Neue Heimat:Das Geschäft mit dem Geschäft

Öffentliche Toilette in München, 2013

Öffentliche Toiletten sind meist nicht die angenehmsten Orte.

(Foto: Stephan Rumpf)

Öffentliche Toiletten in Bayern und Nigeria haben eines gemeinsam: Man weiß nie, was einen hinter den Türen erwartet.

Kolumne von Olaleye Akintola

W und C - diese beiden Buchstaben sind in Bayern omnipräsent. Ob am Bahnhof, in Lokalen oder an der Tankstelle. Als ich "WC" zum ersten Mal an einer Tür gelesen habe, dachte ich an das Wort Welcome. Es dauerte aber nicht lange, ehe ich begriff, wofür "WC" eigentlich steht.

Öffentliche Toiletten sind geheimnisvoll. Sie sind Erleichterungsorte für Notfälle, die Antwort auf einen unumstößlichen Ruf der Natur. Man weiß aber nie, was einen hinter den Türen erwartet. Das haben bayerische und nigerianische Klos gemeinsam und das liegt allein schon daran, dass jeder Mensch unterschiedliche sanitäre Gewohnheiten pflegt. Meine Beobachtung: Die meisten tendieren dazu, die Benutzerregeln an der Klowand zu missachten - egal woher, egal ob Frau oder Mann. So mancher Geselle meidet bewusst Hautkontakt mit der Kloschüssel und nimmt dafür in Kauf, dass die Ladung ihr Ziel verfehlt. Denn wen die Natur drückt, für den ist Sauberkeit bisweilen eine Nebensächlichkeit.

In meiner Erinnerung kommt das Betreten einer öffentlichen Toiletten in Nigeria dem Besuch in einem modernden Leichenschauhaus gleich. Ehe man die Operation startet, sollte man deshalb zu allererst sein Gesicht mit einer Atemschutzmaske bedecken. Erst nach dieser Maßnahme sollte man die Tür öffnen, und in kleinen Trippelschritten nach einer Route suchen, auf der man nicht in menschliche Erzeugnisse tritt. Wer Glück hat, findet dann sogar eine freie Kabine.

Dort hört man aus den anderen Kabinen Klagerufe, weil es so stinkt. Und man hört auch sonst alles. Eine Klospülung gibt es natürlich nicht. Zur Reinigung der Kloschüssel reicht einem der Türsteher eine penibel bemessene Menge Wasser in einer kleinen Schüssel. Das reicht kaum fürs Saubermachen vom Klo, und erst recht nicht zur Selbstreinigung. Und so kommt es, dass so mancher das Klo mit einem Schwarm Fliegen im Schlepptau verlässt. Trotzdem lugt der Türsteher um die Ecke und will am Ende Münzen. Geschäft ist Geschäft.

In München schwimmen viele Leute im Überfluss, auf den Böden ihrer Klos schwimmt dafür nichts herum. So sehen sie aus, die Toiletten der Bourgeoisie: Man steckt große Geldstücke in Automaten, dann geht es los. Im Hintergrund spielt Musik, ein Ständchen für die Seele des Besuchers. Damit der Kunde nicht von Geräuschen irritiert wird, die benachbarte Kabinenbenutzer von sich geben. Es ist wie ein Palast von einem Scheißhaus: Weil es genug Wasser und Seife zum Händewaschen gibt - und ganze Rollen von duftendem Reinigungspapier.

Sauber geputzte Spiegel und Männer und Frauen, die sich um die Reinlichkeit kümmern. Der einzige Haken: Man muss sich den Klobesuch in München erst einmal leisten können. Am Hauptbahnhof und am Ostbahnhof kostet es gleich einen ganzen Euro, damit sich die Tore öffnen. Dafür bekäme man in meiner früheren Heimat ein gutes Essen im Lokal. Vielleicht ein Grund, warum es in München so viele alternative Geschäftsideen gibt. Aus ökonomischen Gründen wählen viele Leute Gratis-Klos. Das bringt einen finanziellen Vorteil, aber auch viele Unannehmlichkeiten mit sich.

Das Problem daran: Alles, was es umsonst gibt, kann ziemlich einfach missbraucht werden. Das sieht man an bayerischen Gratis-WCs ziemlich gut. Meistens sind sie rostig und voll von Spinnweben - das erkennt man schon von weitem. Innen drinnen wird es meistens nicht besser. In Autobahnklo-Kabinen liest man oft erschreckende Sprüche an den Wänden. "Fuck you Niggar", hab ich neulich erst wieder gelesen. Kein Wunder also, warum sich die Leute ihr Kleingeld für solche Momente aufheben. Damit ihnen dieser Mist erspart bleibt.

Ich gehöre zu den Leuten, die den Toilettengang gerne zum Meditieren, Nachdenken oder Lesen nutzen. Andere rauchen dort heimlich ihre Zigarette oder chatten mit irgendwelchen Leuten am Handy. Weil man am Klo endlich einmal seine Ruhe hat und keine komischen Fragen beantworten muss. Wozu auch immer ein WC noch so herhalten muss - eins ist klar: Eine saubere Toilettenkabine ist in einer geschäftstüchtigen Stadt wie München nicht zu überbieten.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: koei

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