigen Mädchen auf dem Beifahrersitz. Die 51-jährige Frau auf dem Rücksitz war nicht angegurtet und lag schmerzvoll zusammengekrümmt mit einem Schlüsselbeinbruch auf dem Rücken. Wer sollte in dieser ziemlich einsamen Gegend das verunglückte Fahrzeug schnell genug entdecken, bevor die beißende Kälte die eingeklemmten und schockierten Insassen lähmen würde?

Doch keine 30 Minuten später war die Feuerwehr mit geeignetem Bergungsgerät zur Stelle, gleichzeitig traf auch der Notarzt ein. Denn das Fahrzeug von Pierre F. war mit einem neuartigen automatischen Notrufsystem ausgerüstet, das mit dem Zünden des Airbags trotz der abgebrochenen Dachantenne eine Alarmmeldung an die Zentrale der Inter Mutuelles Assistance (IMA) in der Münchner Triebstraße abgesetzt hatte. Dort wurde in Sekunden die exakte Unfallposition bestimmt und die nächstgelegenen Rettungsstation informiert.

Dieses Szenario ist keine Zukunftsmusik, die Geschichte hat sich im letzten Winter so zugetragen. Pierre F. fuhr auch kein mit allem elektronischen Schnickschnack ausgestattetes Auto der Luxusklasse, sondern einen gebrauchten Peugeot 206 mit dem werksüblichen Navigationsgerät RT3. Für den französischen Automobilhersteller ist diese besondere Form der Sicherheit ein kostenloses Angebot an seine Kunden.

Demokratisierung der Unfallhilfe

Auch andere Hersteller bieten ähnliches an, aber oft nur in der automobilen Oberklasse und bisher stets mit nicht unerheblichen Jahresgebühren verbunden. Peugeot ist der erste Hersteller, der so etwas in dieser Komplexität gratis anbietet. Der Konzern sieht sich als weltweiter Vorreiter einer wichtigen technischen Neuerung, ähnlich wie beim Dieselrußfilter. Weil sie nun nicht mehr für exklusive Kreise reserviert ist, spricht er von einer "Demokratisierung" der schnellen Unfallhilfe.

Dass für alle deutschsprachigen Kunden die Notrufplattform in München liegt, hat mit einer Organisation zu tun, die öffentlich allerdings weitgehend unbekannt ist: Die IMA Deutschland wurde 1991 gegründet und ist die deutsche Tochter eines in zahlreichen Ländern agierenden Unternehmens, das wiederum vor zwei Jahrzehnten von mehreren großen französischen Versicherungen gegründet wurde. In ihrem Auftrag erbringt sie Hilfeleistungen für deren Mitglieder vor allem in den Bereichen Medizin und Technik.

In Deutschland bedienen sich zum Beispiel die HDI-Versicherung oder die Postbank als bekannteste Großkunden dieser Assistance-Plattform. Und eben auch die PSA-Gruppe mit den Herstellern Peugeot und Citroen. Für diese wird neben den automatischen Notrufen auch eine gleichfalls lokalisierte Pannenhilfe abgewickelt, oder bei komplizierten Werkstattproblemen die zentrale Ferndiagnose. Im letzten Jahr haben in München 58 Mitarbeiter fast 53 000 Assistancefälle bearbeitet.

SMS nach SOS

Peugeot zusammen mit IMA haben damit bereits heute ein Autofahrer-Notrufsystem im Angebot, wie es nach 2009 in der gesamten EU Pflicht für alle Neufahrzeuge sein wird. Bei einem Unfall soll dieses "eCall"-System, automatisch oder auch manuell ausgelöst, eine Notrufnummer wählen und den genauen Unfallort übermitteln.

Auf einer Tagung der EU-Initiative "eSafety" Anfang des Jahres, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Zahl der Todesopfer im Straßenverkehr in Europa bis 2010 zu halbieren, haben sich Vertreter der EU-Mitgliedstaaten und der Industrie auf einen entsprechenden Aktionsplan verständigt, der nach seiner Umsetzung alljährlich rund 2000 Menschenleben retten helfen soll.

Bei Peugeot funktioniert das Notrufsystem, weil in die Navi-Geräte bereits ein Dualband-Telefon eingebaut ist. Der Nutzer muss lediglich die normale Sim-Card einschieben, die er auch in seinem Handy verwendet. Die Auslösung des Notrufs mit Standortbestimmung kann auf zweierlei Weise erfolgen: automatisch, nachdem ein pyrotechnisches Sicherheitselement, wie beispielsweise der Gurtstraffer oder ein Airbag ausgelöst wurde, oder manuell durch längeres Drücken der SOS-Taste im Armaturenbrett. Natürlich kann so auch ein Notruf abgesetzt werden, wenn der Fahrer etwa Zeuge eines Unglücks oder auch eines Verbrechens geworden ist.

Vorbeugung von unnötigen Rettungseinsätzen

In beiden Fällen wird, auch aus dem Ausland, sofort eine SMS an die rund um die Uhr besetzte Betreuungsplattform in München geschickt, mit deren Hilfe das Fahrzeug, der Kunde, die Telefondaten der Sim-Karte und der genaue Standort des Autos ermittelt werden können. Parallel dazu wird ein Telefongespräch mit dem Fahrer aufgebaut, um eine erste Bewertung der Situation zu ermöglichen.

So wird auch unnötigen Rettungseinsätzen vorgebeugt. Erfolgt keine Rückmeldung, werden Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst unverzüglich zur Unfallstelle gesandt. Lokalisiert werden kann der Wagen aber nur, wenn die Verbindung vom Fahrzeug aus aktiviert wurde. Unbemerkt oder gegen seinen Willen geortet werden kann also niemand, versichert die Münchner IMA-Chefin Sylvie Poirier. Deshalb sei es auch nicht möglich, ein mit dem Notrufsystem ausgerüstetes gestohlenes Fahrzeug zu orten.

Derzeit ist der Dienst in Deutschland, Frankreich und Italien verfügbar, in Kürze auch in den Benelux-Staaten und Spanien. Vor allem neuere und Neufahrzeuge sind bereits zu einem großen Teil mit Navigationssystemen ausgerüstet. Alle Hersteller gehen davon aus, dass in wenigen Jahren "Navi" eine Selbstverständlichkeit ist - wie es zuletzt auch die Brems- und Antischleuderhilfen ABS oder ESP geworden sind.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: