Volksschauspielerin:Die "schweren Jahre" der Liesl Karlstadt

Volksschauspielerin: Liesl Karlstadt mit Brigitte Eriksson, der Tochter ihrer Freundin Norma Lorenzer. Eriksson schenkte dem Museum später die Briefe.

Liesl Karlstadt mit Brigitte Eriksson, der Tochter ihrer Freundin Norma Lorenzer. Eriksson schenkte dem Museum später die Briefe.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine Ausstellung im Valentin-Karlstadt-Musäum beleuchtet die Zeit zwischen 1935 und 1945 - und gibt erstmals Einblicke in den Briefwechsel mit Karlstadts Freundin Norma Lorenzer.

Von Sabine Reithmaier

Sabine Rinberger erinnert sich noch gut an den Tag, als Brigitte Eriksson 2006 im Valentin-Karlstadt-Musäum erschien. In der Hand 130 Briefe und Postkarten, die Liesl Karlstadt von 1935 bis 1953 an ihre Mutter Norma Lorenzer geschrieben hatte. Eriksson war nur zehn Minuten da, erzählte kurz, dass diese Briefe der Schatz ihrer Kindheit gewesen seien. Dann ging sie. "Und hinterher fiel mir ein, was ich sie alles hätte fragen müssen", sagt Rinberger.

Gemeinsam mit Andreas Koll hat die Museumschefin eine Sonderausstellung aufgebaut, in der diese Briefe erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Und manch neues Licht auf die "Schweren Jahre" Liesl Karlstadts in der Zeit zwischen 1935 und 1945 werfen.

Anlass der Ausstellung, die noch bis 20. Februar 2018 zu sehen ist, ist der 125. Geburtstag der Volksschauspielerin an diesem Tag. Rinberger und Koll haben sich jedes einzelne der zehn Jahre gründlich vorgenommen und viel Neues entdeckt. Die Briefe und ihre Erkenntnisse präsentieren sie auf Schautafeln, aufgelockert durch zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos.

Die zwei Jahre auf der Ehrwalder Alm, ihre Freundschaft mit den Gebirgsjägern, die Sorge um die geliebten Mulis nehmen eine ganze Wand ein. Von der enormen Sportlichkeit Karlstadts zeugt ihr Bergsteigerbuch, das jede Tour, jeden Gipfel festhält. Das Buch beschreibt gut die Leistungsfähigkeit dieser ehrgeizigen Frau, die sich, auch wenn sie krank war, kaum schonte und immer viel zu schnell auf die Bühne zurückkehrte.

Von Karlstadts enger Freundschaft mit Norma Lorenzer wusste man bislang nichts. Die Amerikanerin war mit dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Raimund Lorenzer verheiratet, einem jener Mediziner, die der Hypochonder Karl Valentin auf seine 88 Ärzte umfassende Liste setzte, die er im Notfall konsultiert haben wollte - auch sie ein Ausstellungsstück. Die Familie wohnte mit Tochter Brigitte im "Kefernest"am Englischen Garten. Kefernest - so hatte Olaf Gulbransson das Haus getauft, in dem er lebte, bevor es ihn an den Tegernsee zog. Weil sich Raimund Lorenzer auch als Dichter versuchte, pflegte die Familie zu vielen Künstlern Kontakte, auch zu Karl Valentin und Liesl Karlstadt.

Der Seelenzustand Karlstadts war miserabel

Der Briefwechsel beginnt im Juli 1935, als Karlstadt in der Psychiatrischen Klinik in der Nußbaumstraße weilt. Am 6. April 1935 war sie in die Isar gesprungen, ihre heiß geliebte Katze an sich gepresst. Das Tier ertrank, die Schauspielerin wurde an der Prinzregentenbrücke aus dem Wasser gefischt. "Kummer" gibt die Polizeichronik lapidar als Grund für den Suizidversuch an.

Valentins ständige Amouren, die Pleite seines Panoptikums, die Karlstadt um ihre Ersparnisse brachte, die Schuldgefühle wegen des Suizidversuchs - ihr Seelenzustand war miserabel. Norma Lorenzer schrieb ihr im Juli den ersten Brief, eine Antwort schaffte Karlstadt erst im September. "Ich war ja noch sooo krank", entschuldigt sie sich.

Karlstadt und Valentin waren echte Stars in München

Schon im September dreht sie, noch als Patientin, mit Valentin den Film "Kirschen in Nachbars Garten". Abends kehrt sie erschöpft in die Klinik zurück. "Diese verdammte Krankheit ist mir in der Seele zuwider - aber immer noch fehlt das Letzte Grosse, den Weg zurück ins Leben zu finden", schreibt sie am 15. September 1935. Dann ein Gastspiel im "Kabarett der Komiker". "Und nun geht es nach Berlin - Val. hat schon alle Zustände wie eine schwangere Frau - eben wegen der Weltreise! Hoffentlich bin ich stark genug, um Alles ertragen zu können", teilt sie am 24. November der Freundin mit.

Anfangs klappt es auch, Karlstadt bewältigt zwei Vorstellungen am Tag. Aber dann weint sie plötzlich auf der Bühne. Ihr Psychiater holt sie am 10. Januar in Berlin ab und bringt sie zurück in die Nußbaumstraße. So viel Zuwendung war in der Psychiatrie des Dritten Reichs sonst nicht üblich. "Valentin und sie waren eben richtige Stars", sagt Rinberger.

Volksschauspielerin: Museumschefin Sabine Rinberger hat gemeinsam mit Andreas Koll die Ausstellung konzipiert, die ein neues Licht auf die Künstlerin wirft.

Museumschefin Sabine Rinberger hat gemeinsam mit Andreas Koll die Ausstellung konzipiert, die ein neues Licht auf die Künstlerin wirft.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die schwankenden Gefühlszustände durchziehen die nächsten Jahre. Immer wieder Klinikaufenthalte, unentwegt Arbeit, ob mit oder ohne Valentin. In München schwinden die Auftrittsmöglichkeiten, fast alle Kabarettbühnen schließen. "In München haben sie uns abgebrochen, jawohl, abgebrochen", diktiert sie einer Journalistin in Augsburg, wo sie und Valentin 1939 auftreten.

Wieder beendet eine Krankheit die Zusammenarbeit, dieses Mal eine schwere Mandelentzündung. Weil sie wieder viel zu schnell auf die Bühne zurückkehrt, verursacht die nicht ausgeheilte Angina eine massive Blutvergiftung, die sie fast das rechte Bein kostet. 17 Monate dauert es, bis sie wieder ganz gesund ist.

Im Gegensatz zu Karlstadt, die auf vielen Bühnen spielt, ist Valentin für "normale" Theater nicht kompatibel. Daher eröffnet er am 17. Juli 1939 sein eigenes, die "Ritterspelunke", entwickelt den "Ritter Unkenstein" und verpflichtet als Burgfräulein Annemarie Fischer. Bleibt ihm auch nichts anderes übrig, die kranke Karlstadt steht nicht zur Verfügung, auch das eine neue Erkenntnis, die die bisherige Lesart, Valentin hätte Annemarie Fischer Karlstadt als neue Partnerin vorgezogen, als falsch entlarvt.

Mit Norma geht Karlstadt oft spazieren, einmal fahren die Frauen nach Venedig in den Urlaub. Und Briefüberbringerin Brigitte Eriksson, inzwischen ebenfalls verstorben, damals aber ein kleines Mädchen, liebte die Kuschelstunden mit der erwachsenen Freundin. Weil sie so warm, weich, knuddelig war und immer so gut nach Rosen duftete.

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