Neuanfang mit 49 Jahren:Lebensmittelpunkt Lebensmittel

Neuanfang mit 49 Jahren: So sieht's aus im Institut: ganz gemütlich, eigentlich. Kommt wohl daher, dass Otto Geisel nicht nur viel von Lebensmittelkultur versteht, sondern auch von Lebensart.

So sieht's aus im Institut: ganz gemütlich, eigentlich. Kommt wohl daher, dass Otto Geisel nicht nur viel von Lebensmittelkultur versteht, sondern auch von Lebensart.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Otto Geisel, Spross der berühmten Münchner Hoteliersfamilie und Weinexperte, kümmert sich hauptberuflich um den Genuss beim Essen und Trinken. Mit seiner Agentur berät er Firmen in Fragen der guten Ernährung, der Kulinarik und zu gastronomischen Konzepten

Von Franz Kotteder

Manchmal sind es die ganz einfachen Sachen, die ihn faszinieren. Dass die Leute sich beispielsweise größte Mühe geben, den Schnittlauch in feinste Ringe zu schneiden. Dann schmunzelt er ein bisschen und sagt: "Eigentlich ist das genau verkehrt. Denn am intensivsten schmeckt Schnittlauch, wenn man ihn großzügiger schneidet." Otto Geisel, 56, weiß viel über Küchengeheimnisse und -Irrtümer, aber wenn er davon erzählt, klingt es nie besserwisserisch. So etwas lässt er nämlich eher beiläufig einfließen, weil es ihm gerade einfällt, und nicht, weil er zeigen will, dass er mehr weiß als andere. Wäre ja auch vorstellbar, wenn man eine Firma hat, die den schönen Namen "Institut für Lebensmittelkultur" trägt.

In diesem Namen steckt eigentlich schon alles drin, worum es Otto Geisel geht: um den geistigen wie sinnlichen Umgang mit unserer Ernährung und den Genuss, der damit verbunden ist, sowie um dessen Verfeinerung. Geisel hat in diesen Fragen nicht nur eine lange Vorbildung, sondern auch eine gewisse genetische Vorbelastung. Schließlich ist er ein Spross der bekannten Münchner Hoteliersfamilie Geisel. Sein Onkel führte das Hotel Königshof am Stachus zu großer Blüte, heute leiten es seine Cousins Carl, Michael und Stephan Geisel. Auch Otto Geisel kennt sich aus in der Hotelbranche. Nach dem Abitur im Internat Hohenschwangau machte er zuerst eine Kochlehre in einem Sternerestaurant im Schwarzwald und besuchte dann die Genfer Hotelfachschule. Den Diplom-Abschluss als Hotelbetriebswirt bestand er mit Auszeichnung und übernahm das familieneigene Hotel Victoria in Bad Mergentheim mit 150 Betten. "Mit so einem Hotel in der Provinz hat man zu kämpfen", erzählt er, "trotzdem habe ich lange geglaubt, dass man da was reißen kann." Er modernisierte, baute um, mit dem Chefkoch Hubert Retzbach im Hotelrestaurant Zirbelstube bekam man sogar von 1993 an 19 Jahre lang einen Stern im Guide Michelin. Damals war Geisel auch noch Vorsitzender des deutschen Slow-Food-Verbands, und nicht zuletzt deshalb verwendeten die Hotelrestaurants von 2003 an ausschließlich regional erzeugte Lebensmittel. Stolze 25 Jahre lang glaubte Geisel an die Zukunft des Hotels. Dann sagten ihm die Kinder ausgerechnet an Weihnachten 2009, dass ihr Lebensmittelpunkt wohl nicht Bad Mergentheim werden würde, und er beschloss, das Hotel zu verkaufen.

Sicher keine einfache Entscheidung, wenn man 49 Jahre alt ist und das Hotel quasi ein Familienerbstück. Aber der radikale Schnitt hat sich gelohnt. "Vor sechs Jahren sind wir wieder nach München gegangen", sagt Geisel, "und das ist wirklich eine sehr glückliche Geschichte geworden." Er gründete hier sein Institut, das er heute zusammen mit seiner Tochter Theresa betreibt. "Es gehen immer wieder Türen auf, aber man muss vorher andere zumachen."

Geisel hätte seine Unternehmung vielleicht auch ganz neumodisch "Food and Wine Agency" nennen können, schließlich versteht er sich als Dienstleister, und sein Institut ist im Grunde genommen ja eine Beratungsagentur, die auf beinahe allen Gebieten der Kulinarik tätig ist. Sie organisiert den internationalen Eckart-Witzigmann-Preis, berät Universitäten bei Studiengängen wie "Food Management" und Firmen bei der Konzeption von Kantinen, entwickelt neue Gastro-Konzepte für Lokale oder auch mal Produktpräsentationen für regionale Hersteller. Was das "Institut" jedoch von einer "Agentur" unterscheidet: Es nimmt nicht jeden Kunden, Otto Geisel hat gewisse Ansprüche. Für minderwertige Fertigware der Lebensmittelindustrie würde er sich ganz gewiss nicht ins Zeug legen, das würde ihm widerstreben.

