Nationalsozialismus:Wie Ordnungshüter während der NS-Zeit zu Massenmördern wurden

Polizeischule FFB, Nationalsozialismus, Offiziersausbildung
Buch Sven Deppisch 2017
Marsch einer Hundertschaft der Ordnungspolizei durch FFB
Fotonachweis: Archiv Sven Deppisch

Marsch einer Hundertschaft der Polizeischule durch Fürstenfeldbruck im Jahr 1940

(Foto: Archiv Sven Deppisch)

Eine neue Studie enthüllt die zentrale Rolle der Polizeischule in Fürstenfeldbruck für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg.

Von Peter Bierl

Offiziere aus der Polizeischule in Fürstenfeldbruck waren für unzählige Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges verantwortlich. Das ist das Ergebnis einer umfangreichen neuen Studie des Historikers Sven Deppisch. "Die Schule war ein zentraler Täterort des Dritten Reiches und ein Knotenpunkt im Koordinatensystem des Holocaust", lautet sein Fazit.

So waren Polizeioffiziere beteiligt an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung etwa in Babij Jar oder an der Deportation von Zehntausenden in die Vernichtungslager sowie an der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes.

Ähnlich wie bei der Wehrmacht pflegten die Deutschen auch bei der Polizei lange die Legende, sie sei während der NS-Zeit "sauber" geblieben. Spätestens nach den Studien von Christopher Browning (1992) und Daniel Jonah Goldhagen (1996) ließ sich das nicht mehr halten. Sie wiesen nach, dass ganz normale deutsche Ordnungshüter eine Blutspur durch Europa gezogen hatten. Deppisch hat nun recherchiert, woher die Offiziere dieser Einheiten stammten: Ein großer Teil von ihnen kam von der Polizeischule in Fürstenfeldbruck. Während der NS-Zeit absolvierten dort fast 1700 Polizeioffiziere ihre Ausbildung.

Vor dem Ersten Weltkrieg war im früheren Kloster Fürstenfeld eine Unteroffiziersschule einquartiert. 1924 zog die bayerische Polizeischule ein. Im Mai 1937 wertete Heinrich Himmler als Reichsführer von SS und Polizei die Einrichtung zur "Polizei-Offizier- und Schutzpolizeischule Fürstenfeldbruck" auf. Sie sollte den Führungsnachwuchs für eine Ordnungspolizei ausbilden, die als "Ersatzarmee" vorgesehen war, wie der Historiker erklärte.

Anfangs stand die Brucker Schule im Schatten der Einrichtung in Berlin-Köpenick, die während des Krieges an Bedeutung verlor, weil sie wegen der Luftangriffe mehrfach verlegt werden musste, sagte Deppisch. So avancierte die Polizeischule im prächtigen Barockbau von Fürstenfeld zur wichtigsten "Kaderschmiede". Der Schwerpunkt lag in einem paramilitärischen Training für Einsätze im Ausland in Vorbereitung auf den Angriffskrieg.

"Der Feind stand immer links"

Deppisch hat bei seinen Recherchen eine Kontinuität in der Ausbildung und Ausrichtung der Polizeioffiziere festgestellt, die von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik reicht. "Die Bekämpfung von kommunistischen Aufständen war im Vordergrund, der Feind stand immer links", sagte Deppisch. Bereits in der ersten Republik war der Lehrplan auf "Bandenbekämpfung" und "Säuberungsmaßnahmen" fokussiert. Die Nationalsozialisten ergänzten das Programm um Antisemitismus und Rassismus: Aus kommunistischen Rebellen wurden jüdisch-bolschewistische Untermenschen.

"Es fiel den Nationalsozialisten deshalb leicht, die Polizei für sich zu gewinnen", erklärte Deppisch bei der Präsentation seines Buches am Donnerstag in Fürstenfeldbruck in der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern, Fachbereich Polizei, wie die Einrichtung heute heißt.

Polizeischule FFB, Nationalsozialismus, Offiziersausbildung
Buch Sven Deppisch 2017
Angehörige des Ausbildungsbataillons der Polizei- und Gendarmerieschule FFB
Fotonachweis: Archiv Sven Deppisch

Angehörige des Ausbildungsbataillons der Polizeischule in Fürstenfeldbruck posieren vor Zielscheiben.

(Foto: Archiv Sven Deppisch)

Polizeiverbände unter dem Kommando von Offizieren aus Bruck begingen haarsträubende Verbrechen. Sie reichen von geplünderten und niedergebrannten Dörfern, über Massenerschießungen von Zivilisten und die Deportation von Juden nach Auschwitz und Treblinka bis hin zu Einzeltaten im Suff.

Nur wenige Täter kamen vor Gericht

Ein Reservebataillon unterhielt in Warschau eine eigene Kneipe und führte eine Strichliste über die Zahl der erschossenen Juden. Einer der schaurigsten Fälle handelt von Ordnungshütern, die zum Amüsement im besetzten Polen zwei junge Mädchen auf einem Polizeirevier zu sexuellen Handlungen mit Hunden zwangen und anschließend erschossen.

Nur wenige Täter kamen vor Gericht, viele konnten ihre Karriere im Polizeiapparat der Bundesrepublik fortsetzen. Als Paradebeispiel führt Deppisch die Biographie von Hans Hösl an: Er war Lehrer in Bruck und später Kommandeur eines Bataillons, das an Massakern in Slowenien und Griechenland beteiligt war. 1948 wurde er Chef im Ausbildungswesen der bayerischen Grenzpolizei, 1953 übernahm Hösl die Ausbildung in der Brucker Schule. In Griechenland und Deutschland ermittelten zwar Staatsanwälte gegen ihn, aber das Verfahren in München wurde mangels Beweisen 1960 eingestellt.

Sven Deppisch, Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust, Tectum-Verlag 2017, 672 Seiten, 39,95 Euro

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