Neue Heimat:So erleben geflüchtete Journalisten die Weihnachtszeit

Neue Heimat: Die SZ-Gastautoren zu Besuch auf dem Schwabinger Christkindlmarkt: v.l: Olaleye Akintola (aus Nigeria), Nasrullah Noori (Afghanistan), Lillian Ikulumet (Uganda) und Mohamad Alkhalaf (Syrien).

Die SZ-Gastautoren zu Besuch auf dem Schwabinger Christkindlmarkt: v.l: Olaleye Akintola (aus Nigeria), Nasrullah Noori (Afghanistan), Lillian Ikulumet (Uganda) und Mohamad Alkhalaf (Syrien).

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Verkäufer feilschen nicht, es gibt Perchten, "Pink Christmas" und einen Turban in der Krippe: Unsere Kolumnisten waren auf Weihnachtsmärkten unterwegs.

Report von Mohamad Alkhalaf, Olaleye Akintola, Lillian Ikulumet und Nasrullah Noori

Die Autoren der SZ-Kolumne "Neue Heimat" sind eine Woche lang als Adventsreporter unterwegs gewesen. Mohamad Alkhalaf aus Syrien hat den Gruselfaktor des Kirchseeoner Perchtenlaufs überprüft, Lillian Ikulumet aus Uganda recherchierte auf dem Schwulen-und-Lesben-Christkindlmarkt über unbefleckte Empfängnis, Olaleye Akintola aus Nigeria analysiert, wie afrikanisch die afrikanischen Leckereien auf dem Tollwood-Festival sind. Und Nasrullah Noori aus Afghanistan macht den Selbstversuch auf dem Kripperlmarkt: Wie viel Christlichkeit verträgt ein Muslim?

Unter Wilden in Kirchseeon

Indianer in Bayern? Das war mein erster Gedanke, als ich die eigenartigen Gestalten in den Straßen Kirchseeons sah. Das Feuer, der Lärm, die fremden Geräusche - all das machte mir irgendwie Angst. Ich hatte keine Ahnung, dass das Auftauchen dieser wilden Figuren organisiert ist und die Gestalten jedes Jahr zur gleichen Zeit im Dorf unterwegs sind. Für mich war das ein gefährlich anmutendes Chaos. Ihre Fackeln und ihre Fratzen erinnerten mich an Gestalten, die in Rakka zwischen den Rauchbomben durch die Dunkelheit huschten.

Meine erste Begegnung mit den Kirchseeoner Perchten hatte ich in Begleitung einer Freundin aus dem Ort. Ich ärgerte mich sehr, als ein Percht auf sie zukam und ihr Gesicht mit Kohle verschmierte. Ich wollte ihr helfen und versuchte den Angreifer zu verjagen. Nicht dass wir in Syrien auf Schmierereien verzichten, in meiner Heimatstadt gibt es den Hochzeitsbrauch, dass Festgäste sich die Gesichter mit Ruß bemalen, allerdings nur die Männer.

Neue Heimat: Ein Beispiel für eine Kirchseeoner Perchte, aufgenommen im Jahr 2015.

Ein Beispiel für eine Kirchseeoner Perchte, aufgenommen im Jahr 2015.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Frauen sind ein Tabu, die berührt man nicht, auch nicht, um ihnen Ruß ins Gesicht zu schmieren. Was für mich demnach eine tapfere Tat war, empfand meine Begleiterin weniger mutig, eher amüsant. Sie lachte und erklärte, dass ich ein Depp sei - und dass alles nur Spaß war.

Um den Zweck dahinter zu verstehen, die Perchten und die Tradition im Ort, hilft es, sich mit Einheimischen zu unterhalten. So begann ich zu verstehen, dass ich hier keine Outdoor-Geisterbahn erlebte, sondern Kultur, bayerisches Brauchtum, Tradition, die über Jahrhunderte entstanden ist und nicht die Geister heraufbeschwören soll, sondern sie verjagen will. Trotz Dunkelheit und Frost folgten die Menschen dem wilden Zug, ihr Brauch ist den Einheimischen in der Region wichtig.

