Neue Heimat:Großstadt ohne Gratis-Eis

Neue Heimat: Nasrullah Noori, 27, stammt aus Kundus in Nordafghanistan. Er arbeitete dort als Journalist fürs Fernsehen und erhielt Morddrohungen. Seit 2014 lebt er mit seiner Familie in München.

Nasrullah Noori, 27, stammt aus Kundus in Nordafghanistan. Er arbeitete dort als Journalist fürs Fernsehen und erhielt Morddrohungen. Seit 2014 lebt er mit seiner Familie in München.

(Foto: Michael A. König)

In dieser Kolumnen-Reihe schreiben vier geflüchtete Journalisten über ihren neuen Alltag in Oberbayern. Heute geht es um Gastfreundschaft

Von Nasrullah Noori

Als ich neu nach München kam, da fiel mir sofort auf, wie international diese Stadt ist. Man sieht hier Menschen aus der ganzen Welt: Touristen, Studenten, Zuwanderer, Asylbewerber. München ist wahrlich eine Weltstadt.

Warum ist München bei Ausländern so beliebt? Im Sommersemester 2016 war ich an der TU München als Student eingeschrieben und nahm dort an einem Deutschkurs teil. Meine Mitstudenten und ich, wir mussten öfters Aufsätze zu diesem Thema schreiben. Wir alle lobten die Sicherheit und Ordnung, die Ruhe, die Sauberkeit, den Wohlstand, die vielen Arbeitsmöglichkeiten. Wir fallen nicht auf und können uns frei bewegen. Für viele Ausländer bietet das Leben in München durch seine Anonymität ein Gefühl von Freiheit, das sie vorher nicht kannten.

Im niederbayerischen Riedenburg, wo meine Familie und ich unsere ersten zwei Jahre in Deutschland verbrachten, da war das allerdings schon etwas anders. In dieser hübschen Kleinstadt wurden wir erstaunt angeschaut, wo immer wir hinkamen, wir fühlten uns dadurch sehr fremd. Die Menschen waren oft überrascht, manche reagierten vor allem irritiert, andere aber durchaus freundlich. Und so hatte es auch seine kleinen Vorteile, allein unter so vielen Einheimischen zu sein. An der Eisdiele zum Beispiel. Da bestand der Verkäufer einmal darauf, mir die Eiskugel billiger zu geben. Als ich ihn nach dem Grund fragte, da sagte er: "Du kommst doch aus dem Asylheim. Dann sollst du nicht so viel bezahlen."

Die Szene erinnerte mich an meine frühere Heimat: Wenn du als Fremder nach Afghanistan kommst, dann fällst du automatisch auf. Allerdings vor allem positiv. Alle begegnen dir mit großer Neugier und Wohlwollen. Viele Einheimische wollen mit dir sprechen und dich über dein Leben ausfragen. Als Fremder wirst du von Familien nach Hause zum Essen oder Übernachten eingeladen. Die afghanische Gastfreundschaft ist weltberühmt. Zumindest war das früher so. Mittlerweile ist Afghanistan gefährlich. Wer trotzdem in das Land reist, tut dies am Besten nur mit einem Bodyguard. Im Krieg ist wenig Platz für Gastfreundschaft.

München kommt mir dagegen vor, wie eine Oase des Friedens. Private Gastfreundschaft nach afghanischer Art braucht es dafür gar nicht. Schließlich gibt es hier Ausländer an jeder Ecke - wer anders aussieht, ist nichts Besonderes. In München wird mir niemand etwas billiger verkaufen, nur weil ich im Asylheim lebe. Und es wird mich auch kein Einheimischer einfach so zu sich nach Hause einladen. Hier bin ich einer von vielen.

Diesen anonymen Umgang empfinde ich aber weniger als Belastung, eher als Privileg. Zumal es viele offizielle Stellen und engagierte Menschen gibt, die sich um Fremde wie mich kümmern - und zwar nicht, weil sie mich kennen, mögen oder interessant beziehungsweise ungewöhnlich finden. Sondern weil sie ahnen, dass Flüchtlinge in ihrer Situation Hilfe brauchen können. Auch das trägt dazu bei, dass viele, deren Flucht in den vergangenen Jahre in München endete, sich hier wohl fühlen.

Ich hoffe auf den Tag, an dem ich mich nicht mehr zu jenen zähle, die Unterstützung bei Behördengängen brauchen. Auf den Tag, an dem ich einen Brief vom Bundesamt für Migration öffnen kann und sagen kann: München ist jetzt auch offiziell meine Heimat - so wie es sich für Zigtausende andere Zuwanderer bereits anfühlen muss. In München - und auf dem Land. Ich habe gehört, dass es inzwischen auch in Riedenburg viel mehr Ausländer gibt. Da wird der Eisverkäufer wahrscheinlich seine Verkaufspolitik geändert haben.

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