Andererseits hat er es aber auch gar nicht mit elitärem Dünkel, wie man ihn in der Branche und in der gehobenen Gastronomie ja auch zur Genüge vorfinden kann. Die einfachsten Genüsse sind oft die besten, findet er. "Ein gutes Gericht braucht keine Betriebsanleitung", sagt er, "und das ist mit Wein genauso." Er kann sich wunderbar amüsieren über die Poesie, zu der Autoren von Weinbüchern so fähig sind. "Ein französischer Kollege hat einmal diese Beschreibung geliefert: ,Ein Wein, der so riecht wie ein dreijähriger Hengst nach scharfem Galopp unter dem Sattel.' Und solche Sätze sollen den Leuten dann das Erlebnis Wein nahebringen . . ."

Otto Geisel macht das anders, ganz anders. Gerade ist sein Buch "99 x deutsche Weine, mit denen Sie garantiert alles richtig machen" erschienen (Christian Verlag, 192 Seiten, 14,99 Euro), in dem er 99 Winzer vorstellt, mitsamt ausgewählten Weinen, die allesamt unter 15 Euro kosten. Er vergibt dort keine Punkte, lobt keine Jahrgänge. Er beschreibt auch nicht den Geschmack und schon gar nicht so, dass man dazu dreijährigen Hengsten unter den Sattel riechen müsste, um die Beschreibung halbwegs nachvollziehen zu können. "Es gibt doch kein absolutes Urteil in Sachen Geschmack", findet Geisel, "ich weiß das, weil ich schon zu viele Blindproben mitgemacht habe, um nicht zu wissen, dass man in einem so kurzen Zeitraum kein präzises Urteil fällen kann. Das sind bestenfalls Momentaufnahmen, Schnappschüsse."

Das sagt einer, der seit gut 15 Jahren im Gault & Millau-Weinführer Deutschland als Spezialist schreibt, erst für Franken, jetzt für Baden, und der 1999 der erste öffentlich bestellte und gerichtlich vereidigte Sachverständige für die Bewertung von Weinen in Deutschland war. Man hört das gern, wenn man immer wieder mal unter Weinstreber gerät und sich dort recht verloren vorkommt. Denn Geisel sagt auch: "Männer gehen total anderes an Wein heran als Frauen." Männer sähen sich gern in einer Wettbewerbssituation, müssten immer sofort Rebsorte, Lage, Winzer und Jahrgang raushauen. "Frauen sagen eher: Der schmeckt mir oder der schmeckt mir nicht. Damit sind sie aber oft viel präziser als meine Geschlechtsgenossen."

Überhaupt hält Geisel wenig von Bildungshuberei und Wettbewerbsdenken, wenn es ums Essen und Trinken geht. Der Slow-Food-Bewegung ist er immer noch sehr nahe, mit deren Begründer Carlo Petrini ist er befreundet und an ihm gefällt ihm, "dass er so gar nicht verkopft ist und den Genuss in den Vordergrund stellt". Überhaupt, die Italiener: "Die haben einfach eine ganz andere Kultur, was Essen angeht. Man kann dort ewig über die richtige Pasta diskutieren. Auf der anderen Seite sind sie aber auch zufrieden, wenn sie ein schönes Risotto und einen guten Wein haben."

Seine Fachkompetenz hat er nicht auf Seminaren gelernt, sagt er, "mal abgesehen von denen, die ich als Gerichtssachverständiger belegen musste". Geschmack sei etwas sehr Intimes, Sinnlichkeit natürlich auch. Beides könne man entwickeln, man müsse es nur zulassen. Und viel zuhören, wenn zum Beispiel Winzer über ihre Arbeit sprächen. Bei dieser Art von Lernen sei das Genusserlebnis die Belohnung, wie beim Dressurakt im Zirkus. Und mit der Zeit lerne man dazu und höre noch viel feinere Zwischentöne heraus. Deren gebe es beinahe unendlich viele. Geisel nennt das Beispiel Käse: "Würde man den wie Wein nur in hermetisch abgeriegelten Stahltanks ansetzen, dann käme vielleicht Frischkäse raus, aber niemals ein Gruyère oder ein Appenzeller. Es gibt also schon so etwas wie den ,Geist des Ortes', ohne esoterisch werden zu wollen."

Wenn man sich da ein bisschen auskennt, dann kann man also einen schönen Beruf daraus machen. Und dass er einen schönen Beruf hat, daraus macht Otto Geisel kein Hehl. Letztlich ist es dann auch egal, ob man sich da um Betriebsgastronomie kümmert oder um ein Sternerestaurant, ob man einen 20 Jahre alten Barolo trinkt oder einen Muscat aus dem Aostatal, der im Einkauf keine zehn Euro kostet: "Auch der bietet oft eine Riesengaudi. Und darum geht es doch letztendlich."

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