Nationale Spiele der geistig Behinderten:Wenn Gewinnen nur das Zweitwichtigste ist

Nach dem Champions-League-Finale steht schon das nächste sportliche Großereignis in München an: 5000 geistig behinderte Athleten kommen zu den Special Olympics - und dann geht es um mehr als Rekorde.

Sebastian Krass

Den Anfang besorgte eine Kennedy. Eunice Kennedy-Shriver, Schwester von John F. und später Schwiegermutter von Arnold Schwarzenegger, galt als die Begabteste ihres Clans. Sie hätte das Zeug für ganz oben gehabt. Aber eine Frau als Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika? Damals undenkbar.

Special Olympics

Im OIympiapark finden die meisten Wettbewerbe der Special Olympics statt - eine Übersicht.

Für einen Teil der Gesellschaft waren diese Zustände ein großes Glück: für geistig Behinderte. Denn so verschrieb Kennedy-Shriver sich der Aufgabe, diesen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie wurde zur Gründerin einer inzwischen weltweiten Bewegung: den Special Olympics.

Anfang der sechziger Jahre erhielt Kennedy-Shriver den Anruf einer verzweifelten Mutter, die ihr gehandicaptes Kind nicht in einem Sommercamp unterbekam. Kennedy-Shriver beschrieb die damals in der Gesellschaft herrschende Einstellung so: "Plagt Euch nicht mit denen rum. Die können ohnehin nichts lernen, also vergesst sie. Gebt ihnen einen Lolli und eine Bank zum Sitzen. Das reicht." Damit wollte sie sich nicht abfinden. Kurzerhand organisierte Kennedy-Shriver ein kleines Ferienlager in ihrem Garten.

Ein paar Jahre später hatte eine Turnlehrerin die Idee, einen großen Sportwettbewerb aufzuziehen. Kennedy-Shriver, die zugleich die Stiftung ihrer Familie leitete, organisierte die Finanzierung. Etwa 1000 Athleten aus 26 Ländern nahmen 1968 an den ersten Special Olympics teil. Inzwischen beziffert die Bewegung ihre Größe auf drei Millionen Athleten in 175 Ländern.

Kommende Woche wird sie das Leben in München prägen. Erstmals veranstaltet der 1991 gegründete Verband Special Olympics Deutschland (SOD) die nationalen Sommerspiele hier. 5000 Athleten werden unter dem Motto "Gemeinsam stark" teilnehmen. "Das ist absoluter Rekord", sagt SOD-Geschäftsführer Sven Albrecht. Mit Betreuern, Helfern und Familienangehörigen sind es 14 000 Teilnehmer. Die alle zwei Jahre stattfindenden Sommerspiele gehören zu den großen Sportveranstaltungen hierzulande.

Die Vorbereitung auf München 2012 war ein besonderer logistischer Kraftakt, wegen der Konkurrenz durch die Champions-League-Finals und zwei Messen, die nächste Woche in München stattfinden. Vor allem die Unterbringung machte den Organisatoren anfangs Sorge. Aber weil sich das Tourismusamt der Sache angenommen hat, ist schon seit einiger Zeit gesichert, dass alle Teilnehmer ein Bett und ein Dach über dem Kopf haben werden. So sind 1750 Schlafplätze in Gemeinschaftsunterkünften, in Schulturnhallen etwa, eingerichtet.

Am Montag werden die Special Olympics eröffnet. Bei einem Festakt im Rathaus werden Bundespräsident Joachim Gauck, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude zugegen sein. Abends gibt es eine Feier in der großen Olympiahalle vor 11.000 Leuten und mit olympischem Zeremoniell. Die Flamme wird aus einer Fackel entzündet, die schon seit dem 16. April kreuz und quer durch Deutschland getragen wird.

Von Dienstag bis Freitag laufen die Wettbewerbe: An neun Standorten werden 19 Sportarten angeboten, Klassiker wie Leichtathletik, Basketball, Reiten und Kanufahren, aber auch Bowling und Golf. "Lasst mich gewinnen! Doch wenn ich nicht gewinnen kann, lasst mich mutig mein Bestes geben", lautet der Sportlereid zu dieser Veranstaltung. Hier geht es nicht primär ums Gewinnen, sondern um den heilsamen Effekt, den körperliche Bewegung und Gemeinschaft auf Körper und Seele des Menschen haben.

Eine Idee, die der olympischen Bewegung insgesamt zugrundeliegt, die aber durch den vom IOC betriebenen Vermarktungsirrsinn in den Hintergrund gedrängt wird. Es ist eine Entwicklung, die auch die Paralympics, die Spiele für körperlich Behinderte, zunehmend prägt. Bei den Special Olympics hingegen geht es nicht um Leistungs- oder gar Hochleistungssport, sondern um den Kern des Sports.

