Neue Heimat:Wer das Garteln beherrscht, hat es einfacher in Bayern

Einheimische und Flüchtlinge im Schrebergarten

Garteln ist in Bayern eine Wissenschaft für sich.

(Foto: dpa)

In seiner syrischen Heimat hat der IS den Garten unseres Kolumnisten zerstört. In Deutschland muss er Rasenmähen - aber bloß nicht am Sonntag.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Zu meiner kleinen Wohnung gehört ein großer Garten. Und zu meinen Pflichten gehört es, diesen Garten zu pflegen, sprich: Unkraut rupfen, Blumen gießen und, ganz wichtig: das Gras frisieren. Wer das Garteln beherrscht, der hat es einfacher, Bayer zu werden.

Als ich zum ersten Mal den Rasen kürzen wollte, da fühlte ich mich überfordert - trotz Geräteschuppen. Kein Werkzeug war geeignet, nicht die Säge, nicht die Schneeschaufel. Sollte ich mir Schneidematerial meiner Mutter aus Syrien schicken lassen? Meine Vermieterin zeigte ihn mir dann: den Rasenmäher. Meinen Einwand, ich hätte keinen Führerschein für dieses Gefährt, ließ sie nicht gelten. Mutig, wie ich bin, fing ich an zu mähen. Und - was soll ich sagen - es machte mir sogar Spaß, herumzukurven und "Wia a kloans Zeiserl" zu singen. Zum Glück übertönte der Motor des Rasenmähers meine schrägen Töne.

Allerdings sahen das nicht alle so: Mein Nachbar kam schnaubend auf mich zu, seine Haare standen ihm zu Berge und sein Gesicht hatte einen bedenklichen roten Teint angenommen. Klarer Fall: Ich hatte ihn aus dem Mittagsschlaf gerissen, wie er mir sogleich erklärte. Er konnte es nicht glauben, dass jemand so frech ist, am heiligen Sonntag einen solchen Krach zu machen.

Diese Lektion habe ich gelernt: Bevor ich ans Rasenmähen gehe, schaue ich auf den Kalender. Dann mähe ich die grüne Fläche in sauberem Duktus, wie ein Maler, wenn er seine Porträts auf die weiße Leinwand pinselt. Rasenmähen ist Kunst, wahre Meisterwerke entstehen, wenn in der Mitte bunte Blumeninseln stehen bleiben. In meiner früheren Heimat Syrien gibt es selten Rasenmäher. Die meisten verwenden dort Küchenscheren. Einen englischen Rasen, wie sie ihn in Bayern schätzen, bekommt man so auch mit viel Übung nicht hin.

In Bayern werden hingegen nicht nur Halme gekürzt. Als mein Nachbar mit Meterstab, Seilrolle und Wasserwaage ankam, da dachte ich, er wolle sein Haus reparieren. Er setzte den Meterstab aber nicht an der Hausmauer an, sondern an der Gartenbegrenzung. Meinem Nachbar ging es darum, dass die Hecke akkurat gleich hoch geschnitten ist - deswegen also Wasserwaage und Seil.

Der Garten verdient Pflege

In Deutschland haben sie schützende Hecken, anderswo gibt es Heckenschützen. In Syrien haben wir aber auch ein Sprichwort. Es lautet, frei übersetzt: So wie eine Frau Komplimente verdient, so braucht auch der Garten Aufmerksamkeit und Pflege. Genau wie in meiner neuen Heimat in Kirchseeon: Mein Nachbar mag zwar Sonntage, an anderen Tagen ist er aber dafür ein fürsorglicher Pfleger. Zusammen harkten wir die Erde glatt, zupften Unkraut und entfernten Steine. Inzwischen sind aus den kleinen Pflanzen wunderschöne Blumen geworden. Guad is ganga, die Bayern attestieren einem dann einen grünen Daumen.

In Syrien sagt man grünes Auge. Mit diesem grünen Auge ließ mich meine Mutter einen Rosenstrauch pflanzen. Als er in voller Blüte war, da schenkte ich meiner Freundin eine frisch geschnittene rote Rose. Nur eine Blume aus unserem großen Garten in Rakka, auf dem wir so viel Gemüse anbauten. Die Leute im Ort sagten oft "kleiner Supermarkt", Nachbarn schenkten sich gegenseitig Gemüse und Weintrauben. Wir hatten Heilkräuter, Rosmarin, Thymian, Pfefferminze, Salbei, Melisse und vieles mehr. Wie eine kleine Apotheke, die für jede Krankheit ein Kraut hatte. Für fast jede.

Vor sieben Jahren habe ich in unserem Garten einen Dattelbaum gepflanzt. Er würde jetzt das erste Mal Früchte tragen. Doch dieser Baum, mein Rosenstrauch und alle Schönheit des Gartens wurden dem Erdboden gleich gemacht. Der IS ist hier immer noch am Werk, dagegen war in Syrien bisher kein Kraut gewachsen.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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