Neuaubing:Platzverweis

ESV Neu-Aubing

Teil eines guten Teams: Mohammad Riza Hossini gehört zur viel beachteten Flüchtlingsmannschaft des ESV Neuaubing.

(Foto: Günther Reger)

Obwohl Mohammad Riza Hossini in Afghanistan vom Tod bedroht ist, soll der vorbildlich integrierte Flüchtling in Kürze abgeschoben werden. Seine Fußballkameraden vom ESV Neuaubing kämpfen gegen die Ausweisung

Von Ellen Draxel, Neuaubing

Mohammad spielt in der Abwehr. Jeden Dienstag- und Donnerstagabend steht der junge Mann aus Afghanistan mit seinen Teamkollegen auf dem Fußballplatz, er gehört zur viel beachteten Flüchtlingsmannschaft des ESV Neuaubing. Dem ersten Flüchtlings-Fußballteam Bayerns, das am Ligaspielbetrieb des Deutschen Fußball-Bundes teilnimmt. Mehr als 30 Spieler zählt die Gruppe beim Training inzwischen, an die 50 sind gelistet. Mittlerweile sind auch wieder fünf Deutsche dabei: Ehemalige, die nach dem Auseinanderbrechen der Mannschaft vor einigen Jahren wegen Mitgliederschwunds zeitweilig ausgeschieden waren. "Dass wir jetzt wieder diese Kultur-Mischung haben, ist toll", findet Trainer Olaf Butterbrod, "wir verstehen uns hervorragend, sind auch charakterlich ein super Team." Eine Mannschaft wie jede andere - und doch wieder nicht.

Dass Mohammad eine Christin heiraten will, erhöht die Gefahr für sein Leben noch

Mohammad Riza Hossini kommt gerne zum Training, aber wie lange noch? Der 32-Jährige, den seine Teamkollegen Alireza nennen, soll abgeschoben werden. Er lebt seit rund fünf Jahren in Deutschland, ist gut integriert, hat einen unbefristeten Job und eine Freundin, die er heiraten will. Doch am kommenden Montag läuft seine Duldung ab. "Was derzeit passiert", sagt Butterbrod, "ist relativ krass". Vor vier Jahren hat der Trainer begonnen, mit jungen Flüchtlingen Fußball zu spielen. Menschen aus Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea. Er hat aus ihnen ein Team geformt, das über Kulturen und Religionen hinweg zusammenhält, das neuen Schwung in den Verein im Münchner Westen brachte. Ein Paradebeispiel für Integration.

Mohammad hat Mitte Oktober vom Landratsamt Starnberg eine sogenannte Grenzübertrittsbescheinigung erhalten - die Aufforderung, innerhalb von zwei Wochen das Land zu verlassen. Der Gilchinger taucht sofort unter, schläft nicht mehr zu Hause, geht nicht mehr ins Training. Zwölf Tage, bis klar ist, dass die Frist bis zum 23. November verlängert wird. Angst, sagt er, habe er seit seiner Flucht aus Afghanistan Ende der Neunzigerjahre zwar immer gehabt - aber nie so wie jetzt. "Ich habe viel gesehen", sagt Hossini, "in Afghanistan schneiden sie Leuten, die geflohen sind, die Köpfe ab". Erst recht, wenn bekannt werde, dass sie wie er zur Minderheit der Hazara gehören, einer ethnischen Gruppe schiitischen Glaubens. Und dass Mohammad Anne, eine Christin, heiraten will, erhöhe die Gefahr für sein Leben noch, fürchtet er.

Hossini ist das jüngste von zehn Kindern. Weil Taliban ihn und seine Familie erpressen und verfolgen, flieht er als junger Erwachsener über Iran und Pakistan in die Türkei. Seine Route führt ihn nach Griechenland, Frankreich, Dänemark, Schweden, Norwegen, dann auch nach Deutschland. Er hockt in Lastwagen zwischen Orangen, klemmt 72 Stunden unter einem Lkw. Er übernachtet in Parks, friert bei Eis und Schnee. Europa war eigentlich nie sein Ziel, aber irgendwann hielt er es in Afghanistan einfach nicht mehr aus: "Niemand will freiwillig so weit von seiner Familie weg". Selbstverständlich würde er sofort in seine Heimat zurückkehren, wenn es dort sicher wäre: "Aber das ist es eben nicht."