Perchten sind zwar unheimlich hässlich, aber vielleicht liegt genau darin ihre Ästhetik. Einer der Perchten trug eine Bärenmaske, er erinnerte mich an Balu aus dem Dschungelbuch. Als er seine wollige Pranke auf meine Schulter legte, fühlte ich mich plötzlich so wie einst Mogli. Dieser Percht musste die ehrliche Furcht in meinen Augen erkannt haben. Ansonsten wäre er ein schlechter Percht. Denn die oberste Regel lautet: Je grässlicher und fürchterlicher ein Percht daherkommt, desto besser - vielleicht stinken manche Perchten deshalb auch so. Mit ihren schweren Stiefeln, lauten Kuhglocken, wilden Holzmasken und zotteligen Fellmänteln vertreiben sie in den dunklen Monaten die bösen Geister, so erzählen es sich die Leute. Manchmal denke ich mir, wie sehr wir doch so einen Percht in Syrien brauchen könnten. Einen besonders grausigen, der all die schrecklichen Geister verjagt. Mohamad Alkhalaf​

Winter-Tollwood: Nachhilfe für die Marktflüsterer

Es hieß, es gibt diesen einen Markt, da finde man weniger die Traditionalisten, eher die Alternativen, Münchens Jungvolk und sogar Händler, die afrikanische Waren verkaufen. Also entschied mich für einen Trip zum Tollwood-Festival. Ich nahm 25 Euro mit, das musste locker reichen. Märkte im Freien verbinde ich mit Sonderangeboten, wer würde schon draufzahlen, wenn er unter freiem Himmel friert.

Sofort fiel mir das Schild mit der Aufschrift "Bazaar" ins Auge - dies musste der Platz sein, wo es am günstigsten ist. Ich hatte auf ein Paar Schuhe und vielleicht noch ein günstiges T-Shirt spekuliert, und lernte sogleich dazu. Im "Bazaar" verkaufen sie zwar Armbänder, Kränze, Perlenketten, Webstoffe und Kleidung - allerdings zu exorbitant hohen Preisen.

Gekauft habe ich also nichts, so wie die anderen. Ich hatte Mitleid mit den Händlern, die hinter ihren Ständen warteten und auf ihren Taschen und Ketten sitzen blieben. Einige von ihnen flüsterten den Passanten etwas zu, aber das funktionierte nicht. Vielleicht täte eine Nachhilfestunde auf einem nigerianischen Markt in Lagos gut, dort sind manche Marktschreier so penetrant und aufdringlich, dass man sich gar nicht traut, ihre Waren zu verschmähen.

Das Interesse der Tollwood-Gäste gilt fast ausschließlich den Speisen und Getränken. Einerseits ist es seltsam, dass sich die Menschen bibbernd mit Gefäßen vor Zelte stellen und teuer dafür bezahlen. Anderseits ist es plausibel, viele Münchner trauern noch dem Oktoberfest nach. Wenig Aufschlüsse gab dieser Abend darüber, was all diese Märkte mit Weihnachten zu tun haben sollen. Welcher Sinn dahinter stecken soll, wenn man das ganze Essen und all den Wein schon vor dem Fest vertilgt.

Vielleicht ist es das Phänomen der Schlaraffen: Die Bayern wissen halt, wie man aus einem Event ein Geschäft macht, und vielleicht ist es Teil der Integration, wenn man das akzeptiert. Also spazierte ich ins Esszimmer-Zelt, es hieß, man soll hier exotisch speisen können. Und tatsächlich: Mitten auf der Theresienwiese verkaufen sie afrikanisches Essen - zumindest suggerieren dies die Stände.

Der Marokkaner ist allerdings nur was für Vegetarier, und der Äthiopier und der Namibianer haben sich auffällig gut an die soßigen Speisen der Bayern angepasst. Fleisch, dem man ansieht, dass es von einem Tier stammt, findet man dort keines. Am Ende tröstete ich mich mit einer kleinen Reisschale mit Kidney-Bohnen. Danach wusch ich mir die Hände, die ich im Prinzip nicht benutzt hatte - welch eine Wasserverschwendung. Zum Trost eilte ich zum nächsten Glühwein-Stand. Olaleye Akintola

Pink Christmas und eingekesselt von Jesuskindern

Pink Christmas in München, 2014

Besucher auf dem schwul-lesbischen Weihnachtsmarkt "Pink Christmas" am Stephansplatz im Münchner Glockenbachviertel.

(Foto: Robert Haas)

Pink, überall pink: Pinke Schokolade, pinke Süßwaren, pinkes Lametta an pinken Christbäumen. Szenarien wie diese wären in meiner früheren Heimat nicht nur undenkbar gewesen, sondern bei Strafe verboten.

Dabei ist es doch recht einleuchtend, dem grauen Winter all diese helle Farbenpracht entgegenzusetzen, wie beim "Pink Christmas Market" im Münchner Glockenbachviertel. Und wenn es schon keine "weiße Weihnachten" mehr in München gibt (ich habe es in fünf Jahren noch nicht erlebt), dann wäre Pink doch zumindest eine Alternative.

