Neue Heimat:Eine Frau auf der Bühne? Die den Staat kritisiert?

Starkbierprobe am Nockherberg

Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (l.) und ihr Double, die Schauspielerin Angela Ascher, beim traditionellen Politiker-Derblecken am Münchner Nockherberg.

(Foto: dpa)

Das gibt es in der Heimat unseres Kolumnisten nicht - schon gar nicht in dieser Kombination. Denn in Syrien lauert überall Gefahr für Regime-Kritiker.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ich hatte ein Theater mit Bühne erwartet, hier in Grafing, wo ich mir diesen Kabarett-Abend in der Turmstube vorgenommen hatte. Was ich fand, war ein gemütliches Lokal mit Tischen und einer kleinen Bühne. In dem voll besetzten Raum konnte ich gerade noch einen Stuhl finden. Als erster betrat der Kabarettist Thomas Lienenlüke mit seiner Gitarre die Bühne.

Er sang von Jugend und Schönheit, geplatzten Einladungen und dem Glück, reich zu sein. Lienenlüke sprach nach jener deutschen Schrift, die ich seit eineinhalb Jahren studiere, er war für mich recht gut zu verstehen. Dann betrat ein zweiter Kabarettist die Bühne.

Tobias Öller, von der Aussprache her ein besonders echter Bayer, brachte mich in Schwierigkeiten, denn - obwohl ich mit großen Ohren und Augen meine ganze Konzentration auf ihn richtete - konnte ich nur sehr wenig verstehen. Ganz anders ging es da den Leuten um mich rum, die haben sich bei seinem Auftritt gefreut wie der Schellenkönig, so sagt man doch hier.

Vermutlich liegt es an ihrem starken Dialekt, dass bayerische Kabarettisten vor allem von Bayern lustig gefunden werden. Zu gern hätte ich mitgelacht - als Konsequenz beschloss ich, mir zu meiner Deutschfibel ein bayerisches Wörterbuch kaufen.

Kleinkunst ist mir nicht fremd, nur die Art und Weise, wie sie in Bayern praktiziert wird, ist für mich neu. Auch in Syrien gibt es Kabarett, meist findet es in einem Café statt. Die Menschen sitzen dann an Tischen, genießen die Unterhaltung und trinken Tee dabei, wobei das Publikum nur aus Männern besteht. Hier in Bayern sitzen hingegen Männer und Frauen an den Tischen - und statt Tee gibt es vor allem Bier, in diesen Fastentagen besonders starkes Bier. Diese Gleichberechtigung herrschte nicht nur vor, sondern auch auf der Bühne der Turmstube: Plötzlich stand dort eine Frau.

Die Frau wird wohl zum Tanzen kommen

Als ich sie in ihrem roten Kleid sah, dachte ich, sie kommt wahrscheinlich, um zu tanzen, in Syrien gibt es keine Frauen, die auf Bühnen sprechen. Und jetzt stand da Angela Ascher. Die Menschen, die hier saßen, kannten diese Frau, Ascher ist spätestens seit ihrer Rolle als Parodistin von Ilse Aigner Vielen ein Begriff. Die Kabarettistin stand also auf der Bühne, sprach über ihre zwei Kinder und Peinlichkeiten, die ihr mit ihnen passiert sind. Und sie sagte kritische Dinge über Bayerns Politiker und die Regierung dieses Freistaats.

Eine Frau auf der Bühne, die den Staat kritisiert? In meiner früheren Heimat Syrien wäre das undenkbar, vor allem in dieser Kombination. Hier ist das anders, hier gibt es politisches Kabarett mit weiblicher Besetzung sogar im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Da trat kürzlich, vor den Augen vieler Politiker und der Öffentlichkeit die "Mama Bavaria" am Nockherberg auf.

Wald und Wände haben Ohren

Ich war neugierig, was Mama Bavaria zu sagen hatte und fragte mich, warum sie "meine Kinder" sagte, wo doch viele derer, zu denen sie sprach, deutlich älter waren als sie selbst. Und ich wunderte mich, dass manche von ihnen lachten, wo doch die Mama mit strengen Worten zu ihnen sprach. Wie schön, dass man dafür in Deutschland nicht im Gefängnis landet.

In Syrien sagt man, dass Wald und Wände Ohren haben, und dass man, selbst wenn man im eigenen Haus über Präsident Baschar al-Assad lacht, mit Sicherheit Handschellen angelegt bekommt. In Bayern gibt es auch Schelln, beim Kartenspiel oder auch sonst im Wirtshaus. Mit etwas Pech fängt man sich eine, wenn man nach einem Kabarettabend zu lange am Biertisch sitzen bleibt, und Witze über Politiker macht. Diese Art von Schelln ist aber nicht dramatisch, sie härtet eher ab. Und es zeigt, dass es beim Humor auch in Bayern Toleranzgrenzen gibt.

Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon. Foto: Florian Peljak

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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