Die Chance, regelmäßig sportlich aktiv zu sein, haben die meisten Menschen mit geistigem Handicap überhaupt erst durch die Special-Olympics-Bewegung bekommen. Aber es geht um noch mehr als um die körperliche Bewegung. Der Sport schafft für viele dieser Menschen Kommunikation, die sie in ihrem Alltagsleben nicht oder zu wenig haben.

Die Special Olympics haben auch eine politische Ambition, die sich auf UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen stützt. "Die Menschen sollen die gleichen Wahlmöglichkeiten haben wie Menschen ohne Behinderung", formuliert SOD-Geschäftsführer Albrecht. Der Verband ist an der Ausarbeitung eines Aktionsplans der Bundesregierung beteiligt. Aber SOD versucht auch ganz konkret, die Aktiven zur verstärkten Teilhabe in der Gesellschaft zu befähigen, etwa indem Athletensprecher Vorstandsposten in den Verbänden einnehmen und sich öffentlich für ihre Belange einsetzen.

Bei den Spielen in München gibt es erstmals freiwillige Helfer mit geistiger Behinderung, einige sind auch schon beim Champions-League-Finale am Samstag im Einsatz.

Teil dieser Special Olympics ist auch ein Kongress zu "Möglichkeiten und Grenzen der Inklusion". Bis vor vier oder fünf Jahren habe es "so gut wie keine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema gegeben", sagt Albrecht. "Das waren drei oder vier Leute, diesmal kommen über 100 Wissenschaftler zum Kongress". Ein Kernanliegen der Special-Olympics-Bewegung ist das Programm "Healthy Athletes", denn die medizinische Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung war und ist ein Problemfeld.

Informationen für die Zuschauer

Sportwettbewerbe:

Pressekonferenz Special Olympics 2012

Der klassische Wettkampfgedanke, der bei Sportveranstaltungen oft im Fokus steht, ist bei den Special Olympics nicht das Wichtigste.

(Foto: dpa)

Der klassische Wettkampfgedanke, der bei Sportveranstaltungen oft im Fokus steht, ist bei den Special Olympics nicht das Wichtigste. Das Siegen über die Konkurrenten ist nicht das einzige, was zählt. Aber: Nur mit Dabeisein und dem gemeinsamen Sporterlebnis alleine ist es auch nicht getan. Die Haupt-Wettkampftage der Spiele, die offiziell vom 20. bis zum 26. Mai gehen, sind für die Teilnehmer Dienstag, Mittwoch und Donnerstag der kommenden Woche.

In nahezu allen Sportarten finden am Dienstag von morgens bis nachmittags oder abends Klassifizierungswettbewerbe an den verschiedenen Austragungsorten statt (siehe Karten oben). Am Mittwoch geht es in die ersten Finalwettkämpfe, im Kraftdreikampf steht am Abend bereits die Siegerehrung an. Am Donnerstag endet das sportliche Programm in den Sportarten Golf, Kanu, Badminton, Beachvolleyball, Bowling und Rollerskating. Am Freitag gibt es noch Finalkämpfe und Siegerehrungen in den Disziplinen Handball, Judo, Leichtathletik, Radsport, Reiten und Voltigieren, Schwimmen, Tennis, Tischtennis, Basketball, Boccia, Fußball und in dem sogenannten wettbewerbsfreien Angebot.

Rahmenprogramm:

Die Special Olympics begleitet ein üppiges Rahmenprogramm. Zum Angebot des Kulturreferats, das unter dem Motto ,,Auf die Plätze! München wärmt sich auf'' läuft, gehört etwa eine Plakat-Ausstellung, die aus einem Wettbewerb zur Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen hervorgegangen ist. Die Bilder, welche 15 Artikel der Konvention darstellen, sind von Freitag bis zum 28. Juni im Kulturzentrum Trudering zu sehen.

Am Sonntag um 19 Uhr hält die Münchner Künstlerin Dorothea Seror im Gasteig einen Vortrag über "normative Körperbilder", der darauf eingeht, wann ein Körper einer Norm entspricht und was geschieht, wenn er dies nicht tut. Es gibt zudem Filmvorführungen, Mitmachaktionen und Konzerte. Auch die Kirchen beteiligen sich, etwa mit biblischen Theaterworkshops, die am Samstag in der Münchner Werkstatt für Sehbehinderte stattfinden. In der Kirche St. Paul hält Pfarrer Rainer Hepler am Sonntag um 11 und um 20.15 Uhr einen Kunst-Gottesdienst zu einem Gemälde des geistig behinderten Künstlers Curt-Raoul Brkovic.

Eine Übersicht über Sport- und Begleitprogramm steht im Internet unter nationalgames.specialolympics.de.

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