Neue Heimat:Wo Watschn für Kinder noch Alltag sind

Gewalt gegen Kinder

Gewalt gegen Kinder ist in Deutschland Tabu.

(Foto: dpa)

In Deutschland bleiben die meisten Kinder von Schlägen verschont. Unser Autor fragt sich, warum das hier so ist - wo es in Afrika doch zur Erziehung dazu gehört.

Kolumne von Olaleye Akintola

Die Urlaubsekstase der Deutschen kühlt gerade ab. Die Schulen haben aufgesperrt, Kinder schwärmen von Erlebnissen in den Hotels dieser Welt. Nach einem erholsamen Urlaub kommen sie zurück in die behüteten Klassenräume, man hört das Lachen auf dem Schulweg. Sie lernen nicht unter Angst, in ihnen spukt nicht das Bewusstsein, dass es Schläge hageln könnte. Bayerns Lehrer erteilen keine Watschn, diese Zeiten sind in diesem Land vorbei.

Ich habe die Kindheit ganz anders erlebt. In Nigeria und vielen anderen afrikanischen Ländern geht es in der Schule deutlich direkter zur Sache. Wenn man zu spät kommt, gibt es einen hinter die Löffel, und wenn man die Hausaufgaben vergisst, setzt es eine - wie man in Bayern sagt - Bockfotzn. Manchmal kommt es vor, dass Eltern den Lehrer um eine Züchtigung des Kindes bitten, wenn es sich nicht gewaschen oder die Hose zerrissen hat. In Nigeria gibt es kein Entrinnen vor den Schlägen, höchstens Streber oder verwöhnte Bengel antiautoritärer Eltern kommen davon.

In Deutschland bleiben die Kinder von solchen Methoden verschont, in der Schule und im Elternhaus. Und wem doch mal die Hand ausrutscht, der würde es wohl kaum groß erzählen. Es schickt sich nicht. Die Frage ist: Warum? Wo es in Afrika eigentlich ganz gut funktioniert? Noch bin ich nicht ganz dahinter gestiegen, wie sie in Deutschland diese auffällige Disziplin der Menschen hinbekommen. Eingeprügelt wird es den Kindern sicherlich nicht.

Ich lebe nun seit zwei Jahren in der neuen Heimat, und noch nie habe ich beobachtet, wie ein Erwachsener einem Kind eine schmiert. Stattdessen werden die Kinder verpackt und gehätschelt, als würde man zerbrechliche Porzellanteller in einem Paket auf eine weite Reise schicken. Vielleicht brauchen sie diesen Schutz wegen ihrer fragilen Bauweise. Wahrscheinlich haben sie nicht so eine dicke Haut. Bestimmt werden sie nicht mit den nahrhaften nigerianischen Cassava-Rüben gefüttert.

Münchens Kindergärten müssten eigentlich Kindergärten Eden heißen. Sie schauen aus wie Paläste, speziell für kleine Menschen designt. Dort bekommen Kinder Mahlzeiten, sitzen auf gemütlichen Polstern, umgeben von Spielsachen, die stumpf und leicht sind, dass man sich nicht pieksen und hauen kann. Mich überrascht, wie wild und ausgelassen manche Kinder sich verhalten, im Zug oder in der Fußgängerzone. Wenn man sie zurechtweist, haben sie oft einen stolzen Blick oder rufen mit lauter Stimme zurück. Es wirkt, als seien sie sich ihrer Rechte bewusst, dass man ihnen nichts kann, und dass Erwachsene schnell Ärger mit der Polizei bekommen.

Für mich war das neu. In Afrika bezieht man sich gern auf das Alte Testament. "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald", heißt es darin. Ich erinnere mich, dass ich als Kind waghalsig, stur und bockig war, und mein Vater mir dafür auf den Kopf oder den Rücken schlug. Für schlimme Vergehen gab es einen Stock, auf dem mein Name eingraviert war, er stand immer in der Ecke, um mich zu erinnern, artig zu bleiben. So war das bei allen Kindern in meiner Familie. Wer sich daneben benahm, den bat Vater, den Stock zu holen. Und dann wurde man grün und blau geprügelt.

Viele Afrikaner glauben, Kinder seien wie eine Metallfeder. Hat man sie einmal nach unten gedrückt, darf man nicht mehr nachlassen, sonst gerät sie außer Kontrolle. Was sie dabei vergessen: Die Narretei ist tief in den Kinderherzen verankert. Wer das mit der Rute bestraft, wird sein Kind eines Tages fortziehen lassen müssen - ohne schützende Verpackung, dafür aber mit einer dicken Haut.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: