Nazibau am Münchner Königsplatz:Holde Kunst, braune Folie

Nazibau am Münchner Königsplatz: Luis Trenker (Tobias Moretti) und Leni Riefenstahl (Brigitte Hobmeier) teilten ideologiekonform die Liebe zu den Bergen und kamen hoch hinaus.

Luis Trenker (Tobias Moretti) und Leni Riefenstahl (Brigitte Hobmeier) teilten ideologiekonform die Liebe zu den Bergen und kamen hoch hinaus.

(Foto: Stephan Rumpf)

Einst "Führerbau", dann Treffpunkt für Neonazis, heute Hochschule für Musik und Theater: Das monumentale Bauwerk am Münchner Königsplatz ist ein beliebter Drehort für Filme - vor allem solche, die im Dritten Reich spielen.

Von Michael Ortner

Zügig nimmt Alexander Krause die Treppen in den ersten Stock. Vor einer Tür bleibt er abrupt stehen. "Reichskulturkammer. Zimmer 194" liest man dort schwarz auf weiß in Frakturschrift. Kaum hat der Kanzler der Musikhochschule die Türe geöffnet, blicken zwei Dutzend Augen vorwurfsvoll in seine Richtung. Man erhascht einen Blick auf den Kamin und den weißen Leuchter an der Decke, bevor eine Frau die Besucher hinauswirft: "Sie stören die Filmaufnahmen."

Das Schild an der Tür: nur eine Requisite. Denn im historischen Gebäude der Hochschule für Musik und Theater wird gerade wieder einmal ein historischer Film gedreht. Ein Film über die Südtiroler Bergsteiger-Legende, den Schauspieler und Regisseur Luis Trenker, der einem Hollywood-Agenten die Tagebücher von Eva Braun anbieten will. Darin enthalten: pikante Details über Leni Riefenstahl, die hier als Gespielin des Führers dargestellt wird.

In Zimmer 194, Hitlers früherem Arbeitszimmer, sitzt jetzt im Film Joseph Goebbels. Luis Trenker traf den Propagandaminister ja 1943 in dessen Büro, um über seine Filme zu sprechen. Die ideale Kulisse also, denn fast alles in diesem Raum befindet sich noch im selben Zustand wie vor gut 70 Jahren: der Kamin, der weiße Leuchter, die Abdeckungen für die Heizungen und das Bücherregal hinter Glas. Nur die Möbel von damals sind nicht mehr da.

Ein beklemmender Ort

Heute dient das Zimmer, von vielen an der Hochschule schlicht "Kaminzimmer" genannt, als ganz normaler Unterrichtsraum hauptsächlich für Ensembleübungen und Chorproben. Manche Studenten finden seine frühere Nutzung beklemmend. Denn hier wurde unter anderem 1938 das berüchtigte "Münchner Abkommen" unterzeichnet. Andere bedeutende politische Entscheidungen traf Hitler in München jedoch nicht mehr, denn in seinem Büro arbeitete er äußerst selten. "Ob er je an seinem Schreibtisch gesessen hat, wage ich zu bezweifeln", sagt Hochschulchef Alexander Krause. Trotzdem würden sich manche Lehrer sogar weigern, dort zu unterrichten.

"Wir drehen", schreit jemand auf dem Gang. Da scheucht die Filmcrew die Besucher auch schon hinaus. Vorbei an Kabeln, Stativen und Scheinwerfern geht es in den Keller hinunter. Wertvolle Gemälde von Jan Vermeer und Peter Paul Rubens lagerten hier. Denn Hitler sammelte in München die Bilder, die später in seinem Führermuseum in Linz hängen sollten. Statt Kunstwerken werden hier nun Akten und Instrumente aufbewahrt, in der Luft hängt modriger Kellergeruch. Rechts zweigt ein Gang ab: Er führt unter der Brienner Straße zum ehemaligen Verwaltungsbau der NSDAP.

