Neue Heimat:Schweine haben es nicht leicht

Mehr Wildschweine - Sorge wegen hohem Bestand

Wildschweine sind im Ebersberger Forst keine Seltenheit.

(Foto: dpa)

Weder in seiner syrischen Heimat, noch in Oberbayern, stellt unser Kolumnist fest. Als er die Wildschweine im Ebersberger Forst füttert, schimpfen ihn Deutsche wie Syrer gleichermaßen.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Morgens gehe ich gerne in den Ebersberger Forst zum Joggen. Eines Tages sah ich dort seltsame Monster. Zum Glück bin ich recht sportlich, sodass ich schnell auf einen Baum klettern konnte. Vom Baum aus beobachtete ich die Monster und versuchte leise zu atmen. Ich hörte, wie sie grunzten, sah ihre Stoßzähne und fasste den Entschluss, dass ich nicht wissen wollte, wie spitz sie sind. Ein arabisches Sprichwort sagt: "Mein Herz ist wie ein Vogel und hat Fell zwischen den Füßen." In dem Fall hörte ich mein Herz pochen, und hatte borstige Wesen unter den Füßen - nur leider keine Flügel.

Als die Monster endlich weg waren, bin ich wie ein Angsthase nach Hause gelaufen. Dort erzählte ich meiner Nachbarin von meiner Begegnung, und sie fing an zu lachen. In dieser Gegend würden sich nicht mal Kinder vor den Stoßzähnen fürchten, sagte sie und klärte mich auf. Das war nötig, denn in Syrien haben wir keine Wildschweine. Ich kannte das Wort Schwein bisher nur als Schimpfwort. Im Krieg hört man die Leute diesen Begriff sagen, wenn es um den IS und Mossad geht.

Bei meiner Annäherung an Wildschweine fing ich mit dem Wildschwein-Nachwuchs an. Als ich das erste mal Frischlinge sah, musste ich an kleine Affen denken. Ich wollte ein Foto von ihnen machen, als plötzlich die Muttersau angelaufen kam und mich böse angrunzte.

Das Schwein ist ein gutes Unterscheidungsmerkmale zwischen Syrien und Deutschland. In meiner früheren Heimat werden Schweine verspottet, hier werden sie verzehrt - aber auch ein bisschen verehrt. Bayern wäre so wohl kaum vorstellbar ohne diese Geschöpfe. Der Landkreis Ebersberg müsste sein Wappen ändern, es gäbe keine Weißwürste, keinen Schweinsbraten und wahrscheinlich auch keinen Leberkäse. Bayerische Spezialitäten, auf die ich als Muslim verzichten muss.

Als Syrer darf man keine Wildschweine essen, in Bayern darf man ihnen dafür nichts zu fressen geben. Ich machte diesen Fehler einmal und drehte ein Video davon. Mein Nachbar erklärte mir, dass Füttern im Ebersberger Forst verboten ist. Da hatte ich das Wildschwein-Video aber schon auf Facebook hochgeladen und mir Schelte von meinen syrischen Freunden und Verwandten eingehandelt. Sie sagten, was mir einfalle, dass ich diesen schmutzigen Tiere Essen gebe. Schweine haben es nicht leicht in Syrien, in Oberbayern aber auch nicht. Wer will schon dafür leben, irgendwann mal auf einem Teller zu enden?

Die Kinder geben den Frischlingen Namen

Wie Schweinefleisch schmeckt, soll man als Muslim eigentlich nicht herausfinden, aber manchmal läuft es anders als geplant. Ich hatte mir ein leckeres Rindsgulasch zubereitet und alles verputzt, bis zum letzten Happen. Dieses Rind war unheimlich nahrhaft, diese Marke musste ich mir merken, dachte ich mir, also schaute ich noch mal auf die Verpackung. Beim Lesen stellte ich fest, dass ich ein astreines Schweinenackensteak verzehrt hatte. Ich hoffe, mir wird verziehen.

Mittlerweile kenne ich die Wildschweine ganz gut, und sie mich auch. Manchmal rede ich mit ihnen - also ich rede und sie grunzen zurück. Und es kommen Kinder an den Waldrand in Kirchseeon, nehmen die Frischlinge in den Arm und geben ihnen Namen. Wenn ein Schwein mal einen Namen hat, dann möchte man es nicht mehr essen. Ich kletter auch nicht mehr auf Bäume, sondern schaue ihnen ganz aus der Nähe beim Grunzen zu, diesen seltsamen Kreaturen. Man sollte IS-Kämpfer wirklich nicht mit Schweinen vergleichen. Es wäre eine Beleidigung für alle Säue und Eber.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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