Neue Anlaufstelle:"Wir müssen erst mal akzeptieren, dass jemand trinkt"

Neue Anlaufstelle: Alkoholabhängigen Menschen, die sich am Hauptbahnhof zum Trinken treffen, will der Träger Soziale Dienste im Lindwurm 12 helfen.

Alkoholabhängigen Menschen, die sich am Hauptbahnhof zum Trinken treffen, will der Träger Soziale Dienste im Lindwurm 12 helfen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Der Träger Soziale Dienste eröffnet in der Lindwurmstraße eine Begegnungsstätte für alkoholabhängige Menschen.
  • Das Besondere ist, dass die Menschen nicht nüchtern sein müssen, wenn sie dorthin kommen.
  • Bislang setzten Ordnungskräfte eher auf Verbote wie dem Trinkverbot am Hauptbahnhof, um die Alkoholszene dort in den Griff zu bekommen.

Von Sven Loerzer

Fast vier Jahre hat die Suche nach geeigneten Räumen im weiteren Umfeld des Hauptbahnhofs gedauert. Als "sozialer Dienstleister", der eine Kontakt- und Begegnungsstätte einrichten möchte, um Menschen mit Alkoholproblemen helfen zu können, sei man bei Vermietern sehr häufig gleich wieder draußen, sagt Barbara Portenlänger-Braunisch, Geschäftsführerin des Trägers Soziale Dienste. Doch nach dem Auszug der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom Bayerischen Roten Kreuz bekam Soziale Dienste den Zuschlag für die Räume im Rückgebäude Lindwurmstraße 12: Sie werden gerade umgebaut, im Spätherbst soll dort eine "Kontakt- und Begegnungsstätte" für alkoholabhängige Menschen eröffnen. Die Finanzierung des Starts hat der Bezirk Oberbayern bereits gesichert.

Gerade wegen der Probleme im und um den Hauptbahnhof, wo inzwischen ein nächtliches Alkoholverbot gilt, kommt dem neuen Projekt besondere Bedeutung zu. "Wir sind nur eine kleine Einrichtung und werden die Situation nicht grundlegend verändern können", dämpft Ariane Auspurg, Leiterin des Betreuten Einzelwohnens Landwehrstraße (Bela) bei Soziale Dienste, zu hohe Erwartungen. Doch soll die neue Begegnungsstätte eine "fachliche Antwort" auf die Probleme geben, dem ordnungsrechtlichen Vorgehen und der Vertreibung der Alkoholabhängigen nicht allein das Feld überlassen.

Wenn Menschen massiv Alkohol konsumieren, sind sie auch für Hilfsangebote kaum mehr zu erreichen. Die neue Kontakt- und Begegnungsstätte versteht sich als niederschwellige Einrichtung: Wer kommt, muss nicht nüchtern sein, auch wenn in den Räumen selbst kein Alkohol konsumiert werden darf. Die mit drei Halbtagskräften ausgestattete Stelle will den Menschen, die überwiegend über eine Wohnung verfügen, tagsüber ein Angebot machen: "Wir müssen erst mal akzeptieren, dass jemand trinkt - vielleicht hat er einfach noch nicht die richtige Chance gehabt, damit aufzuhören." Deshalb geht es Ariane Auspurg darum, erst einmal das Vertrauen der Betroffenen zu gewinnen. Und ihnen dann "eine Art Überlebenshilfe zu bieten". Sie nennt es "Schadensbegrenzung". Zum Beispiel, auf Schnaps zu verzichten: "Wer Schnaps trinkt, ist nach kurzer Zeit extrem fertig."

Menschen mit Alkohol- und seelischen Problemen betreut Soziale Dienste bereits im Rahmen des Projekts Bela. Die zwölf Bela-Mitarbeiter, die ihr Büro in der Landwehrstraße haben, besuchen etwa 70 Klienten zuhause, bieten Hilfe, im Alltag zurecht zu kommen, egal ob es um Behördenangelegenheiten geht, um Haushaltsführung oder Probleme mit dem Vermieter. Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gehören dazu. Das kann ganz einfach auch ein Spaziergang im Englischen Garten sein: "Manche waren noch nie dort, da bekommen sie Eindrücke, die sie so noch nicht kennen", erklärt Ariane Auspurg.

Das neue Projekt Lindwurm 12, wie es nach seiner Adresse heißen soll, wird vergleichsweise klein starten, ist zunächst nur auf zehn Betreute ausgelegt. "Wir haben aber die Möglichkeit, nach einem Jahr auf 20 Klienten aufzustocken." Wenn der Umbau im Spätherbst abgeschlossen ist, soll es einen Aufenthaltsraum mit Esstischen geben, eine Küche und einen Raum für Einzelgespräche, sowie eine Werkstatt im Keller. Dazu gehören auch Waschmaschine und Dusche. Die Angebote sollen sich an den sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der Besucher orientieren, ihr Querschnitt reicht vom Berufslosen bis zum IT-Techniker. Die Öffnungszeiten werden sich nach den Wünschen der Besucher richten und müssen noch mit dem Bezirk ausgehandelt werden. "Es gibt schon die ersten Klienten, die auf die Eröffnung warten", sagt Ariane Auspurg.

Insgesamt betreut Soziale Dienste mit 120 Mitarbeitern mehr als 400 Menschen in München und der Region. Zur Wiedereingliederung seelisch Erkrankter unterhält der Träger sozialtherapeutische Einrichtungen und Wohngemeinschaften sowie ein Boardinghaus und eine Tagesstätte.

Die Erfahrungen aus Lindwurm 12, so erhofft sich das städtische Gesundheitsreferat, könnten die Grundlage für die Schaffung ähnlicher Angebote an anderen Treffpunkten alkoholabhängiger Menschen bilden. Bisher habe es keine Einrichtungen gegeben, die diesen Menschen einen Tagesaufenthalt und den einfachen Zugang zu Hilfsangeboten ermöglichen, wenn sie direkt vorher Alkohol trinken. Die bestehenden Angebote "erreichen deshalb eine Gruppe von Menschen nicht, die auf den Alkoholkonsum noch nicht verzichten können", so das Gesundheitsreferat. Der dringlichste Bedarf bestehe in der Umgebung des Hauptbahnhofs.

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