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Netzwerker: Neues Nord-Süd-Gefälle in Europa: "Wir müssen uns wieder mehr aufeinander zubewegen", sagt Ferrán Ferrando.

Neues Nord-Süd-Gefälle in Europa: "Wir müssen uns wieder mehr aufeinander zubewegen", sagt Ferrán Ferrando.

(Foto: Catherina Hess)

Zurück in München: Ferrán Ferrando leitet wieder das Instituto Cervantes - schon von 2002 bis 2007 war er Kulturvermittler zwischen Deutschland und Spanien

Von Martina Scherf

Wenn Ferrán Ferrando Meliá aus dem Fenster seines Büros blickt, liegen vor ihm die Stätten der Hochkultur in München: Residenz, Staatsoper, Hofkirche. Das Instituto Cervantes hat zweifellos die nobelste Adresse aller ausländischen Kulturinstitute: am Marstallplatz - auch wenn der vor einigen Jahren in eine spröde "Alfons-Goppel-Straße" umbenannt wurde. Seit 20 Jahren residiert das spanische Pendant zum Goethe-Institut in einem Prachtbau, in dem einst der königliche Hofstaat untergebracht war.

Ferrando war hier schon einmal fünf Jahre lang Direktor, im Herbst ist er nach weiteren Stationen im Ausland in seine Wahlheimat München zurückgekehrt und hat wieder sein altes Büro bezogen. Dort hängt inzwischen nicht mehr das Porträt von König Juan Carlos an der Wand, sondern das seines Sohnes Felipe. Und auch sonst hat sich in wenigen Jahren viel verändert. Das Auffälligste: Auf Münchens Straßen, in Clubs und Läden hört man häufig Spanisch. Fast 10 000 Neuankömmlinge leben jetzt an der Isar.

Bevor Ferrando 2007 mit seiner Familie nach Stockholm gezogen war, als Direktor des dortigen Cervantes-Instituts, hatte er in München noch eine Reihe über Spanien als Auswanderungsland organisiert. "Aus historischer Perspektive natürlich, das ist ja auch Teil meiner eigenen Geschichte". Seine Eltern waren in den Sechzigerjahren aus dem Hinterland von Valencia nach Kassel gezogen, der Vater kam als sogenannter Gastarbeiter bei VW unter.

Ferrando war fortan in drei Sprachen zu Hause: Katalanisch, Spanisch, Deutsch. In Bremen wurde der Romanist dann promoviert, über Frankfurt führte ihn die Karriere nach München. Hier hat er seine Frau kennengelernt, hier sind seine Kinder geboren. "Und jetzt kehre ich zurück und stelle fest: Die Geschichte der Auswanderung wiederholt sich. Erneut suchen Zehntausende von Spaniern in Deutschland Arbeit."

Tatsächlich wiederholt sich manches, wenn auch unter anderen Vorzeichen. In den Sechzigerjahren herrschte in Spanien noch die Franco-Diktatur, heute gehört das Land unverrückbar zu Europa. Viele der jungen Spanier, die kommen, sind Akademiker. Deutsche machen nicht nur Urlaub in Spanien, sie besitzen dort Häuser oder betreiben ein Business. Und viele sprechen Spanisch, haben es vielleicht am Instituto Cervantes gelernt. 3000 Teilnehmer waren es im vergangenen Jahr im Münchner Institut. Die Nachfrage ist ungebrochen - während die Sprache von Cervantes und García Lorca an bayerischen Schulen immer noch ein Schattendasein hinter Französisch führt. Studenten wechseln dank Erasmus-Stipendien zwischen den Ländern, und Barcelona gilt bei ihnen als eine der spannendsten Städte Europas.

Alles schön und gut, aber trotzdem ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern angeknackst. Die Finanzkrise hat den Süden Europas ungleich schlimmer getroffen. In den fünf Jahren, die Familie Ferrando zuletzt in Barcelona lebte, hat sie die Erosion der Kulturbetriebe hautnah gespürt. "Während München über einen Konzertsaal diskutiert, müssen die Orchester in Spanien Dutzende von Musikern entlassen", sagt der Rückkehrer. Und während Spanier gegen den Kahlschlag im Bildungswesen protestieren, bangt München um seinen Ruf als Literaturstadt, "nur weil ein paar Autoren nach Berlin gezogen sind". Luxusdebatten, meint der Romanist, dessen Frau Geigerin im Gärtnerplatzorchester ist, "in einer Stadt, die in fast allen Sparten Weltniveau bietet". Aber vielleicht, meint er, gehören solche Debatten auch hierher. Und sie seien Ausdruck einer engagierten Zivilgesellschaft, "da könnte Spanien etwas lernen". Hat eben alles zwei Seiten.

