Neue Konzernzentrale:Siemens baut ein Hauptquartier für alle Münchner

Der Weltkonzern will sich in seiner neuen Zentrale am Wittelsbacherplatz nicht abschotten, im Gegenteil: Der neue Stammsitz soll der Münchner Gesellschaft offen stehen.

Von Stefan Mühleisen

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München: Baustelle SIEMENS Zentrale am Oskar-von-Miller-Ring

Quelle: SZ

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Die zwei Blut-Buchen strecken kläglich ihre Äste in den kalten Märzhimmel. Als müssten sich die 50-Tonnen-Gewächse erst einmal von dem Schreck erholen, dass sie samt ausladendem Wurzelwerk in einen Hof zwischen eine trichterförmige Glasfassade geplumpst sind. Rundherum stemmen die Bauarbeiter lächelnd ihre Hände in die gelben Warnwesten, am breitesten lächelt Thomas Braun.

Er könnte jetzt sagen, dass auf der Baustelle der neuen Siemens-Konzernzentrale seit sechs Jahren nichts einfach so herumplumpst; er könnte zudem daran erinnern, dass es in München wohl keinen unpassenderen Ort für das Attribut "kläglich" gibt. Der Generalmanager für diesen kolossalen Bau in der Innenstadt stellt sich stattdessen vor, wie die dunkelroten Blätter der Bäume austreiben und viele Menschen - Mitarbeiter, Kunden, Bürger - in ihrem Schatten schnatternd an Café-Tischen sitzen. "Es wird ein Ort, an den die Münchner gerne hingehen", sagt er.

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Quelle: Robert Haas

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Thomas Braun strahlt die Gelassenheit eines Menschen aus, der weiß, dass er es bald hinter sich hat. Es ist die zufriedene Entspanntheit des Chef-Organisators, der das Mammutprojekt eines Weltkonzerns bisher erfolgreich gewuppt hat. In diesen Tagen geht die Großbaustelle für die neue Zentrale des Dax-Konzerns am Wittelsbacherplatz auf die Zielgerade.

Autokräne wuchten bis zu zehn Meter hohe Buchen und Bergahorne von den Ladeflächen, ein spektakuläres Schauspiel auch für die gut 600 Handwerker, die hier zugange sind. Sie sind mit Tausenden Details beschäftigt, nach den Grobarbeiten läuft nun der Feinschliff: Letzte Kabel müssen verlegt, Lampen angeschlossen, Kühlschränke in die Teeküchen, Möbel in die Büros geschleppt werden. Auf fünf Prozent schätzt Thomas Braun die Menge der finalen Verrichtungen bis zur Eröffnung.

Die Technik in dem Hightech-Haus wird derzeit hochgefahren, dazu zählt auch die Fotovoltaikanlage auf dem Dach, die ein Drittel des Energiebedarfs decken soll. Laut Braun sollen in den Monaten Juni und Juli planmäßig alle 1200 Mitarbeiter einziehen. Zeit- und Kostenplan würden unverändert eingehalten, betont er.

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Quelle: SZ

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"Unverändert" und "einhalten", das sind die Schlüsselworte für eine Kernbotschaft, die Braun bei einem Rundgang auf der Baustelle vermitteln will. Sie lautet: Siemens hält sein Versprechen. Das Unternehmen hatte versichert, das neue Hauptquartier im Herzen Münchens nicht abzuschotten, im Gegenteil. Transparent, luftig und lebendig soll der neue Firmensitz sein, eine Art semiöffentlicher Raum (im Bild: eine Simulation des fertigen Gebäudes).

"Wir wollen als attraktives Innenstadtquartier ein Teil der Gesellschaft sein", sagt Thomas Braun. Die Ankunft der massiven Bäume - sie sind bis zu 35 Jahre alt - will Siemens offenbar als sichtbares Symbol des Worthaltens verstanden wissen. Sonst würde sich Braun wohl nicht in einer Pressemitteilung mit den Worten zitieren lassen, die Bepflanzung "unterstreicht den für uns wichtigen Aspekt der Offenheit". Sieben der Gewächse werden auf die drei Innenhöfe verteilt, fünf sind für die Freifläche am Oskar-von-Miller-Ring vorgesehen, dazu kommen drei weitere in der Finkenstraße.

