Naturereignis:Überbelichteter Käsepilz

Zur totalen Finsternis ist in der Münchner Sternwarte so viel los wie schon lange nicht mehr. Die Besucher interessiert dabei vor allem eine Frage: Wieso färbt sich der Mond für kurze Zeit so rötlich?

Von Elisa Harlan

Es ist zwei Uhr morgens, als Benjamin Mirwald an der Erde dreht. Sie ist aus Plastik und auf einem Gestell mit Mond und Sonne befestigt. Der 34-jährige Leiter der Münchner Sternwarte knipst ein Licht an, das auf die Planetenkonstellation gerichtet ist: "Wenn es los geht, dann sieht der Mond erst mal aus wie ein angebissener Keks", sagt er. Was er meint, ist die totale Mondfinsternis, die in dieser Nacht ansteht. In der Sternwarte ist deshalb trotz der ungewöhnlichen Zeit mächtig was los: Alleine in dem kleinen Saal mit roten Sesseln und grellen Planetenbildern an der Wand, in dem Mirwald zur besseren Erläuterung sein Gestell aufgebaut hat, sitzt ein gutes Dutzend Besucher. Zwei ältere Frauen haben es sich mit einem Glas Sekt bequem gemacht.

Die Münchner Sternwarte hat Erfahrung mit Finsternissen, aber diese in der Nacht von Sonntag auf Montag ist etwas Besonderes: Die Erde schiebt sich zwischen Mond und Sonne, der Schatten der Erde wandert über den Mond. Außergewöhnlich ist das, weil der Mond noch größer erscheint als sonst. Seine Bahn ist nicht ganz kreisförmig, weshalb er manchmal etwas näher und manchmal etwas weiter von der Erde entfernt. In dieser Nacht ist der Mond nur 356 880 Kilometer von der Erde entfernt - er erscheint damit ein Siebtel größer als im Durchschnitt.

So etwas fasziniert die Leute, an der Kasse der Sternwarte bildet sich eine lange Schlange, ein Vater kommt mit seiner Tochter an der Hand, auch die 8. Klasse einer Realschule aus Neuhausen ist da. Langsam schiebt Mirwald die Schüler und einen Schwung Besucher zur Wendeltreppe hinauf Richtung Dachterrasse. Dort sind mehrere kleine Teleskope aufgebaut. Ein Jugendlicher sagt zu seinem Freund: "Voll lässig, dieser Mond". Die Antwort: "Ja, voll fresh". Sie ziehen Smartphones aus der Hosentasche, halten sie an die Linsen. Der Mond erscheint durch das Teleskop riesig, man sieht die von Kratern übersäte Oberfläche genau.

Um kurz nach drei geht es los. Der Mond tritt in den Kernschatten der Erde ein. Man kann beobachten, wie immer mehr vom Rand des Mondes abgenagt wird. Die Zuschauer schrauben Thermoskannen auf, langsam beginnen schon die Augen zu tränen vom langen Starren, die Nacken schmerzen. Tobias Hipf ist das egal, er ist für dieses Schauspiel extra früh aufgestanden. Das letzte Mal war er im Jahr 2000 in der Sternwarte - zum Kindergeburtstag. Nun hat er sich auf den Weg gemacht, um noch vor Arbeitsbeginn um 6.30 Uhr den Blutmond anzusehen. "Planeten und das Universum faszinieren mich einfach", sagt er. Im Urlaub beobachtet er gerne Polarlichter. Um kurz nach vier beobachtet auch Hipf, wie der Mond rot glimmt, ähnlich der Asche einer Zigarette. Für eine Stunde und zwölf Minuten taucht der Vollmond komplett in den Kernschatten der Erde ein. Man kann ihn aber trotzdem sehen, nicht alles Licht der Sonne wird von der Erde abgeschirmt. Sogenanntes langwelliges Licht biegt sich um die Erde und beleuchtet den Mond. Die große Frage unter den Besuchern der Sternwarte lautet nun: Warum leuchtet der Mond rötlich?

Der Mann, der eine Antwort auf fast alle Fragen hat, drückt noch einmal den Auslöser seiner Kamera, bevor er erläutert. Hans-Georg Schmidt ist seit 1969 Mitglied im Verein der Sternwarte. Kurz nach der ersten Mondlandung begann er sich ehrenamtlich zu engagieren, heute gibt der 64-jährige Luftfahrtexperte Führungen. Schmidt ist so eine Art Professor Dumbledore. Er trägt einen weißen Bart, Brille und eine schwarze Schirmmütze, den Vollmond nennt er mit Zwinkern "überbelichteten Käsepilz". Die rötliche Färbung komme unter anderem von der Vulkanasche, die ständig in der Atmosphäre hänge, erklärt er schließlich ein paar Schülern. Hauptsächlich aber liegt die Färbung an dem langwelligen Licht, das sich um die Erde biegt.

Schmidt freut sich über solche Nachfragen. "Heute machen sich die Leute viel mehr Gedanken, was außerhalb des Planeten und des eigenen Horizonts passiert". Das findet er gut. Der 64-Jährige kommt regelmäßig zu den Veranstaltungen der Sternwarte, um sich mit anderen Interessierten auszutauschen. "Wenn es um das Universum geht, geht es unvermeidlich auch um philosophische Fragen", sagt er. War es Zufall, dass die Welt so entstanden ist? Schmidt meint: "Nein. Man muss nur in den Himmel schauen, dann sieht man Gott." Er blickt auf das Display seiner Kamera, seine Bilder sind gut geworden. "Einfach spektakulär heute", sagt er. Schmidt ist nicht der einzige, der begeistert ist.

Der Anblick des roten Mondes verzaubert die Besucher auf der Terrasse, hier hört man ein "Wahnsinn", dort ein "wunderschön". Viele verharren einfach in andächtiger Stille. Jackengeraschel vor den Teleskopen. Ein junges Paar hält sich im Arm, Zeit vergeht. Die Schüler stehen zusammen und tauschen die besten Mondbilder auf ihren Handys aus. Nur langsam leert sich die Terrasse, als alles vorbei ist.

Für die Sternwarte ist die Nacht ein Erfolg. "So viele Besucher hatten wir schon lange nicht mehr", sagt Mirwald und gähnt. Er räumt noch auf. "Dann geh ich erst mal schlafen." So schnell wird eine Mondfinsternis nicht wieder kommen: Im Dezember 2029 wird sich in Europa der Mond erneut auf diese Art verdunkeln.

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