Unterstützung erhält Mohammad vom Verein, allen voran Trainer Olaf Butterbrod und Fußball-Abteilungsleiter Christian Brey. "Afghanistan ist ein Kriegsland", argumentiert der Trainer, "ich finde es eine Sauerei, dass die Staatsregierung Menschen in ein Gebiet schicken will, in dem nicht nur die Taliban aktiv sind, sondern auch der Islamische Staat. Ein Land, für das das Bundeskabinett wegen der schlechten Sicherheitslage gerade eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes beschlossen hat." Außer Hossini sind auch die afghanischen Spieler Jalil Rezai und Hadi Arefi von Abschiebung bedroht, ihr Fall wird am Mittwochmorgen im Petitionsausschuss des bayerischen Landtags behandelt. Arefi sollte schon einmal abgeschoben werden, vor zwei Jahren. Er schnitt sich im Flugzeug mit Einzelteilen seiner Uhr die Pulsadern auf. Lieber sterben, als nach Afghanistan zurück.

Mohammad ist seit eineinhalb Jahren in psychologischer Behandlung, kämpft mit Depressionen. "Eine Rücksendung in das Heimatland würde eine erneute Entwurzelung bedeuten", wodurch das Risiko von "Kurzschlusshandlungen mit tödlichem Ausgang" immens ansteige, diagnostiziert seine Ärztin. Vier Atteste bezeugen, dass der Afghane eine Ausreise nicht durchstehen würde - aber ein Gutachten der Ausländerbehörde, angefertigt nach einem zweieinhalbstündigen Gespräch, bescheinigt ihm völlige Gesundheit. "Diese nervenzermürbende Situation", sagt Hossinis Verlobte Anne Kistler, "macht uns langsam kaputt".

Hossinis Name ist inzwischen auch vielen Politikern ein Begriff. Lokalpolitikerin Dagmar Mosch sowie die Landtagsabgeordneten Katharina Schulze und Claudia Stamm (Grüne) engagieren sich ebenso für den Fußballer wie Stadträtin Verena Dietl und der Landtagsabgeordnete Florian Ritter (beide SPD). "Die Situation in Afghanistan ist nicht befriedet. Ich kann nicht verstehen, wie man jemanden, der integriert ist und sich nichts hat zuschulden kommen lassen, dorthin zurückschickt", rügt Ritter.

Jetzt bleibt nur noch der Appell an den Petitionsausschuss

Entscheiden über Mohammad Riza Hossinis Zukunft sollte nun eigentlich die im bayerischen Innenministerium angesiedelte Härtefallkommission. Diese aus anerkannten Fachleuten bestehende Jury gibt es seit neun Jahren. Ausländern, die zur Ausreise verpflichtet sind, ermöglicht die Kommission in Ausnahmefällen eine Aufenthaltserlaubnis, sofern dringende persönliche oder humanitäre Gründe dafür sprechen. Votiert die Kommission für ein Bleiberecht, stehen die Chancen gut; der Innenminister ist bislang immer der Empfehlung des Gremiums gefolgt. Für den Integrationsbeauftragten der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer (CSU), sind Abschiebungen von Afghanen in "bestimmte Regionen des Landes, wo kein Krieg herrscht", prinzipiell in Ordnung - zumal es bei diesem Thema einen Konsens mit der Bundesregierung gebe. Hossini aber ist für Neumeyer "ein klassischer Härtefall".

Am Donnerstagabend sickerte durch, dass Hossini vorerst wohl nicht zum Fall für die Härtefallkommission wird. Und solange seine Sache nicht behandelt wird, ist der Afghane nicht sicher. Jetzt bleibt ihm nur noch der Appell an den Petitionsausschuss.

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