München: Baustelle SIEMENS Zentrale am Oskar-von-Miller-Ring

Quelle: Johannes Simon

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Die Bäume sind mehr als nur Beiwerk in der ohnehin kompakt-offenen Architektur des dänischen Büros Henning Larsen. Der hochmoderne Bau ist an das vollständig restaurierte historische Ludwig-Ferdinand-Palais angedockt und damit sanft ins Altstadtensemble eingepasst. Durch das Gebäude mit einer Fläche von 45 000 Quadratmetern führen im Erdgeschoss verschlungene Passagen in Innenhöfe, gesäumt von Cafés und einem Restaurant, sowie durch ein mit einem transparenten Dach überspanntes Atrium; 90 Prozent der ebenerdigen Flächen sollen öffentlich zugänglich sein.

Der Komplex kann damit als Brücke vom Wittelsbacherplatz zum Oskar-von-Miller-Ring fungieren. Und genau davon waren die Stadtspitzen von Anfang an begeistert. Denn damit wird eine dringend nötige und noch dazu mondäne Wegeverbindung von der Innenstadt zum Kunstareal möglich. "Wir wollen einen starken Impuls setzen. Eines der zentralen Themen war von Anfang an die Durchwegung zum Kunstareal", sagt Braun. Sonst, so fügt er hinzu, hätte Siemens seine neue Zentrale ja auch am Stadtrand bauen können.

München: Baustelle SIEMENS Zentrale am Oskar-von-Miller-Ring

Quelle: Johannes Simon

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Er hätte auch sagen können, dass der Technologiekonzern mit seinem funkelnagelneuen Stammhaus ein neues Aushängeschild für die Stadt an den Altstadtring pflanzt. Doch das wissen jene, die in der Stadtgestaltung etwas zu sagen haben, ohnehin. Und deshalb war von denen wohl auch nur kaum hörbare Kritik zu vernehmen. Faktisch ragt das Obergeschoss der neuen Zentrale über das historische Ensemble hinaus, vom Wittelsbacherplatz aus ist das deutlich zu sehen. Mutmaßungen über den Verstoß gegen Auflagen waren zeitweise laut geworden. Braun könnte dies jetzt kläglich nennen, er benutzt aber lieber das Wort "absurd". Zentimetergenau sei der Gebäudekorpus definiert worden, "in enger Abstimmung mit der Stadt".

München: Baustelle SIEMENS Zentrale am Oskar-von-Miller-Ring

Quelle: Johannes Simon

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Er lächelt jetzt wieder. Die Gebäudehöhe ist nach seiner Wahrnehmung kein Thema in der Nachbarschaft, auch nicht beim Verein Brienner Quartier, einem Zusammenschluss von ansässigen Geschäftsleuten und Gastronomen. Andererseits bekommt Siemens nach seinen Worten viel Lob zu hören für die zehn Meter hohe und 300 Meter breite Schallschutzwand. Die hat der Konzern für viel Geld für die Bauzeit hochgezogen und zuletzt wieder abgetragen. Dazu geizt Siemens nicht mit außergewöhnlichen Details. Im zentralen Hof deutet Braun zur Decke des Durchgangs. "Das ist die Leitung für den Wasserfall", sagt er stolz und präzisiert: Eine Art Wasser-Vorhang soll das werden, an dem Siemensianer und Besucher vorbeiflanieren können von und auf dem Weg zum Kunstareal. Überhaupt, die Kunst.

München: Baustelle SIEMENS Zentrale am Oskar-von-Miller-Ring

Quelle: Johannes Simon

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An der Vorfahrt zu dem Bau am Oskar-von Miller-Ring wird voraussichtlich im Mai eine zehn Meter hohe Skulptur des bekannten Architekten Daniel Libeskind aufgestellt. Die flügelartig verschlungenen Alu-Platten sollen ein Signet des Konzerns sein; allerdings mochte sich die Stadtgestaltungskommission nicht recht begeistern für das Werk. Sperren wollte sich das Gremium aber auch nicht. Das Ergebnis: Die Experten finden die Skulptur nicht so passend, dulden sie aber.

Indes: Siemens hätte auch auf die Idee kommen können, profane Fahnenmasten mit Firmenbeflaggung aufzustellen. Und die Erdgeschoss-Bereiche neben der Plastik sind für Ausstellungen vorgesehen. Flaneure zum Museumsviertel stehen hier freilich vor der Barriere des Altstadtrings. Doch einen Vorschlag für einen spektakulären Brückenschlag gibt es bereits: Der Münchner Architekt Peter Haimerl schlägt einen eleganten Steg vor, der sich kühn bis zur St.-Markus-Kirche an der Gabelsbergerstraße spannt. Thomas Braun könnte sich jetzt vorstellen, dass die Siemens-Führung an der sanften Bogenform Gefallen findet, die womöglich kongenial mit der verschränkten Libeskind-Skulptur korrespondieren wird. Doch er lächelt nur. Und sagt: "Eine sehr schöne Idee."

© SZ.de/infu
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