In diesen Wochen erinnert mich Bayern an eine große Backstube. Es duftet in den Häusern, und es fällt schwer, sich zusammenzureißen. Wenn man selbst nicht mit dem Talent eines Bäckermeisters gesegnet ist, dann kann man auf den Christkindlmarkt ausweichen, da lernt man viele neue Dinge kennen.
Man bekommt dort zum Beispiel Figuren aus Zahnstochern und getrockneten Früchten. Eine Frau schenkte mir so ein Männlein, ein Zwetschgenmanderl, wie sie mir erklärte. Man solle ein Zwetschgenmanderl nach Möglichkeit nicht verspeisen, hieß es, weil dem Männlein sonst Arme und Beine fehlen.
Nicht jedes Zwetschgenmanderl ist schön, und da ich nicht wusste, welche Symbolik dahintersteht, argwöhnte ich, dass sich meine Gönnerin mit ihrem Geschenk einen Scherz mit mir erlaubte. Es handelte sich hier um ein besonders verschrumpeltes Exemplar, und wenn man sich nicht auskennt, so schaut es aus wie das Symbol eines schwachen Mannes. So etwas schenkt man keinem, vor dem man Achtung hat, dachte ich, und befürchtete schon eine gezielte Erniedrigung.
Das wäre ausgesprochen schade gewesen, denn für mich sind Statuen - egal ob aus Trockenfrüchten oder aus Metall - ein Symbol der Freiheit und des freien Geistes, quasi ein Geistesmanderl - das hat mit meiner Vergangenheit zu tun: In Syrien haben die Menschen ja auch sehr gerne Gestalten aus Holz, Datteln und getrockneten Pflaumen gebastelt, man sah sie in aller Regel in Häusern von Christen herumstehen.
Wer so ein Haus betreten hat, der erahnte, dass man sich hier noch traut, zu seinem Glauben zu stehen. Als dann die Mörder des "Islamischen Staats" kamen, wurde das jedoch gefährlich. Die Männer vom IS erlauben keinerlei Form von Statue, sie sehen darin fremde, bedrohliche Götter. Die Männer des IS haben viele syrische Zwetschgenmanderl mitgenommen oder zerstört.
In München und Umgebung haben die Menschen solche Sorgen nicht; hier machen sie sich zur Zeit eher Gedanken über Backbleche und Ausstechformen, und so mancher Hausfrau geht es nicht nur um die Form des Teiges, sondern auch darum, die Konkurrenz aus der Nachbarschaft auszustechen. Wer backt die schönsten Plätzchen? Wer bringt die meisten Sorten zustande? Wessen Vanillekipferl schmecken am süßesten?
Ein bisschen Weihnachtsverrücktheit schadet nicht
Es schien mir anfangs verrückt, aber ein bisschen was ist schon dran. Es gibt halt doch Unterschiede, ein Plätzchen kann trocken sein wie eine Reiswaffel in unserem Eckladen in Rakka. Es kann aber auch so saftig süß sein wie eine frische Feige vom Baum. Eines jedenfalls haben sie alle gemeinsam: Wer sich in der Adventszeit fleißig am Verzehr beteiligt, den kann man am Vierundzwanzigsten unter den Nadelbaum rollen.
Insofern hat das Zwetschgenmanderl auch seine Vorteile, weil man damit nicht seinen Appetit stillt, man isst ja auch keine Lebkuchenherzen vom Oktoberfest. Und auch wenn manche das Zwetschgenmanderl verunglimpfend verwenden, etwa um den Körperbau von hageren Männern zu untermauern, so braucht man nicht eingeschnappt sein, wenn ein Zwetschgenmanderl mal besonders eingedellt ist. Als die Frau mit dem Geschenk mein trauriges Gesicht sah, erklärte sie mir, dass es sich hierbei nicht um einen Affront, sondern um einen Glücksbringer handle.
Wer Glück bringt, muss nicht schön sein, und so steht mein bayerisches Zwetschgenmanderl nun bei mir in Kirchseeon auf dem Schrank und schaut schrumpelig und schief auf mich herab. Ich hoffe, es bringt mir tatsächlich ein bisschen Glück. Auf dass in diesen Plätzchen-reichen Tagen niemand gegen meinen Schrank rollt und mein Geistesmanderl zermatscht.