Neue Heimat:Deutschland, das Land der Gratis-Proben

High-Chem für heiße Küsse

Wenn man den Beauty-Laden oft wechselt, ist man schnell Besitzer einer umfangreichen kosmetischen Sammlung.

(Foto: obs)

Unsere Autorin hatte kaum Geld, als sie nach Deutschland kam. Wie gut, dass man sich hier mit Kosmetik kostenlos eindecken kann. Bei manchen Angeboten tappen Flüchtlinge aber auch in die Falle.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Ganz ehrlich, welche Frau freut sich nicht über Mini-Mascara-Fläschchen und Lippenstiftpröbchen? Sie sind die idealen Reisebegleiter, wer mit Pröbchen ausgerüstet ist, dem kann so schnell keiner was. Es ist ein wahrer Luxus, weil man testen kann, ob Struktur und Halt der Farbe passen, bevor man für Make-up Geld ausgibt. Es heißt ja immer, dass einem im Leben nichts geschenkt wird, aber wenn man in Münchens Beauty-Läden unterwegs ist, dann muss man sagen, dass das so nicht stimmt. Gratis ist dort angesagt und in. Man sollte nur nicht den Fehler machen und glauben, dass es sich hierbei um lieb gemeinte Präsente handle.

Für den eingeborenen Münchner sind Gratis-Proben kein neues Konzept. Für Zuwanderer wie mich ist das aber recht ungewöhnlich - und ziemlich lukrativ. Es ist schließlich nicht so, dass wir hier mit gefüllten Geldbeuteln ankommen würden. Nach meiner Ankunft in München war ich umso begeisterter, wie spendabel Firmen hier sind, so sah es für mich aus.

In dieser Zeit sah ich keine Notwendigkeit, Make-up zu kaufen. Ich konnte gemütlich in einen Kosmetik-Laden gehen und mir kostenlos professionelles Probe-Make-up machen lassen. Irgendwann hatte ich so alle Kosmetiker in meiner Gegend durch. Also konzentrierte ich mich fortan auf Gratis-Proben. Und so begann jeder Tag mit einem Besuch beim Beauty-Store meines Vertrauens.

Es mag vielleicht etwas unverfroren klingen. Aber für Menschen, die in ihrem Leben nie etwas geschenkt bekamen, ist die Gratis-Proben-Mentalität deutscher Firmen wie eine Offenbarung. In Uganda gibt es so etwas nicht, die Menschen würden so jemandem die Bude einrennen. Die Münchner haben sich hingegen daran gewöhnt.

Auf der Suche nach einem Fitnessstudio fiel mir auf, dass es auch dort Umsonst-Angebote gibt. Fünf Tage, zwei Wochen, manche bieten sogar einen ganzen Gratismonat an. Für mich sah es aus, als wenn umsonst in München die Norm, ja fast schon ein Gesetz wäre. Bevor man etwas kauft oder bezahlt, bekommt man erst einmal etwas umsonst. Daraus lässt sich ein wahrer Sport machen. Ich sage es mal so: Ich habe mein Fitnessstudio sehr oft gewechselt.

Wer Gratis-Angebote geschickt nutzt, der hat eine gute Chance, im teuren München finanziell zu überleben. Man kann aber auch genau das Gegenteil erreichen. Dann nämlich, wenn man in die Falle tappt. Erst neulich hat mir ein Freund ganz begeistert von einem 30-Tage-Gratis-Angebot für TV-Serien im Internet erzählt. Ich bin kein großer Fernsehfan, aber wenn es kostenlos ist, warum nicht, dachte ich mir. Und hier wird es verzwickt. Wenn man jetzt nicht genau aufpasst, schnappt die Falle zu.

Viele Zuwanderer, die erst seit kurzem in Deutschland sind, kennen die Gepflogenheiten hier noch nicht so genau. Nicht wenigen passiert es, dass sie im Internet auf ein Gratis-Angebot reagieren und dadurch einen Vertrag eingehen, den man schnell wieder kündigen - oder eben teuer bezahlen muss. Es sieht erst so aus, als habe man hier den Big Deal gemacht, doch nach einem Monat kommt dann eine dicke Rechnung. Und ehe man sich versieht, ist der Briefkasten voll mit Schuldscheinen und Mahnungen. Ich habe viele Flüchtlinge erlebt, denen es so ergangen ist. Meistens liegt es daran, dass sie noch nicht gut genug Deutsch sprechen. Auf diese Menschen nehmen die Werbetexter meist weniger Rücksicht.

Ich hatte da Glück, weil ich immer gute Berater hatte. Überhaupt sind die großen finanziellen Engpässe vorbei, und damit auch meine morgendlichen Besuche im Kosmetikladen. Den Streaming-Dienst habe ich mir trotzdem gespart. Dann doch lieber eine schöne Tube Wimperntusche.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Die Autorin: Lillian Ikulumet, 36, stammt aus Uganda. Bis 2010 arbeitete sie dort für mehrere Zeitungen, ehe sie flüchtete. Seit fünf Jahren lebt Ikulumet in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Ikulumet für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite...

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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