Neue Heimat:Sommerferien: Und das soll Erholung sein?

Camping am Gardasee, 2015

Zelte und Wohnwagen auf dem Campingplatz "Bavaria" in Riva del Garda.

(Foto: Johannes Simon)

Unser Kolumnist aus Nigeria hat noch nie Urlaub gemacht. Für ihn ist das ein geheimnisvolles Konzept - vor allem, wenn er sich die Anstrengungen manches Deutschen anschaut.

Von Olaleye Akintola

Keine Lehrer mehr, die peitschen, keine Glocke mehr, die klingt. "Good bye Lehrer, good bye Schulkameraden. Ich mach mir jetzt 'nen schönen Urlaub." In Nigeria sind diese Verse Teil eines Kinderlieds, das ich immer dann gesummt habe, wenn die großen Ferien anfingen. "Schöner Urlaub" bedeutete für mich und meine Mitschüler damals: keine Hausaufgaben, keine Lehrerhiebe. Keine Schule also; hier ähneln sich die großen Ferien meiner alten und neuen Heimat noch. Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten.

Die Liedzeilen hallen nach, gerade jetzt, wenn ich meine bayerischen Mitbürger dabei beobachte, wie sie sich auf ihren Urlaub vorbereiten. Die Menschen spannen Boote auf Anhänger, sie stopfen so viel in ihre riesigen Schlitten hinein, dass sie trotzdem zu klein sind für all die Surfbretter, Fahrräder und Kindersitze. Fast kommt es mir vor wie bei einem Wettbewerb, in dem es darum geht, wer am Ende die spannendste Geschichte erzählen kann, darum, wer in seinem Urlaub das größte Abenteuer erlebt hat.

Man hört dann Geschichten über Kroatien und Italien, über Tokio und Toronto, manche reisen im Flugzeug, manche segeln auf Yachten übers Meer. Alles, um sich von der Schufterei dieses mystischen Daseins der Deutschen zu befreien. Der Wesenskern der Deutschen sieht so aus: Man arbeitet, bis keine Arbeit mehr da ist, und dann fährt man in den Urlaub. Afrikaner sprechen gerne von der "German machine".

Ich selbst bin noch nie in den Urlaub gefahren, weder als Kind noch als Erwachsener. Urlaub ist für mich eine theoretische Vorstellung. Als ich noch ein Kind war, habe ich die Ferien damit verbracht, meiner Mutter in ihrem Gebrauchtwarenladen zu helfen, oder ich werkelte in der Autowerkstatt meines Vaters mit. Über die Jahre entpuppte sich diese Ferientätigkeit als ziemlich ermüdend, sodass ich mich fast auf die Schulbank zurückwünschte. Mein Ferien-Höhepunkt war immer, wenn wir den Stammsitz unserer Familie in der Stadt Oyo besuchten, wo sie die alten Maskenfeste feiern und dazu gebratenen Hund verspeisen, was hier wahrscheinlich den wenigsten schmecken würde.

In Nigeria ist Urlaub etwas für die Reichen, in Deutschland ist es hingegen fast schon Allgemeingut. Wahrscheinlich sagt deshalb jeder, mit dem man spricht, dass er gerne reist. Reisen ist hier ein wichtiger Teil des Lebens. Allerdings auch ein reichlich eigentümlicher. Es ist schon bizarr, die Hysterie dieser Tage. Die Züge und Busse sind sonst gut organisiert hier, nun quellen sie förmlich über. Die Straßen sind voll mit Wohnwagen, es geht nichts mehr vor und nichts zurück. Überall in der Stadt sind Urlauber mit riesigen Koffern und Taschen unterwegs, und Rucksäcken mit Trinkschläuchen, mit denen man aussieht, als trage man eine Sauerstoffflasche herum.

Es geht nicht um Bequemlichkeit

Die Menschen hier begeben sich freiwillig in diese Lage, und ich frage mich, warum sie das machen. Warum lassen die Menschen ihre sauberen, sicheren Häuser zurück und schlafen auf Autobahnparkplätzen, in Zelten oder zugigen Almhütten, als wären sie Vagabunden? Wahrscheinlich habe ich den Charme dahinter einfach noch nicht erkannt. Wie auch?

In Nigeria würde niemand in einem Zelt übernachten, wilde Tiere würden es als Einladung für ihren Blutdurst sehen, und falls nicht, bekäme man es wohl mit Räubern zu tun. Vielleicht muss sich der Kopf erst auf Urlaub einlassen. Vielleicht braucht man einen Fulltime-Job, damit man den Reiz versteht. Mein Vater sagte einmal: "Der Tod ist der bequemste Urlaub von allen." Das mag stimmen. Aber wenn man den Münchnern so zuschaut, dann geht es beim Urlaubmachen gar nicht um Bequemlichkeit.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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