Neue Heimat:Warum machen Münchner einen Ausflug, um sich zu plagen?

Antholing mit Bergen, Wendelstein

Der Wendelstein gehört zu den beliebtesten Ausflugsbergen der Münchner.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Die Flucht unseres syrischen Autors führte ihn monatelang über Gebirge. Nun fragt er sich, warum man sich das in Bayern freiwillig antut.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ich dachte immer, in den Bergen ist es wie in der Wüste, es gibt nur Felsen und kein Leben. Doch die Suche nach der Edelweiß-Blume ordnete die Dinge neu. Meine erste Bergtour in Bayern fing damit an, dass ich plötzlich vor einer Herde ganz lebendiger Kühe stand. Rindviecher, wie der Bayer zu sagen pflegt, zu Personen, aber auch zu Tieren. In diesem Fall handelte es sich um schottische Hochland-Rinder.

In Bayrischzell hängt ein Schild: "Wendelstein 1838 Meter" steht drauf. Diese Höhe sollten wir also erklimmen, ohne Not, sondern aus Spaß an der Freude. Auf dem Weg zum Gipfel begegneten mir viele Leute, die bereits den Gipfel erklommen hatten, und viele grüßten mich mit einem "Servus" oder "Griaß di". Ich grüßte zurück, was einen sehr trockenen Hals zur Folge hatte, sodass mein Gruß irgendwann nur noch ein heiseres Flüstern war. Wie ein Auto, das Benzin braucht, machten wir sogleich eine Pause, um uns zu stärken, nicht mit Benzin, sondern mit einer herzhaften Brotzeit.

Der Wendelstein ist wie ein Paradies, keine staubigen Felsen, sondern grüne Wiesen, grasende Kühe, lachende Familien. Die Heißluftballons, die über uns schwebten, erregten großes Interesse unter den Kindern und sorgten für Glänzen in ihren Augen. In solchen Momenten ist das Leben in Deutschland immer noch paradox. Auch in Syrien schwebten Ballons durch die Luft, doch sie transportieren keine Menschen, sondern Bomben, sie brachten Angst und Tod.

Wie schön, Kinder zu sehen, die sich über Ballons in der Luft freuen können.

In Bayern sind Ballons zum Träumen, ungemütlich wird es hingegen, wenn man die Regeln auf dem Berg missachtet. Ein Edelweiß zu pflücken, gilt etwa als eine der größten Frevel überhaupt. Wer es trotzdem macht, so sehen das erfahrene Bergsteiger, dem gehört eine mit dem Wanderstock übergezogen. Ich suchte deshalb nicht nach einem Mitbringsel, sondern nach einem Fotomotiv. Einfacher macht das die Edelweiß-Suche aber leider nicht.

Allmählich wurde der Anstieg immer steiler und schwieriger. Wir stapften durch Schneefelder, und es war wichtig, dass wir immer einen guten Halt hatten. Wir waren alle schon etwas außer Atem und schnaubten wie eine Horde Pferde. Kurz kam da wieder die Erinnerung auf, an jene Monate, in denen ich 200 Kilometer über türkische Gebirgspfade stapfte, auf der Flucht vor dem IS und dem syrischen Krieg. Wer so eine Zeit hinter sich hat, muss sich hier erst einmal wundern über all die Münchner, wenn sie am Wochenende hinaus in die Berge fahren, um sich freiwillig nach oben zu plagen.

Und doch scheint es ja eine Faszination zu sein. Warum sonst würden sich jetzt im Frühling so viele in den Stau Richtung, Garmisch, Berchtesgaden oder Chiemgau stellen? Wahrscheinlich ist es dieser Moment: Wenn man am Gipfel angekommen ist, und all die Mühen des Aufstiegs vergessen sind. Wenn man oben steht und Fotos für die Untengebliebenen schießen kann. Am Gipfel lagen sich die Menschen in den Armen und genossen das überwältigende Panorama. Durch ein Teleskop konnte ich weit in die Ferne schauen. Doch Syrien liegt zu weit weg. Ich hätte zu gerne gesehen, was in der Heimat passiert.

Es gab Zeiten, da hielten die Menschen in Syrien nicht nach Ballons Ausschau. Als Kinder sind wir noch auf Bergen herumgeklettert, haben uns in großen Traktorreifen versteckt und uns den Berg hinunterrollen lassen. Das hat öfter mal zu kleinen oder größeren Blessuren geführt und endete manchmal im Krankenhaus. Am Wendelstein musste an diesem Tag niemand verarztet werden. Unsere Tour endete zwar ohne Edelweiß-Beweisfoto, dafür mit einer ordentlichen Portion Kaiserschmarrn.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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