Obwohl es an diesem Abend so kalt war, dass sich Eiszapfen in meinen Haaren verhakten, ließen sich die Leute nicht davon abhalten, auf den Markt zu strömen. Ich habe selten einmal so viele gut aussehende junge Männer und Frauen in München gesehen. Lauter potenzielle Marias und Josefs. Nur, dass nicht jeder Josef und jede Maria mit der Gnade der Maria von damals gesegnet ist, die ihr zur übernatürlichen Geburt eines Sohnes verholfen hat.

Wer den Christkindl-Flirt zur Nachwuchsplanung nutzen will, der ist auf dem Pink Christmas Markt eher verkehrt, könnte man meinen. Schade, wo es doch in der Weihnachtszeit um Geschenke geht, und wo Kinder doch als das schönste Geschenk überhaupt gelten. Oder doch nicht?

Ganz so streng sind sie da im Glockenbachviertel nicht. Je später der Abend wurde, desto besser schmeckte der Glühwein, und desto mehr wurde klar, dass sich die Gäste des Pink Christmas Markts nicht auf Gebete beschränken wollten. Und als der Abend vorbei war, da schlenderte ein schwul-lesbisches Pärchen zusammen Hand in Hand in die Nacht hinaus. Lillian Ikulumet

Marienplatz: Eingekesselt von Jesuskindern

Vom Christkindlmarkt hatte ich schon gehört, aber der Kripperlmarkt in der Neuhauser Straße war für mich doch etwas ganz Neues. Welch eigenartige Tradition, in der Vorweihnachtszeit Spielzeugfiguren in Markthütten zu verkaufen: ein Stall, ein geschnitztes Neugeborenes, eine Frau in Lumpenkleidung, Ochse und Esel, Schafe, Hirten und Engel - religiöse Symbole, mitten in der Fußgängerzone. Wenn man sich nicht gerade in eine Kirche setzt, gibt es für einen gläubigen Muslim kaum eine direktere Konfrontation mit dem Christentum, als eingekesselt von Jesuskindern, Hirten und Engeln zu sein.

Auf dem Münchner Christkindlmarkt gibt es so gut wie jedes Detail, damit man sich sein Wohnzimmer entsprechend christlich einrichten kann, sogar eine Krippe mit echtem Stroh, wo man das Jesuskind hineinlegen kann. Ich war überrascht über die Preise: Eine Krippe kostet mehr als 200 Euro, noch ohne die Figuren.

Ich wollte mich nicht unnötig verschulden und bereitete mich auf einen erbitterten Handel vor. Ich fragte eine Verkäuferin, was sie für eine kleine Holzkuh haben wolle. "32 Euro", war die Antwort. Ich fragte, ob sie mit dem Preis heruntergehen könne, sie lachte und sagte: "Tut mir leid. Hier gelten nur Festpreise." In Afghanistan wäre die Händlerin erbost gewesen, hätte ich nicht um den Preis gefeilscht.

Bei der Annäherung an Christen hilft, wenn man nicht auf seine Gewohnheiten besteht - und wenn man weiß, dass auch wir Moslems an Jesus glauben. Im Koran wird er 25 mal erwähnt, seine Geburt in Palästina steht in Sure 19 geschrieben. Maria hat dort ihr Kind nicht im Beisein eines Zimmermanns zur Welt gebracht, sondern ganz alleine, mitten in der Wüste, unter einer Dattelpalme. Gleich nach der Geburt hat das Kind sich der Mutter als "Diener Allahs" vorgestellt, so glauben es wir Muslime. Der Glaube versetzt Berge, und manchmal überbrückt er auch Sprachbarrieren.

In Bayern erzählen sie die Geschichte, dass Jesus in einem Stall geboren ist. Wie der Stall ausgesehen haben soll, interpretieren sie am Münchner Kripperlmarkt verschieden, jeder Stand hat einen eigenen Stil, eigene Materialien und Stoffe - und doch haben sie alle etwas gemeinsam: Die Figuren in einer Krippe sind ähnlich gekleidet wie die Oktoberfestbesucher, mit Dirndlgwand und Schürze. Beim genaueren Hinsehen erkennt man aber, dass manche Krippenfiguren keine Trachtenhüte tragen, sondern einen Turban. Nasrullah Noori

​Übersetzungen aus dem Englischen von Korbinian Eisenberger

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