Neue Heimat:Sport ist der erste Schritt zur Integration

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Sport verbindet, wie hier bei einem Fußballturnier mit Flüchtlingen im Berufsschulzentrum an der Nordhaide. (Foto: Florian Peljak)

Dadurch hat unser Kolumnist sogar ein bisschen Bairisch gelernt - und auch, dass Geschlechtertrennung hier keine Rolle spielt.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Als ich in Deutschland ankam, sprach ich wie die meisten Flüchtlinge kein Wort Deutsch. Also habe ich mich mit meinen Händen und Füßen ausgedrückt. Diese Sprache beherrscht fast jeder, es ist ja auch die internationale Sprache der Sportler. Mit dieser Sprache, der Sprache des Sports, machte ich meine ersten Schritte zur Integration.

Meine vorherige Wohnstätte war passenderweise eine Turnhalle, und über den Helferkreis lernte ich den Jogger Marcel kennen. Marcel wurde mein Freund, er kam immer in aller Früh und warf mich aus dem Bett - dann sind wir Laufen gegangen. Beim Laufen nimmt man die Natur besonders intensiv wahr, die Bäume, die Rehe, die Pferdehöfe. So etwas gab es in meiner alten Heimat praktisch nicht.

In Syrien wird Laufen als befremdlich wahrgenommen, dort zählt nur Fußball als ernst zu nehmender Sport. Wenn sie dich in Syrien auf der Straße laufen sehen, dann denken sich die Leute: der spinnt. Ich habe trotzdem trainiert, und als ich 13 Jahre alt war, bin ich im einzigen Halbmarathon in meiner Region Zweiter meiner Altersklasse geworden. Zuschauer gibt es bei solchen Veranstaltungen praktisch nicht - also kein großer Jubel, aber egal. Denn ich hatte mich für die landesweiten Ausscheidungen qualifiziert, was für mich ein großer Erfolg war. Meine Eltern und mein Lehrer sahen das anders. Ihnen waren die Schulnoten wichtiger, deshalb durfte ich nicht mitmachen.

18 Jahre und eine lange Reise nach Oberbayern liegen zwischen dieser Erinnerung und dem Jetzt. Hier in Deutschland hat Sport einen ganz anderen Stellenwert. Hier gibt es unzählige Gelegenheiten, allein für Hobbyläufer oder Triathleten werden jede Woche Events abgehalten. Im Herbst 2015 hin ich selbst zum ersten Mal bei einem Wettkampf an den Start gegangen. Beim Schweiger Forstlauf im Osten von München habe ich bei den Ü 30-Startern den siebten Platz belegt, die Zuschauer am Streckenrand haben mir zugejubelt. Am Abend haben sie im Helferkreis ein Fest für mich organisiert. Und das, obwohl ich nicht gewonnen hatte.

Über den Sport habe ich viele Menschen kennengelernt. Wenn man zusammen über die Felder und Wege läuft, dann schafft das eine gemeinsame Ebene, auch wenn der eine Läufer deutsch spricht und der andere arabisch. Das ist nicht nur beim Joggen so, sondern auch bei Ballsportarten, die ich in Syrien nur aus Bildern und Filmen kannte. In Rakka und in Damaskus gibt es so gut wie keine Tennisplätze, und wenn mal irgendwo eine Tischtennisplatte rumsteht, dann ist diese immer besetzt, selbst wenn das Netz zerrissen ist. Als Kind fand ich das sehr ärgerlich, weil ich nie Tischtennis spielen konnte. Also habe ich mir eine Platte auf Papier gezeichnet und mit den Fingern eine Murmel verschoben.

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Als ich mit meinen Freunden aus Kirchseeon das erste Mal Tischtennis gespielt habe, war das natürlich etwas besonderes für mich. Anders als beim Laufen reicht es beim Tischtennis nicht, wenn man sich gemeinsam bewegt. Um die Punkte zu zählen, muss man sprechen, und damit einen keiner bescheißt, müssen alle, die mitspielen, das Zählsystem verstehen. Wir haben uns beim Zählen auf Deutsch und Arabisch abgewechselt. Und jeder war mal dran, auch die Frauen.

Während der Sport in Syrien die Geschlechter trennt - Frauen sollen keinen Sport machen -, vereint er in Deutschland die Menschen. Ich laufe und schwimme oft mit zwei Freundinnen, und währenddessen lerne ich von ihnen bayerische Vokabeln. Wenn mich meine daheimgebliebenen Freunde aus Rakka anrufe, und ich ihnen erzähle, dass ich mit Frauen zum Schwimmen gehe, dann denken sie, ich erzähle ihnen Märchen.

Übersetzung aus dem Englischen: koei

© SZ vom 26.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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