Neu am Karolinenplatz:Redebedarf

Als Lobbygruppe der Industrie wird die Acatech gelegentlich geschmäht. Doch Präsident Reinhard Hüttl will die Technikakademie am neuen Standort als offenes Forum für wissenschaftliche Diskussionen etablieren

Von Jakob Wetzel

Eine bessere Adresse ist in München nicht leicht zu finden. Am Karolinenplatz, unmittelbar neben dem israelischen Generalkonsulat und dem NS-Dokumentationszentrum, wenige Schritte entfernt von der Technischen Universität und der neuen Hochschule für Politik, eröffnet an diesem Freitag die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Acatech ihre neue Geschäftsstelle mitsamt "Forum". An dem Ort, an dem 1812 der bayerische Kronprinz und spätere König Ludwig I. ein Palais für sich selbst errichten ließ - es war der repräsentativste Baugrund am Platz, er liegt in der Sichtachse der Max-Joseph-Straße -, und wo in einem in den Fünfzigerjahren errichteten Neubau von Carl Kergl die Staatliche Lotterieverwaltung noch bis 2014 Millionäre kürte, dort sollen künftig Wissenschaftler, Politiker und Wirtschaftsvertreter miteinander diskutieren.

Die Acatech - das Kurzwort steht für die gewünschte Verknüpfung von Akademie und Technik - ist in ihren eigenen Worten die Stimme der deutschen Technikwissenschaften im In- und Ausland: Im Auftrag von Bund und Ländern berät sie Politiker und gesellschaftliche Akteure in technologiepolitischen Fragen, sie fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs und hat sich vorgenommen, Forscher und Unternehmer zusammenzubringen. Dabei setzt sie auf das Netzwerken: Sie bietet etwa Workshops an, bei denen Wissenschaftler mit Entscheidungsträgern und Vertretern von Institutionen, Verbänden sowie Firmen zusammentreffen. Zur Akademie gehören derzeit 468 Wissenschaftler, dazu kommen 104 Senatoren aus technologieaffinen Unternehmen und Verbänden.

"Mit dem neuen Forum haben wir jetzt erheblich bessere Rahmenbedingungen", sagt Acatech-Präsident Reinhard F. Hüttl. Bislang hatte die Akademie ihre Büros in einem Seitenflügel der Residenz; ihre Treffen organisierte sie an wechselnden Orten. Künftig gebe es dafür nun einen zentralen Platz, sagt Hüttl. Geplant seien in nächster Zeit Workshops, zum Beispiel mit dem Deutschen Museum, zu Themen wie Nanotechnologie, die in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert würden. Und das neue Gebäude erhöhe nicht zuletzt die Sichtbarkeit der Akademie. "Es erlaubt uns, noch stärker direkt mit Politik und Gesellschaft in Beziehung zu treten." Die Besucher am Karolinenplatz erwartet ein offenes Foyer mit umlaufenden Gängen und halbrunden Treppen. Die Wände sind rot, die Türen weiß, der Boden aus Stein; in der Mitte wird künftig ein Springbrunnen sprudeln. Die Büros sind schmal, dafür stehen mehrere Konferenzsäle bereit.

Maßgeblich beim Umzug in diese Räume geholfen hat Acatech die bayerische Staatsregierung. Als "international sichtbares Markenzeichen für Bayern" lobte 2011 der damalige Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) die Akademie. Als die neue Adresse im früheren Gebäude der Lotterieverwaltung feststand, erklärte CSU-Finanzminister Markus Söder, nur dank dieses repräsentativen Ortes habe man die "für den Technologie- und Wissenschaftsstandort München bedeutende Einrichtung" in der Stadt halten können. Zur Eröffnung an diesem Freitag ist Ministerpräsident Horst Seehofer angekündigt.

Aber woher rührt diese Bedeutung? Die Acatech ist eine junge Akademie. Als nationaler Verein gegründet wurde sie im Februar 2002; zu Beginn war sie auch noch keine eigene Akademie, sondern nur ein "Konvent für Technikwissenschaften der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften". In dieser Union haben sich acht große Institute zusammengeschlossen, darunter die Bayerische Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, die ihre Geschichte bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. In diesen Akademien sind traditionell Geistes- und Naturwissenschaften stark vertreten. Die Technikwissenschaften dagegen waren lange nicht als gleichwertig anerkannt, galten sie doch als rein anwendungsorientierte Disziplinen. Doch nach ihrer Gründung brauchte die Acatech nur wenige Jahre, um sich zu emanzipieren und zur eigenständigen Akademie zu werden.

Die Anwendungsnähe freilich ist geblieben, und es mag damit zusammenhängen, dass die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften kaum Berührungsängste im Umgang mit der Industrie hat - was ihr zuweilen den Vorwurf einbringt, weniger Akademie als Lobbygruppe zu sein. Tatsächlich ist die Acatech ein gemeinnütziger Verein, der seit 2008 von Bund und Ländern gefördert wird. Im Jahr 2015 verfügte die Akademie über einen Haushalt von etwa 13 Millionen Euro. Etwas weniger als die Hälfte des Geldes kam aus der Wirtschaft, das Übrige setzte sich aus öffentlicher Förderung zusammen sowie aus institutionellen Drittmitteln und Spenden. Ihren Auftrag bezeichnet die Akademie selbst als wissenschaftsbasierte Beratung, und sie hat sich Transparenz verordnet: In ihren Leitlinien heißt es, alle an der Beratung Beteiligten seien "aufgefordert, ihre Interessen und Abhängigkeiten offenzulegen, die Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit wecken könnten." Einen Pförtner gibt es im Haus am Karolinenplatz nicht.

Im neuen Forum will die Akademie sich nun grundlegenden Zukunftsfragen widmen. Mit der Bedeutung der sozialen Medien für die Wissensvermittlung und die gesellschaftliche Debatte zum Beispiel, sagt Präsident Hüttl. Oder auch mit dem Klimawandel: Da müsse man nicht nur darüber sprechen, wie man über das Einsparen von Treibhausgasen hinaus noch gegensteuern könne. Sondern man müsse auch fragen, wie sich Kommunen auf die Erderwärmung vorbereiten können, mit ihrem Wasserhaushalt etwa oder auch bei ihrer Energieversorgung. Da gelte es einen Ort zu schaffen, um differenziert und wissenschaftlich mit den Interessengruppen zu argumentieren, sagt Hüttl. "Wenn wir in fünf Jahren als ein bekannter Ort für genau diese Art der Auseinandersetzung gelten, wenn uns das in München gelingt - dann haben wir erreicht, was wir wollten."

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