Neuaubing:Ohne Druck, ohne Verpflichtung

Neuaubing: Das Sprachcafé mit Beraterin Kerstin Heymann-Deja ist nur eines von vielen Angeboten des Bildungslokals.

Das Sprachcafé mit Beraterin Kerstin Heymann-Deja ist nur eines von vielen Angeboten des Bildungslokals.

(Foto: Robert Haas)

Im Bildungslokal an der Limesstraße können Frauen beim Frühstück Deutsch lernen, ein Dirndl schneidern oder die Grundrechenarten lernen. Die Mitarbeiter bieten sogar eine mobile Beratung an Kindergärten und Schulen an

Von Ellen Draxel, Neuaubing

Layla Khudur ist die erste, die kommt. Es ist kurz vor zehn am Montagmorgen, Bildungsberaterin Kerstin Heymann-Deja hat schon das Frühstück hergerichtet. Auf dem Tisch stehen Brezen mit Butter oder Frischkäse, dazu Tee und Kaffee. Als gesunden Snack gibt es Erdbeeren und Tomaten. Die Irakerin Khudur fragt, ob sie helfen kann. Sie war bereits öfters im Sprachcafé an der Limesstraße 81. Hier kann sie in gemütlicher Atmosphäre Deutsch lernen ohne Druck, ohne Verpflichtung - zu Fragen, die sie in ihrem Alltag beschäftigen. Mal geht es in den Übungsstunden um Kleidung, mal ums Essen oder die Familie. Auch ihre Kinder darf die sechsfache Mutter hierher mitbringen. Das Sprachcafé des Bildungslokals Neuaubing-Westkreuz ist ein offenes Angebot, unverbindlich und kostenlos.

Heute ist das Thema Wohnen dran. Kursleiterin Heymann-Deja hat Bilder von Häusern und einen Wohnungsquerschnitt an die Tafel gepinnt. Sie fängt mit dem Basiswortschatz an. Welche Räume gibt es in einem Appartement? Küche, Schlafzimmer, Toilette, Bad und Keller; die meisten der Begriffe sind den Teilnehmerinnen bekannt. Das Wort Balkon versteht jede der Frauen auf Anhieb, es scheint international zu sein. Was aber heißt Miete? Was bedeutet Kalt-, was Warmmiete? "Meine Wohnung ist sehr viel kalt", sagt Sharai Vuoft, die mit ihrem Mann und vier Kindern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Neuaubing lebt. Der Begriff Kaltmiete sagt ihr nichts, sie weiß nur, dass die Wohnung 915 Euro pro Monat kostet. Eine Debatte über das teure Leben in München entbrennt, nicht alle können folgen. Eine Vietnamesin diskutiert mit einer Kroatin über Nebenkosten, während vier Irakerinnen versuchen, ein Zwiegespräch mit den eben erlernten Wörtern zu lesen.

"Das Unterrichten im Sprachcafé ist oft ein Spagat", meint Kerstin Heymann-Deja. "Zu uns kommen alle, vom Analphabeten bis zu Leuten mit abgeschlossenem Studium." Damit da jeder etwas mitnehme, brauche es Flexibilität. "Wir machen sehr viel ad hoc und mit Improvisationstalent, weil wir vorher nie abschätzen können, wer da ist", sagt die 48-jährige Psychologin. Einige der Frauen, weiß sie, haben noch nie eine Schule von innen gesehen.

Das Sprachcafé ist nur eines von zahlreichen Angeboten, die das Bildungslokal Bürgern aus Neuaubing und dem Westkreuz regelmäßig anbietet. Ein anderes ist die Lernwerkstatt. Zweimal pro Woche kann jeder ohne Voranmeldung an der Limesstraße lesen und schreiben lernen. Ein Lernbegleiter der Volkshochschule kümmert sich um die Besucher, gearbeitet wird dort meist schriftlich. So sind individuelle Fortschritte möglich. Auch Grundrechenarten vermitteln die Lehrer. "Unsere Teilnehmer haben uns erzählt, dass sie beim Einkaufen mit einem großen Schein an der Kasse bezahlen, weil sie keine Ahnung haben, wie viel sie schuldig sind", sagt Heymann-Deja. Einige nähmen an, zwei Zehn-Euro-Scheine seien mehr wert als ein Fünfziger - einfach, weil es zwei sind.

Fünf Alphabetisierungskurse veranstaltet das Bildungslokal in Kooperation mit der VHS inzwischen an verschiedenen Standorten. Es gibt eine mobile Bildungsberatung an Kindergärten und Schulen, bei der die Beraterinnen Kerstin Heymann-Deja und Derya Bozaba-Baylas auf Einladung über Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten referieren. Das können Informationen über die Schullaufbahn und das Studium sein, aber auch Tipps, wo man Nachhilfe bekommt oder ein Schachkurs angeboten wird.

Wer bereits weiß, wo er arbeiten möchte, kann ein Bewerbungscoaching vereinbaren. Und speziell für Senioren und Migranten bietet die Einrichtung mit der VHS in Pasing einen Computer-Anfängerkurs an. Es ist das einzige Angebot, für das ein symbolischer finanzieller Zuschuss in Höhe von zehn Euro zu entrichten ist. "Ab und zu organisieren wir auch Ausflüge in Museen oder in die Stadtbibliothek", sagt Neymann-Deja. Den Menschen zu zeigen, was München alles zu bieten hat, sehen die Bildungsberaterinnen als eine ihrer zentralen Aufgaben an. "Viele unserer Teilnehmer wohnen seit Jahren hier - und waren noch nie am Marienplatz."

Das Bildungslokal verkauft zudem Ferienpässe und Sport-Tickets für das Hallensportprogramm der Stadt und vergibt an Münchner mit geringem Einkommen kostenlose Eintrittskarten für kulturelle Angebote. Neueste Projekte sind ein Fahrradkurs speziell für Frauen, für den das städtische Bildungsreferat fünf Räder gesponsert hat, ein Gitarrenkurs für Kinder und ein Nähkurs, geleitet von einer Schneiderin, die selbst aus dem Irak stammt. Auch diese Angebote sind, dank eines städtischen Quartiersbudgets, kostenlos. Zu bewundern sind die selbst geschneiderten Dirndl, die im Nähkurs entstehen, bei einer Modenschau beim Stadtteilfest von Neuaubing und dem Westkreuz am Samstag, 23. Juli, in der Wiesentfelser Straße.

Geöffnet hat das Bildungslokal an der Limesstraße 81 montags von 14-18 Uhr, dienstags und freitags zwischen 9 und 13 Uhr sowie donnerstags von 13 bis 17 Uhr. Telefon: 8105937921.

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