Neue Heimat:Deutschland - das Land der Schwarzmaler

Neue Heimat: Unser Autor fragte sich: Haben es die Fahrkartenkontrolleure etwa auf Schwarze abgesehen?

Unser Autor fragte sich: Haben es die Fahrkartenkontrolleure etwa auf Schwarze abgesehen?

(Foto: Catherina Hess/Catherina Hess)

Dass auch Menschen mit heller Hautfarbe schwarzfahren können, musste unser Autor aus Nigeria erst lernen. Aber warum ist schwarz so häufig mit Negativem verbunden?

Kolumne von Olaleye Akintola

Es ist egal, ob man nun schwarz oder weiß ist. Sang einmal Michael Jackson, und der King of Pop muss so etwas wissen. "It don't matter if you're black or white", sang er, und wir wissen bis heute nicht, wie überzeugt der Sänger von seinen Zeilen selbst war. In Nigeria bekommt man in der Schule beigebracht, dass beide Farben natürlich und gleichwertig sind. Für mich hatte die Farbe schwarz nie eine tiefere Bedeutung. Dann kam ich nach Oberbayern.

In Deutschland versetzen mich die sprachlichen Gewohnheiten immer wieder in eine zwiespältige Gefühlslage, denn in Deutschland wird die Farbe Schwarz gerne allegorisch verwendet. Der deutsche Dichter Paul Celan bemühte in seiner Todesfuge einst die Metapher der schwarzen Milch, und so erschütternd das Bild in seinem Gedicht auf viele wirken dürfte, als unbedarfter Leser konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das Etikett, das der Farbe Schwarz hier anhaftet, erinnert mich beim Lesen weniger an menschliche Dramen als an das Black Label des Johnnie Walker Whiskeys.

Manchmal fühle ich mich aber auch peinlich berührt von den sprachlichen Gepflogenheiten. Die Farbe Schwarz, meine Hautfarbe, wird hier fast immer mit etwas Negativem oder Unrechtmäßigem assoziiert, nicht nur in der Literatur, sondern auch im alltäglichen Leben. Schwarzsehen ist so ein Wort. Oder anschwärzen. Es ist womöglich verschwendete Energie, sich deswegen aufzuregen, zumal es Menschen gibt, die mit der Farbe schwarz auch Gutes oder zumindest was Ambivalentes verbinden. In bayerischen Alltag dient die Farbe schwarz meist als Symbol für etwas Schlechtes.

Zumindest kommt es einem anfangs so vor. Bei mir dauerte es, ehe ich in meiner Wahrnehmung der deutschen Farbenpsychologie eine Transformation schaffte. Für den Lerneffekt hilft es, in ein komfortable Münchner S-Bahn zu steigen, Luxus, den es so in Nigeria nicht gibt. Allerdings muss man sich es leisten können, sonst gerät man in die Fänge jener, die einen herausziehen.

In den ersten Monaten, in denen die deutsche Sprache für mich aus lauter Hieroglyphen bestand, dachte ich, die Kontrolleure hätten es auf Menschen mit schwarzer Hautfarbe abgesehen. Im Wagon hängen die Schilder, dass "Schwarzfahren" 60 Euro kostet. Die Kontrolleure mussten es also auf Schwarze abgesehen haben.

Mittlerweile weiß ich es besser, und so gewöhnt man sich fast schon an die Symbolsprache der Deutschen. Beim Begriff "Schwarzarbeit" dachte ich instinktiv gleich an Tätigkeiten wie Waschen oder Putzen. Damit lag ich zwar nicht ganz richtig, vom Prinzip her war mein Gedanke aber nicht verkehrt.

Wenn man länger in diesem Land lebt, dann taucht Schwarz plötzlich auch in positiven Zusammenhängen auf, in Genussform beim "Kaffee schwarz", oder etwa beim Schwarzbier. Die Deutschen hätten die Farbe nicht in ihrer Flagge, wäre sie ein reines Symbol für Pessimismus und Steuerflucht. Und die modebewussten Münchner würden nicht schwarze Kleidung und schwarze Accessoires tragen, wenn sie in die Bahn steigen und zur Arbeit fahren.

Schwarz kann gut und böse sein - oder ambivalent. Nicht umsonst sind die Fans eines Münchner Fußballvereins stolz darauf, dass man sie im spanischen Madrid als "schwarze Bestie" bezeichnet, obwohl das ja eigentlich keine sonderlich liebenswürdige Metapher ist. Schwarze Bestie? Weißer Hai? Man kann die Dinge anmalen wie man will, schwarz, weiß oder bunt. Es bleibt die Frage, wie wir den Anstrich wahrnehmen. Als Symbol für etwas oder als das, was es ist: eine Farbe.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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