Neue Heimat:Radeln gehört zum Stadtleben wie Zähneputzen und Gassigehen

Radfahren in Bayern

In München kommt man mit dem Fahrrad oft schneller vorwärts als mit dem Auto.

(Foto: dpa)

In ihrer Heimat wäre Radfahren ein Himmelfahrtskommando, schreibt unserer Kolumnistin aus Uganda. In München kennt sie kein besseres Verkehrsmittel.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Die Sonne scheint, die Vögel singen, und in München sitzen sie auf Fahrrädern und radeln durch die Stadt. Als ich diese Szenen nach meiner Ankunft in München vor einigen Jahren das erste Mal beobachtet habe, war ich perplex. Überall waren Radler, es war wie eine Invasion von Zweiradmonstern.

In München ist das Radl Teil der Gesellschaft. Es gehört zum Stadtleben genauso dazu wie Zähneputzen oder Gassigehen. Radlfahren ist in München not a big deal, im Prinzip ist es überhaupt kein Deal, die Leute tun es einfach, jeden Tag, auch wenn nicht wie in diesen Tagen die Sonne lacht, sondern der Wind pfeift oder einem der Regen um die Ohren peitscht. Sie fahren zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Training. Nach sonnigen Tagen tragen manche dann ihre Radfahrer-Bräune wie eine Auszeichnung.

Ich erinnere mich mit Bauchgrummeln an meine erste Begegnung mit einem Fahrrad. Damals war ich elf, und meine ältere Schwester setzte mich oben auf einem Hügel auf das Rad. Sie ließ mich dann los, während unten mein Großvater stand, bereit, mich aufzufangen. Das hat er dann auch gemacht. Unglücklicherweise stieß ich ihn dabei aber in eine reichlich empfindliche Zone, sodass er losließ und ich vom Rad plumpste. Mit dieser schmerzhaften Erfahrung endete meine frühe Radlerkarriere - wenige Meter nachdem sie begonnen hatte.

Wiederentdeckt habe ich das Fahrrad erst, als ich 20 Jahre später in München ankam und feststellte, dass die Kunst des Radelns hier genauso ernst genommen wird wie das Autofahren. Also einen Weg finden, und zwar möglichst so, dass ich beim Üben möglichst wenig Menschen verletzte. Ich ging das Vorhaben diesmal professionell an und nahm Radfahrstunden. Und ja, endlich konnte ich die Leute verstehen.

Es stimmt: Innerhalb der Stadt kommt man auf zwei Rädern oft schneller voran als auf vier. Wenn man Radfahren kann, steigen die Chancen, dass man es pünktlich zur Arbeit schafft. Und wenn man dann doch zu spät kommt, zum Beispiel weil man den schönen Umweg entlang der Isar genommen hat, hat man die perfekte Ausrede parat: Reifenplatten. In München ist diese Entschuldigung nicht nur akzeptiert, die Büro-Chefs dieser Stadt erfreut es sogar, wenn ihre Mitarbeiter mit dem Fahrrad ins Büro fahren. Ein radfahrender Kollege gilt tendenziell eher als gesunder, leistungsfähiger Mitarbeiter. Und er spart dem Betrieb einen Parkplatz.

Fahrradwege wären in Uganda der pure Luxus

In München gibt es eigene Wege, fast schon kleine Straßen, nur für Fahrradfahrer, zu bestimmten Zeiten herrscht regelrechte Radler-Rushhour. In Uganda wäre so etwas nicht vorstellbar. Fußgängerpfade sind dort schon selten, Fahrradwege wären der pure Luxus. Den können sich ugandische Fahrradfahrer aber nicht leisten, dort gilt das Fahrrad als das Vehikel der Armen. Würden Doktoren, Politiker oder Manager in der Hauptstadt Kampala ins Büro radeln, ihre Kollegen würden sie für verrückt erklären. Was berechtigt ist, die Fortbewegung in Kampala ist schon für Autofahrer gefährlich, eine Fahrradfahrt wäre ein Himmelfahrtskommando.

Die Münchner und ihre Radler sind hingegen wie ein reizendes Liebespaar. Das Schöne ist: Es zieht sich durch alle Schichten der Bevölkerung. Auf den Radeln sitzen Omas und Studenten, Schlipsträger und Hipster, Mamas und Kinder, Einheimische und Zugereiste. Das Fahrrad dient zwar bisweilen als Statussymbol, ist aber längst kein so verlässlicher Indikator für die Größe des Geldbeutels wie in Uganda. Wenn ich durch München radle, dann macht sich dieses starke Gefühl in mir breit, dass ich dazugehöre zur Münchner Gesellschaft. Das ist der eigentliche Big Deal.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Die Autorin: Lillian Ikulumet, 36, stammt aus Uganda. Bis 2010 arbeitete sie dort für mehrere Zeitungen, ehe sie flüchtete. Seit fünf Jahren lebt Ikulumet in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Ikulumet für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite...

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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