Doch statt voneinander zu lernen, ist ein neues Nord-Süd-Gefälle in Europa spürbar. "Wir müssen uns wieder mehr aufeinander zubewegen", sagt Ferrando. Dazu will er als Kulturvermittler beitragen: Perspektiven weiten, Bekanntes hinterfragen - auch wenn sein Etat um die Hälfte geschrumpft ist. Zur Zeit läuft in seinem Institut eine Ausstellung mit Werken spanischer Künstler als Hommage an den Romancier Manuel Vázquez Montalbán, der als Krimiautor bekannt wurde, aber vor allem ein hoch politischer Intellektueller und provokanter Essayist schon unter Franco war.

Im Sommer kommt eine Vertreterin des neuen "Artivismo", einer Verbindung von Kunst und Protest. Kreativität, die aus der Krise entsteht, solche neuen sozialen Bewegungen interessieren ihn, und "das hat Spanien in mancher Hinsicht Deutschland voraus", sagt Ferrando.

Was können wir vom Süden lernen? Diese Frage muss endlich auch einmal gestellt werden, meint er: "Das Bild ist bisher zu einseitig." Zu oft geht es um Bankenrettung, Immobilienblasen, Euro-Kurs, das sind kalte Begriffe, die erst in persönlichen Geschichten ein Gesicht bekommen. Deshalb sind im Sommer zwei Filmemacher in München zu Gast, die Menschen in der Krise begleitet haben und zeigen, wie aus der Ohnmacht Überlebenstaktik entstehen kann.

Zeitgenössischer Film, Theater, Lesungen, Ausstellungen organisiert das Cervantes oft zusammen mit dem Filmfest München, der Muffathalle, dem Literaturhaus oder anderen Partnern. Das Institut ist aber nicht nur für das Mutterland, sondern auch für ganz Lateinamerika zuständig. So waren bisher nicht nur die großen Namen aus Spanien zu Gast, Javier Marías, Rafael Chirbes oder Joaquín Cortés, sondern auch der Mexikaner Carlos Fuentes oder der Peruaner Mario Vargas Llosa. Für Hispanophile in München ist die Bibliothek eine wichtige Anlaufstelle. Und dann ist da schließlich noch die Sprachvermittlung. "Das Niveau der Teilnehmer ist in den vergangenen Jahren gewaltig gestiegen", sagt Ferrando. Deshalb gibt es jetzt neben den Anfängerkursen vermehrt auch Special-Interest-Angebote, "Heidegger y Chillida", zum Beispiel. Ferrando erstellt Online-Angebote für die bayerischen Volkshochschulen und spinnt an dem spanischsprachigen Netzwerk in Deutschland. So erfahren die sozialen Medien sofort, wenn der kubanische Exilautor Amir Valle aus Berlin einen Nachruf auf Günter Grass schreibt.

Aber nicht nur linguistisch ist Ferrando ein Netzwerker. Sein einnehmendes Wesen öffnet ihm viele Türen. Beim Empfang im Institut nach seiner Rückkehr begrüßte Verlegerin Antje Kunstmann "einen guten Freund" - und sie war längst nicht die einzige. Schriftsteller, Musiker, Künstler und Kollegen aus der Kulturszene, sie alle freuten sich, dass "Ferrán" wieder da ist - und auf die inspirierenden Gespräche bei einem Rioja am Marstallplatz.

Seine noble Unterkunft hat das Instituto Cervantes übrigens altem Adel zu verdanken: Die Wittelsbacher Prinzessin Maria del Pilar hatte das Vorgänger-Institut schon 1954 in der Residenz untergebracht. Acht Jahre später traf sich in der bayerischen Hauptstadt dann erstmals die Opposition gegen Franco. München als Geburtshelfer für die spanische Demokratie - wenn das keine Herzensverbindung ist . . .

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