Neue Heimat:Eine Party aus Eiscreme, Bier und Glückseligkeit

EURO 2016 - Fanartikel

Schwarz-Rot-Gold für alle Lebenslagen.

(Foto: dpa)

Wie die deutsche Fußballbegeisterung auf einen Nigerianer wirkt: Olaleye Akintola beobachtet die Menschen beim Public Viewing - und muss sich häufig wundern.

Kolumne von Olaleye Akintola

Je länger die Fußball-EM dauert, desto mehr erinnern mich die Szenen auf den Straßen an den ZDF-Fernsehgarten, wo die Leute wilde Lieder singen. Fahnen, geschmückte Autos und verkleidete Leute verschmelzen in diesen Tagen zu einer Party aus Eiscreme, Bier und Glückseligkeit. So freizügig wie die deutschen Frauen beim Public Viewing würde sich in Nigeria sicherlich niemand kleiden. All das erlebe ich seit meiner Ankunft in Bayern vor einem Jahr nun das erste Mal. Ich bin jetzt dabei und versuche, ein Teil davon zu werden.

Zum Spiel der "Mannschaft" gegen die Slowakei habe ich mich in eine gut gefüllte Fußball-Kneipe in Ebersberg gesetzt, nicht weit weg von meiner WG am Stadtrand. In Nigeria ist es üblich, dass man einem Fremden ohne Begleitung beim Reinkommen einen Drink anbietet, aber das wussten die Leute nicht, die in der Bar vor der Leinwand saßen. Ich war also vom Gefühl her auf mich alleine gestellt, doch ich wollte diesem Abend unbedingt eine Chance geben. Und herausfinden, ob das "EM-Fieber", wie die Deutschen sagen, auch auf mich überschwappt.

Gar nicht so einfach dieses Unterfangen. Und eine ganz schöne Umstellung. In Nigeria ist das Klima immer sehr heiß, Sport begeistert im Sommer die wenigsten, weder aktiv noch passiv. Die Leute in meiner alten Heimat haben jedenfalls seit Längerem das Interesse an den "Super Eagles" verloren. Bei Turnieren scheidet die nigerianische Nationalelf regelmäßig früh aus. Wenn man Glück hat, bekommt man das Trauerspiel nicht mit, weil beim nigerianischen Public Viewing des Öfteren der Strom ausfällt. Eines ist klar: In Nigeria würde sich niemand eine grün-weiße Fahne ans Auto kleben oder bei einem Tor den Partner umschlingen.

In der Ebersberger Bar standen die Leute schon Arm in Arm, als die Spieler noch die Hymne sangen. Liebespaare küssten sich sekundenlang auf den Mund, andere reichten frisch gefüllte Gläser über die Tische - so schnell, als ob sie zu einem Rettungsteam für Trinkwasserversorgung gehören würden. Nur dass in den Krügen kein Wasser war, sondern frisch gezapftes Bier, eine schöne bayerische Sitte - genau wie das Heraufbeschwören einer Fußballgottheit vor wichtigen Spielen. Gott sei Dank hat mein Bruder Boateng dann gleich ins Tor getroffen. Zwei Burschen droschen sogleich auf ihre Trommeln ein, mit einer Leidenschaft, die man sonst nur aus Afrika kennt. Alle haben sich umarmt, da hätte ich gerne mitgemacht, aber so richtig habe ich mich nicht getraut. Ich habe mich seither gefragt, ob die EM für manche eine Gelegenheit ist, um ein Gefühl von Patriotismus und Überlegenheit zu demonstrieren, wofür man in Deutschland zu fußballfreien Zeiten vielleicht als Nationalist abgestempelt würde.

Mein Gefühl ist allerdings eher, dass die EM für die meisten Leute - zumindest für jene, die nicht aus England oder Holland stammen - schlicht eine große Party ist. Ich weiß noch nicht, was es braucht, damit ich so mitfeiern kann wie alle anderen in der Region. Leicht wird es nicht, das herauszufinden, und es kann sein, dass ich noch ein paar Versuche brauche. Es wäre daher wirklich hilfreich, wenn die Deutschen ins Finale kämen.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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