Neue Gleichstellungsbeauftragte:An Widerständen wachsen

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"Gerade in München stehen wir vor großen Herausforderungen", sagt Nicole Lasall. Sie ist seit Oktober die neue Gleichstellungsbeauftragte. (Foto: Heidi Mayer/OH)

"Man darf für diesen Job nicht harmoniesüchtig sein": Nicole Lasall leitet seit Oktober die Gleichstellungsstelle im Münchner Rathaus

Von Martina Scherf, München

Was waren das für Kämpfe, als die erste bayerische Gleichstellungsbeauftragte 1985 mit ihrer Arbeit begann. Fast jeder Vorschlag, jeder Einwand, den Friedel Schreyögg im Münchner Rathaus vorbrachte, wurde mit Spott und Häme quittiert. Frauen fühlen sich in U-Bahnen und Tiefgaragen nicht sicher? Gelächter über so viel Gefühlsduselei. Die Schreyögg will bei Beförderungen mitreden? Ja, wo kommen wir denn da hin! "Hysterische Ziege" und "Emanze" waren noch die harmlosesten Beschimpfungen für die Pionierin der Gleichstellung. Manchmal schoss sie auch ein Eigentor, etwa als sie Verständnis für Frauen äußerte, die eine Apfelhälfte auf einem städtischen Faltblatt als sexistisch bezeichneten - sie könnte an eine Vagina erinnern. Der "Sex-Apfel" wurde zur Stadtaffäre. Es waren die Achtzigerjahre, die Gräben zwischen den Geschlechtern noch tief.

Nicole Lasall kennt diese Geschichten, sie ist in München aufgewachsen. Wenn sie nun 30 Jahre später selbst die Gleichstellungsstelle im ersten Stock des Rathauses übernimmt, wird sie auf mehr Verständnis stoßen, vieles ist heute selbstverständlich. Nicht nur Notrufsäulen und bessere Beleuchtung in Tiefgaragen, auch Frauen in Spitzenpositionen, Elternzeit für Männer oder Fortbildungen für Berufsrückkehrer. War damals die Rathausregierung noch ein Herrenclub, so hat München heute immerhin eine Bürgermeisterin und vier Referentinnen, und fast die Hälfte aller Führungskräfte in der Verwaltung sind Frauen - wenn auch längst nicht in den höheren Einkommensgruppen, sondern vor allem bei Kindergärten und Sozialdienststellen. "Trotzdem bleibt noch sehr viel zu tun", sagt Nicole Lassal, "und Widerstände gibt es auch heute noch."

Die 44-jährige Politikwissenschaftlerin mit den langen dunklen Haaren wirkt milde, macht aber in wenigen Worten klar, dass sie gewohnt ist, an Widerständen zu wachsen. "Man darf für diesen Job nicht harmoniesüchtig sein", sagt sie und lächelt. Sie hat sich bei der Bewerbung um das Amt, das direkt dem Oberbürgermeister unterstellt ist, gegen 140 Mitbewerberinnen durchgesetzt, "da haben wohl meine Kompetenz und meine Führungserfahrung eine Rolle gespielt", sagt sie.

Fast zwanzig Jahre lang war Lasall in der Landesarbeitsgemeinschaft der Behindertenselbsthilfe in Bayern (LAG) tätig, einer Organisation mit 400 000 Mitgliedern, zuletzt als Geschäftsführerin. Sie hat sich dort schon reichlich mit politischem Gegenwind und gesellschaftlichen Vorurteilen auseinandersetzen müssen und mit schwerfälligen Verwaltungen, wo es meistens erst einmal heißt: "Das geht nicht." Und weil es Frauen mit Behinderung doppelt schwer haben im Leben, hat sie sich speziell um die Rechte dieser Gruppe und deren Angehörigen gekümmert.

Nebenbei hat Lasall vier Töchter zur Welt gebracht, die heute im Teenager-Alter sind. Wie man Familie und Karriere unter einen Hut bringen kann, auch das hat sie also eindrücklich bewiesen. Sie hat alle Modelle durchgeprobt, sagt sie, einmal gleich nach dem Mutterschutz wieder gearbeitet, mal Elternzeit genommen, und ist dann aus der Teilzeit in die Vorstandsetage aufgestiegen. "Das musste ich natürlich erkämpfen", betont sie, und fügt noch hinzu: "Damit so etwas klappt, muss vieles zusammenspielen. Ich habe das Glück, dass mein Mann die Familienaufgaben absolut paritätisch übernimmt."

Am 1. Oktober hat sie nun ihr neues Amt übernommen, das nach dem Weggang ihrer Vorgängerin Michaela Pichlbauer fast eineinhalb Jahre unbesetzt war. Vor der OB-Wahl wollte der Stadtrat die öffentlichkeitswirksame Position nicht ausschreiben, die vielen Bewerbungen einerseits und die unterschiedlichen Vorstellungen in der schwarz-roten Koalition andererseits haben dann die Entscheidung weiter verzögert. Lasall, parteiunabhängig, kommt jetzt in einer Phase, wo die Haushaltskasse klamm ist, wo jede Ausgabe noch strenger geprüft wird. "Da muss man immer wieder klar machen, dass Gleichstellungspolitik kein nettes Zusatzangebot ist, das man sich leistet, sondern ein fundamentales Grundrecht", sagt die Politologin.

Seit Gründung der Bundesrepublik 1949 steht im Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 2: "Frauen und Männer sind gleichberechtigt." Doch jahrzehntelang war die Realität eine ganz andere. Erst 1957 durften Frauen ohne Genehmigung ihres Ehemannes ein Konto eröffnen, bis 1977 brauchten sie seine Erlaubnis, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben wollten. Und erst 1994 erhielt das Grundrecht die Ergänzung, dass der Staat für seine Durchsetzung zu sorgen hat. Zwei Jahre später formulierte dann auch der Bayerische Landtag sein Gleichstellungsgesetz. Eine kleine Ausstellung im zweiten Stock des Rathauses erinnert an die Mütter des Grundgesetzes, die einst erbittert für das Frauenrecht stritten.

Heute hat es die Frauenförderung leichter. "Es ist schon viel erreicht, die Stadt steht gut da", sagt Nicole Lasall, "aber gerade in München stehen wir vor großen Herausforderungen. Die Bevölkerung wächst, da wird es noch sehr viel mehr Krippen-, Kindergärten- und Hortplätze brauchen, um Müttern die Berufstätigkeit zu ermöglichen." Auch die Beratung und Entlastung von pflegenden Angehörigen müsse verbessert werden. Und in der Verwaltung selbst sieht sie gerade in den höheren Etagen noch Nachholbedarf bei der Frauenförderung. "Wir brauchen mehr Coaching, damit Frauen sich Führung zutrauen, und mehr Teilzeitangebote, auch für Männer, die sich mehr Zeit für Familie nehmen möchten. Teilzeit bedeutet ja nicht weniger Leistung, das müssen wir immer wieder klar machen." Sie hat das ja selbst schon mit ihrem Lebensweg bewiesen.

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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