Neue Fahrrad-Trends:Wir sind die Coolsten, wenn wir cruisen

Sich fortbewegen ohne Stress und den Frühling genießen - die neuen Cruiser-Räder passen zur Jahreszeit. Wir haben uns in München umgesehen.

Philipp Crone

Es wirkt wie ein Symbol für die ersten warmen und hellen Tage, es steht für die Frühlingsgefühle in der Stadt. Dieses Gefährt, ein schweres, ausladendes Fahrrad, vereint dabei eigentlich alles, was nicht modern ist. Es wiegt 20 Kilogramm, hat eine Rücktrittbremse, kein Licht, keine Klingel, nur drei Gänge, lenkt sich so umständlich wie eine Harley-Davidson und sieht auch so aus.

Apehanger, Chopper-like, Fatti-O-Tires. Sprich: Bei den Cruiser-Rädern - ursprünglich vor 60 Jahren in den USA in Mode - hält man sich an den Lenkern wie ein Affe an der Stange fest, flezt zurückgelehnt im gepolsterten Ledersattel, während die extrabreiten Reifen langsam über die Straße rollen.

Manifestierte Langsamkeit. Ein Fortbewegungsmittel, das schnelle Fortbewegung verhindert. Gerade deshalb scheinen es die Leute auch zu mögen. "Es ist wie in einem Cadillac", sagt Karin Schönberger, die mit einem Freund zusammen Anfang März in der Baaderstraße den ersten Cruiser-Laden Münchens eröffnet hat. Langsam oder am besten gleich gar nicht bewegen. Darum geht es ja irgendwie auch an diesen warmen Frühlingstagen, in denen Schüler und Studenten Ferien haben und viele andere sich welche nehmen.

Noch sind die allermeisten Gesichter winterweiß, niemand mit Sonnenbrand zu sehen, und noch ist kein Bräune-Neid spürbar, noch kein fliegendes Getier in der Luft oder im Glas, noch ist ein Sonnentag etwas Besonderes, noch steht vielen das erste Grillen bevor, die erste Biergartenmaß, noch sind die Gerüche neu.

Die nach Gewürzen und Essen auf dem Viktualienmarkt, die nach Erde an der Isar, selbst Abgase sind erträglicher als noch in den letzten Winterwochen - so ein erster Vespa-Duft ist doch ein Genuss. Die Motorinieri machen ihre Gefährte auf den Bürgersteigen wieder startklar, andere rollen ihre alten, unmotorisierten und ungeölten Räder zumFachgeschäft.

"Rad steht für ,Raus!'", sagt Jimmy vom Glockenbike-Laden. Er zeigt durch die noch vom letzten Regen und Schnee verschlierte Fensterscheibe seines Geschäfts auf die besonnte Straße und sagt: "Schau raus, die sind auf einmal alle wie die Schlangen." Jimmy ist Grieche. In seiner Heimat gibt es viele Schlangen, und die Tiere würden sich zum schnelleren Verdauen auf warme Steine in die Sonne legen, erklärt er.

So machen es die Münchner derzeit auch, ob in den Cafés, in den Auen oder einfach auf einem kleinen Mäuerchen am Bürgersteig. Überall sitzen Leute mit geschlossenen Augen und richten sich zur Sonne aus.

Der Trend geht zum Zweitrad

Dafür hat Jimmy keine Zeit. Die Zweiradbranche boomt gerade. "Es ist echt erstaunlich", sagt er, "in diesen Tagen bringen die Leute Räder an, da seh ich auf den ersten Blick, dass die seit Jahren im Keller standen." Warum? Die Erklärung kommt gleich hinterher. "Die Menschen steigen alle um aufs Rad, das ist einfach günstiger. Wegen der Krise wird vielen das Autofahren langsam zu teuer, dazu kommen die vielen neuen Parkzonen in der Stadt."

Im "2 Rad" an der Georgenstraße in Schwabing eilen die Mitarbeiter von einem Kunden zum nächsten, am Eingang steht ein Schild: "Keine Fremdräder vor dem 20. April". Und im Radgeschäft an der Fraunhoferstraße geht es genauso zu. "Drei Wochen Wartezeit bei der Reparatur von Rädern, die nicht bei uns gekauft wurden", sagt Werner Beck. Auch er hat einige Cruiser im Angebot.

"Als ich vor 30 Jahren angefangen habe, gab es zwei verschiedene Fahrradtypen, Rennräder und Nicht-Rennräder. Jetzt gibt es 20 Typen", sagt Beck. Mindestens. Schon die in Schönbergers Laden "Isarcruiser" nennen sich etwa Townies oder Deliveries (die haben eine umrahmte Holzfläche vor dem Lenker, auf die ein Kasten Bier passt), und bei den Rädern geht es schon gar nicht mehr um Form, sondern mehr um das Design, sie werden nach den Künstlern benannt und nicht mehr nach einer Seriennummer. "Das Cruiserbike ist ein klassisches Zweitrad", sagt Schönberger. Fast jeder habe ja ein Gebrauchsrad, aber das Cruise-Gerät nutze man in der Freizeit, für den Weg zum Biergarten oder zum Grillen.

Und wirklich, die Probefahrt zeigt: Auf einem solchen Slow-Rad kann man kaum anders als zu entspannen, da sind einem nach wenigen Metern die Grünphasen der Ampeln egal, die man normalerweise unbedingt noch erreichen will, da wagt man den Blick nach rechts und links und wird natürlich auch wahrgenommen. Zwei Runden um den Gärtnerplatz genügen, um alle Blicke aus den vollbesetzten Cafés auf sich zu lenken. Man kann natürlich auch noch nachhelfen. Mit Accessoires in Form von Plastikblumen zum Beispiel, Schlössern in Handschellenform oder Helmen im Snowboarder-Style.

Der sonnige Frühling ist eben auch jedes Jahr die Zeit, in der sich Münchens Bewohner wieder öffentlich zeigen. Biergärten, Auen und Plätze werden zu riesigen Freiluftlaufstegen für die neuesten Modetrends aller Art, und dazu gehören in diesem Jahr endgültig auch Fahrräder.

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