Grelles Neonlicht leuchtet einen Tunnel aus, der zu einem weiteren Überbleibsel der Dreißigerjahre führt. Krause schließt eine massive Eisentür auf: "Fischraum", "Wild u. Geflügel" und "Rotweinkeller" steht an offenen Türen. Weniger robust als die Türen war offenbar das Schloss vom "Kartoffelkeller". Es ist vollkommen zerfetzt. Vermutlich wurde es bei Plünderungen in den ersten Tagen der Nachkriegszeit aufgeschossen. Alexander Krause befasst sich intensiv mit der Geschichte des Hauses. Regelmäßig bietet er Führungen durch die Hochschule an - auch durch die sonst nicht öffentlich zugänglichen Räume wie den Keller.

Ein begehrter Drehort für Filme

Ein Aufzug bringt die Besucher wieder nach oben in den von Säulen gesäumten Lichthof. Auf der breiten, mächtigen Treppe inszenierte Hitler Presseempfänge. Im Film spielt hier das Foyer des Vorführraums, in dem Trenker seine Filme präsentierte. "Wir haben für die Szenen einen Nazi-Bau gesucht. Das wäre zwar auch in Wien oder Berlin gegangen, aber wegen der Geschichte haben wir uns für die Hochschule entschieden", sagt Annie Brunner, eine der Produzentinnen des Films, der dann auch in der ARD ausgestrahlt werden wird.

Nazibau am Münchner Königsplatz: Die Musikhochschule, ein früherer Nazi-Bau, ist beliebter Drehort für Filme, die in den Dreißigern spielen.

Die Musikhochschule, ein früherer Nazi-Bau, ist beliebter Drehort für Filme, die in den Dreißigern spielen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Neben München wurde auch in Venedig und Südtirol gedreht. Beim Pressetermin rotten sich die Fotografen vor der Treppe zusammen. Die Schauspieler Tobias Moretti (Luis Trenker), Brigitte Hobmeier (Leni Riefenstahl), Arndt Schwering-Sohnrey (Joseph Goebbels) und Regisseur Wolfgang Murnberger posieren im Schein der Blitzlichter. Eine Frau huscht dazwischen und frischt Morettis Make-up noch ein bisschen auf.

Neugierige Touristen in den Gängen

Die Hochschule ist begehrter Drehort für Filmteams: Szenen für den neuen Teil der "Fünf Freunde" wurden hier gedreht, demnächst ist die Hochschule Schauplatz für einen Film über die Puppenmacherin Käthe Kruse. Miloš Forman wollte 2010 sogar einen Film über das "Münchner Abkommen" produzieren, doch das Budget kam nicht zustande. Auch neugierige Touristen lockt das Gebäude an. "Vor fünf Jahren kamen noch viele englischsprachige Führungen. Das nahm dann überhand", erzählt Krause. Seither dürfen Besucher nur noch die Empfangshalle besichtigen. Ob sich das 2015 auch durchsetzen lässt, wenn in direkter Nachbarschaft das NS-Dokumentationszentrum öffnet, bleibt fraglich. Die einmalige Gelegenheit für ein Selfie in Hitlers Arbeitszimmer? "Es wäre ein Wunder, wenn das nicht geschehen würde", befürchtet der Historiker Markus Eisen.

Begehrt war das Gebäude mit brauner Historie auch bei Menschen mit ebensolcher Gesinnung. 2002 versammelten sich mehr als hundert Neonazis im kleinen Konzertsaal der Hochschule und feierten Leni Riefenstahls 100. Geburtstag. Frauen kamen in eleganten Abendkleidern, viele Männer erschienen in weißen Hemden, schwarzen Anzügen und roten Krawatten - in den Nationalfarben des Deutschen Reiches. Getarnt war die Feier als CD-Release-Party, der Name Leni Riefenstahl fiel nicht in der Anmeldung. Die Musikhochschule genehmigte die Veranstaltung, erst im Nachhinein kam man dem wegen Volksverhetzung angeklagten Veranstalter aus Nordrhein-Westfalen auf die Schliche. Dieser behauptete, es sei ihm bis zuletzt nicht klar gewesen, dass es sich bei der Hochschule um den ehemaligen Führerbau handele.

"Die Erinnerung bedient sich sehr stark über Gebäude. Menschen, die affin zu dieser Ideologie sind, sammeln sich über die baulichen Reste", erklärt Historiker Markus Eisen die Faszination von NS-Bauten. Für den damaligen Rektor Robert Helmschrott war es eine "Katastrophe", seither werden Räume nur noch für Konzerte vermietet - oder eben für Filmdrehs.

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