Neue Heimat:Die Alleinherrschaft der CSU ist nichts gegen syrische Verhältnisse

Schwarzbuch Bayern

In Bayern müssen sich Politiker immer wieder zur Wahl stellen. Das ist in Syrien anders.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

In München gehört das Parlament nicht nur den Politikern, sondern auch den Bürgern. Unser geflüchteter Autor über seinen Besuch im Bayerischen Landtag.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ich suchte nach dem großen Porträtbildnis. Irgendwo musste er ja hängen, der bayerische Ministerpräsident. Damit man gleich weiß, wer hier das Sagen hat. Aber da hing nichts dergleichen. Stattdessen habe ich das bayerische Wappen mit den zwei Löwen mit Bierkrug entdeckt. Im syrischen Parlament sind keine Bilder von Bierhumpen. Da wird man von einem übergroßen Assad empfangen. Er ist der Herrscher, der über alles bestimmt. Dem Chef in Bayern sagt man das zwar auch nach. Es gibt aber viele andere, die noch ein Wörtchen mitreden.

Meine erste direkte Begegnung mit der deutschen Politik erlebte ich im Bayerischen Landtag in München. Beim Anblick dieses großen Gebäudes kam ein mulmiges Gefühl auf. Und zwar, als mein Begleiter ein Foto von uns machen wollte, mit dem Landtag im Hintergrund. Schuld an meiner Angst war ein Erlebnis aus Syrien. Damals war ich mit einer Gruppe von Studenten in Damaskus unterwegs. Wir wollten vor dem syrischen Parlament fotografieren. Da standen plötzlich Männer vom syrischen Geheimdienst vor uns. Sie griffen uns an, zerstörten unsere Kameras und beschuldigten uns der Spionage.

Vor dem Landtag kam auch ein Mann auf uns zu. Er hatte uns beobachtet und hielt uns korrekterweise nicht für Agenten. Stattdessen sah er uns lachend an und erklärte, dass wir hier mit der Kamera frei hantieren dürfen. Und im Sitzungssaal des Landtags sind junge und ältere Menschen unterwegs, gar Frauen und Kinder, die auf der Suche nach einem schönen Platz durch den Saal rennen. Im syrischen Volksrat in der Hauptstadt Damaskus werden Besucher hingegen von bewaffneten Aufsehern bewacht. Es ist fast alles verboten, auch Fotografieren und ganz besonders, den Politikern Fragen zu stellen. In München gehört das Parlament nicht nur den Politikern, sondern auch den Bürgern.

Hier war völlig neu für mich, dass ich als Journalist beliebig Fragen stellen durfte. In einer lockeren Atmosphäre, in der sogar gelacht wurde - obwohl es doch um Politik ging. Hier in Deutschland gibt es viele Parteien. Die Bürger sind informiert, und bei den Wahlen kann sich jeder frei entscheiden. In Syrien gehören die meisten Sitze von Haus aus der Baath-Partei, der Partei von Präsident Assad. Die Baath-Politiker müssen sich keiner Wahl stellen. Und auch alle übrigen im Parlament votieren für das, was Assad vorgibt.

Alleinherrschaft also. Es ist fast wie in Bayern mit der CSU. Nur dass sich hier jeder Landtagsabgeordnete immer wieder den Wählern stellen muss. Insofern ist es dann doch ganz anders als in Syrien. Weil Demokratie und Parteien in Bayern was zählen. Es ist wie ein großes Büffet mit einer Vielfalt von angebotenen Speisen - wo jeder sich etwas aussuchen darf. In Syrien nehmen wir diesen Vergleich gerne. Wir sagen dann: Bei uns isst man nur die Kamelohren. In Bayern stehen hingegen auch Schweinsbraten, Spinatknödel, Rotkraut oder eben Kaiserschmarrn auf der politischen Karte.

Es ist schön, wenn einen Politiker nicht dazu verleiten, dass man sich in einem Schafstall im Futtertrog verstecken muss. Dort schlief ich in Damaskus einst wie ein Fuchs: ein Auge stets geöffnet, um die drohende Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Die Gefahr der Diktatur scheint in den Köpfen vieler Deutscher tief verankert zu sein. Und im Bayerischen Landtag ist die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt. Und die Gäste haben die Macht, jemanden wieder abzuwählen. Ich frage mich, warum so wenige Bayern wählen gehen. Diese Freiheit - ganz ohne Chefporträt - ist ein großes Geschenk.

Neue Heimat live

Am Montag, 7. Mai, kommen die SZ-Autoren Mohamad Alkhalaf und Lillian Ikulumet zu einer Neue-Heimat-Lesung in die Münchner Kammerspiele. Zusammen mit SZ-Kollege Korbinian Eisenberger lesen Alkhalaf und Ikulumet aus der Kolumnenreihe vor. Beginn ist um 19.30 Uhr im "Welcome Café" der Kammer 2 in der Maximilianstraße 26. Anschließend spielt die Band Embryo, der Eintritt ist frei. SZ

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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